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SWP-Mitarbeiter mit Nähe zum israelischen Geheimdienst
Zusammenfassung: Eine neue Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik prangert alle Formen der Kritik an Israel als „Delegitimierung“ an und unterscheidet nicht zwischen Menschenrechtsaktivisten und Antisemiten. Sie wurde von Dr. Gil Murciano geschrieben, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der SWP mit Erfahrungen in israelischer Propaganda und möglicherweise im israelischen Geheimdienst (Shin Bet). Diese Voreingenommenheit ist in der SWP-Studie offensichtlich und lässt Zweifel an der Fähigkeit der SWP aufkommen, nützliche und unparteiische Analysen zu liefern.

Eine neue Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit dem Titel: “Unpacking the Global Campaign to Delegitimize Israel: Drawing the Line between Criticism of Israel and Denying Its Legitimacy“ (“Die globale Kampagne zur Delegitimierung Israels auftrennen: Die Grenze zwischen Kritik an Israel und der Leugnung seiner Legitimität ziehen“) wurde im Juni veröffentlicht. Der Autor ist Dr. Gil Murciano.

Inhaltlich ist diese Studie eine Peinlichkeit für die SWP, die normalerweise qualitativ hochwertige Analysen veröffentlicht. Sie ist eine Ansammlung dürftiger Argumente, die die Kritik an Israel delegitimieren soll, indem sie eine Unterscheidung zwischen angeblich „legitimer“ und „nicht-legitimer“ Kritik trifft. In der 40-seitigen Studie sind jedoch nur drei Absätze der „legitimen Kritik“ gewidmet, und lediglich eine Organisation wird erwähnt (T’ruah: The Rabbinic Call for Human Rights). Selbst für sie erwähnt die Studie zwar ihre Kritik an der israelischen Politik im Westjordanland, aber sagt nichts darüber, worin Israels Politik besteht und was die Rabbiner kritisieren. Sie erwähnt nur, dass T‘ruah gegen die Boykottkampagne gegen Israel (BDS) ist, und legt damit nahe, dass die Ablehnung von BDS eine Voraussetzung für Legitimität ist.


Hasbara-Infografik, die die Reichweite der Hamas-Raketen und die Zahl der in ihrer Reichweite lebenden Israelis zeigt, aber nicht die auf Gaza abgefeuerten israelischen Waffen oder die Zahl der dort lebenden Palästinenser. Quelle: Creative Commons, dort von israelischen Soldaten im Jahr 2012 eingestellt.

In der Tat listet die Studie viele Organisationen und Wissenschaftler auf, die der israelischen Regierung Vorwürfe über Besatzung, Apartheid, Kolonialismus und ethnische Säuberungen machen. Sie geht nicht auf ihre Argumente ein und versucht schon gar nicht, diese zu widerlegen. Infolgedessen ist die Studie im Grunde nur ein Beitrag zu einer Verschwörungstheorie: Sie beschreibt eine weltweite Bewegung, die versuche, den Staat Israel ohne jeden Grund zu delegitimieren. Die Studie erwähnt 121 Mal BDS, aber nicht ein einziges Mal wird die Tatsache erwähnt, dass BDS legal ist und dass Äußerungen zur Unterstützung von BDS in der EU durch die Meinungsfreiheit geschützt sind (Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention). Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im vergangenen Monat entschied (siehe BIP-Aktuell #124), ist die pauschale Kriminalisierung von BDS in Europa illegal. Die SWP-Studie zeigt auch eine besorgniserregende Ignoranz darüber, was Antizionismus ausmacht. In einem Unterkapitel über „Antizionismus in historischer Perspektive“ legt die Studie ihre eigene sehr enge zionistische Sichtweise offen, da sie schlicht die Tatsache ignoriert, dass schon immer die meisten derjenigen, die sich selbst als Antizionisten  definieren, Juden waren und dass die theologischen Gründe für die Ablehnung des Zionismus, die von solchen Juden angeführt werden, schon lange vor dem palästinensischen Widerstand gegen den Zionismus geäußert wurden und auch heute noch von vielen ultraorthodoxen Gemeinden vertreten werden.

Die Studie weist darauf hin, dass Verallgemeinerung ein wichtiges Instrument zur Delegitimierung sei. Der Autor selbst aber reiht in seiner Einteilung, welche Formen der Kritik als „legitim“ gelten und welche nicht, den bewaffneten Widerstand der Hamas, den antisemitischen Holocaust-Karikaturenwettbewerb des Iran, die Black Lives Matter-Bewegung aus den USA (weil sie Israel des Genozids beschuldigt), den UN-Sonderberichterstatter Richard Falk, palästinensische Organisationen der Zivilgesellschaft, jüdische Intellektuelle, israelische NGOs und sogar den israelischen Präsidenten Reuven Rivlin (der 2017 das `Regularization Law` kritisierte und es als Apartheid bezeichnete, da es Israel erlaubt, Land zu enteignen, auf dem jüdische Siedlungen errichtet wurden) in die Kategorie der „Delegitimierer“ ein. Mehr Verallgemeinerung geht nicht. Da die Studie die Legitimität des Staates Israel als ein selbstverständliches Axiom betrachtet, definiert sie die „Delegitimierung“ nicht. Sowohl Hamas-Aktivisten als auch UN-Beamte fallen in die Kategorie der Delegitimierer. Die Empfehlung an die EU-Institutionen, die Kritiker Israels nicht zur Kenntnis zu nehmen und ihre Finanzierung einzustellen, hat die Studie von der rechtsextremen Organisation „NGO Monitor“ übernommen, wobei das vage Konzept der „Delegitimierung Israels“ verwendet wird, um alle Stimmen zu delegitimieren, die nicht fanatisch für Israel eintreten.


Screenshot von der SWP-Website. Relevant sind die Angaben für 2009-2012 und besonders für 2006-2009, s. unten. Aufnahmedatum: 14. Juli 2020.

Der Autor der Studie, Gil Murciano, hat für die SWP auch zwei Berichte über den Syrien-Konflikt aus rein israelischer Perspektive verfasst, in denen er die anhaltenden israelischen Luftangriffe in Syrien, die Tatsache, dass der syrische Golan unter israelischer militärischer Besatzung und illegaler Annexion steht, beschönigt und die israelischen Sicherheitsinteressen in Syrien so darstellt, als seien sie auch im deutschen Interesse. Z.B.: „Der wachsende Einfluss des Iran in Syrien und seine Bemühungen, die strategischen Fähigkeiten der Hisbollah zu verbessern, vermittelt den israelischen Entscheidungsträgern das Gefühl der Dringlichkeit, jetzt zu handeln, während die künftige Regelung in Syrien noch gestaltet wird, um eine iranische Hochburg an der Nordgrenze Israels nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Diese Auffassung wird noch verstärkt durch das wahrgenommene Fehlen eines ernsthaften Engagements des wichtigsten außerregionalen Machtmaklers, Russland, sowie der USA für die nationalen Sicherheitsbedürfnisse Israels.“ Zu beachten ist – außer dem miserablen Deutsch (offensichtlich ist nicht wirklich gemeint „eine iranische Hochburg … vor vollendete Tatsachen zu stellen“, sondern diese zu verhindern) – , dass nur Israel und die USA die israelische Souveränität über den syrischen Golan anerkennen, und hier nun aber auch die SWP (unter Missachtung der deutschen Außenpolitik).

Gil Murciano schreibt auf seiner SWP-Seite, dass er, bevor er nach Deutschland kam, zwischen 2009 und 2012 für die Hasbara-Organisation Reut-Institut (heute die Reut-Gruppe; sprich „Re’ut“) gearbeitet hat. Hasbara ist das hebräische Wort für „Erklärung“ und der Begriff, den das israelische Außenministerium verwendet, um Propaganda zur Verbesserung des Ansehens des Staates Israel zu beschreiben. Als Mitarbeiter von Reut verglich Murciano 2010 den Versuch der Freiheitsflottille, die Belagerung des Gazastreifens zu durchbrechen (der von der israelischen Marine mit tödlicher Gewalt beantwortet wurde, wobei zehn Aktivisten an Bord des Schiffes Mavi Marmara getötet wurden), mit einem Selbstmordattentat auf israelische Zivilisten.

Noch wichtiger ist, dass Murciano laut seiner SWP-Seite in den Jahren 2006-2009 als Analyst für das israelische „Büro des Premierministers“ gearbeitet hat. Das Büro des Premierministers gibt es selbstverständlich wirklich, genauso wie z. B. das Bundeskanzleramt. Jedoch ist „Büro des Premierministers“ auch die Adresse der israelischen Geheimdienste. Der Inlandsgeheimdienst Schin-Bet oder SchaBaK („Scherut haBitachon haKlalli“ – Dienst für die allgemeine Sicherheit) steht auf seiner web site direkt unter dem Büro des Premierministers, und die für den Schabak dort angegebene E-Mail-Adresse ist schlicht das „prime minister’s office“ („pmo“): pmo.heb@it.pmo.gov.il. Ähnliches gilt für den Auslandsgeheimdienst Mossad: 2009, als Murciano im Büro des Premierministers arbeitete, schrieb Aluf Benn in haAretz, dass „Büro des Premierministers / Tel-Aviv“ die halboffizielle Anschrift des Mossad im internen Dienstverkehr sei (im Gegensatz zum „Büro Jerusalem“, das real für den Premierminister arbeite).

Der Inlandsgeheimdienst Schabak richtet sich primär gegen palästinensischen Widerstand. Er ist an der Festnahme und Inhaftierung von Verdächtigen ohne Gerichtsverfahren, an der Anwendung von Folter bei Verhören und am ungestraften Töten (extrajudicial killing) beteiligt. Er arbeitet fast ohne jegliche Aufsicht oder Kontrolle durch die israelischen Behörden, und selbst in Fällen, in denen seine Mitglieder nachweislich illegal gehandelt hatten, wurden sie niemals von israelischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen. Der Film The Gatekeepers (2012) enthält Interviews mit fünf ehemaligen Chefs des Schabak, in denen sie über ihre Strategien und Methoden sprechen, die kein Rechtsstaat zulassen würde. Eine der Methoden, die in dem Film nicht diskutiert wurde, ist die Einschüchterung: Israelische Bürger werden üblicherweise zu einem „freundschaftlichen Gespräch“ mit der Geheimpolizei eingeladen, in dem sie mit ihrer privaten Korrespondenz konfrontiert werden und dadurch erfahren, dass die Geheimpolizei sie ausspioniert, und dann davor gewarnt werden, sich auf oppositionelle Aktivitäten gegen die Regierung einzulassen. Obwohl die Teilnahme an diesen „freundschaftlichen Gesprächen“ nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, werden diejenigen, die sich weigern, Opfer von Racheakten der Geheimpolizei. Ein Beispiel ist Ameer Makhoul, ehemaliger Leiter der Dachorganisation der Gemeindegruppen Itijah in Haifa. Makhoul weigerte sich, an dem „Gespräch“ teilzunehmen und wurde daraufhin mitten in der Nacht verhaftet und 2010 der Spionage angeklagt. Die Geheimpolizei entlockte ihm unter Folter ein Geständnis, noch bevor er sich mit einem Anwalt treffen durfte, und verweigerte daraufhin der Verteidigung die Einsicht in die Beweise gegen ihn, die im Geheimen nur dem Richter vorgelegt wurden. Makhoul wurde verurteilt und saß neun Jahre im Gefängnis. Die Geheimpolizei verwies auf Makhouls Schriften und Vorträge, die in den Jahren vor 2009 gehalten wurden, also in den Jahren, in denen Gil Murciano beim „Büro des Premierministers“ arbeitete. Murcianos Vertrautheit mit den palästinensischen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten aus den Jahren 2006-2009, die sich in seiner SWP-Studie zeigt, könnte darauf hindeuten, dass er auch im „Büro des Premierministers“ mit diesem Thema befasst war.

Ein Skandal brach letzte Woche aus, als bekannt wurde, dass ein Mitarbeiter der Pressestelle der Bundeskanzlerin im Verdacht steht, für Ägypten spioniert zu haben. Die SWP scheint sich jedoch keine Sorgen über den Einfluss ausländischer Geheimdienste in ihren Reihen zu machen. Die SWP behauptet, unabhängig und unparteiisch zu sein, aber indem sie einen ehemaligen Mitarbeiter des „Büro des Premierministers“ damit beauftragt hat, Analysen über Israel zu schreiben, setzt sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel, und das deutsche Außenministerium kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass Berichte der SWP wissenschaftlichen Maßstäben Genüge tun und im besten Interesse Deutschlands und der Deutschen sind. Diese jüngste Studie über eine angebliche „Delegitimierung“ kann deutsche Diplomaten zu schwerwiegenden Fehleinschätzungen verleiten und dazu führen, dass sie die Anwendung des Völkerrechts und der Menschenrechte der Palästinenser aus Angst, der „Delegitimierung“ beschuldigt zu werden, nicht schützen und sich an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitschuldig machen.

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever.
V. i. S. d. P. Prof. Dr. Rolf Verleger, BIP-Vorsitzender 

Tag: 19. Juli 2020