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54 Produktkategorien, deren Ausfuhr aus der Türkei nach Israel verboten ist

BIP-Aktuell #302:

  1. Die Türkei sanktioniert Israel
  2. Weitere Sanktionen gegen israelische Armeebataillone im Westjordanland?

Nach jahrzehntelangen komplizierten Beziehungen zwischen Israel und der Türkei hat Israels Krieg im Gazastreifen strenge Sanktionen der Türkei gegen die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (dual-use)  ausgelöst, die zur Begehung von Kriegsverbrechen verwendet werden könnten. Die Sanktionen haben erhebliche Auswirkungen auf die israelische Wirtschaft. Deutschland hat sich nicht zu den Sanktionen geäußert.

Die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei sind kompliziert. Israel hatte eine militärische Allianz mit dem Militär in der Türkei, das mit den säkularen Kräften verbunden ist – gegen den gemeinsamen Feind, den sie in Syrien sahen. Israel hat auch Waffen an die Türkei verkauft (vor allem Drohnen) für Militäraktionen gegen kurdische Kräfte. Als die AKP-Partei 2002 in der Türkei an die Macht kam und Recep Tayyip Erdogan 2003 Ministerpräsident und 2014 Präsident wurde, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel, obwohl der Handel, einschließlich des Waffenhandels, weiter prosperierte.



Netanjahu und Erdogan trafen sich in New York am 19. September 2023, 18 Tage vor dem 7. Oktober. Quelle: 2023, Fotoarchiv der israelischen Regierung.


Das Jahr 2010 war ein Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Israel und der Türkei. Nachdem Erdogan die israelische Invasion des Gazastreifens zwischen dem 27. Dezember 2008 und dem 18. Januar 2009 scharf verurteilt hatte, bestellte der israelische Außenminister Danny Ayalon von der rechtsextremen Partei „Israel Unser Haus“ den türkischen Botschafter in Tel Aviv ein und ließ ihn auf einem niedrigen Stuhl Platz nehmen, um ihn zu demütigen. Später im selben Jahr stürmten israelische Streitkräfte die Mavi Marmara, ein türkisches Schiff, das humanitäre Güter transportierte und versuchte, die Belagerung des Gazastreifens zu durchbrechen. Die israelischen Soldaten töteten zehn unbewaffnete türkische Staatsbürger in internationalen Gewässern und machten das NATO-Bündnis zum Gespött, weil die NATO der Türkei, deren Bürger Opfer eines Piratenangriffs eines Nicht-NATO-Mitglieds wurde, nicht zu Hilfe kam. Schließlich entschuldigte sich Israel für die Tötung der türkischen Zivilisten und zahlte Entschädigungen an die Familien. Das israelische Rüstungsunternehmen Elbit Systems forderte die israelische Regierung auf, für die entgangenen Einnahmen aus Verträgen mit der Türkei, die aufgrund der politischen Spannungen gekündigt worden waren, Entschädigungen zu zahlen (Quelle auf Hebräisch).

Obwohl Erdogan weiterhin eine harte Sprache gegen Israel verwendet und sich gegen Israels Angriffe auf den Gazastreifen und gegen Israels Provokationen in der Al-Aqsa-Moschee ausgesprochen hatte, wird er innerhalb der Türkei  dafür kritisiert, dass er dennoch indirekte Beziehungen zu Israel unterhält. Die Türkei ist ein wichtiger Absatzmarkt für israelische Chemieexporte wie z. B. Düngemittel für den Agrarsektor. Israel unterhält daneben ein starkes Militärbündnis mit Aserbaidschan, einem engen Verbündeten der Türkei, und sowohl Israel als auch die Türkei unterstützten den Angriff Aserbaidschans auf die umstrittene Region Nagorno-Karabach in Armenien. Aserbaidschan ist wegen seiner Grenze zum Iran ein strategischer Verbündeter Israels: Die armenische Armee und armenische Zivilisten wurden mit israelischen Suiziddrohnen angegriffen.

Der völkermörderische Angriff Israels auf den Gazastreifen (siehe BIP-Aktuell #285) hat jetzt die heiklen Beziehungen zwischen Israel und der Türkei bis zum Zerreißen belastet. Im Vorfeld der bevorstehenden Wahlen in der Türkei haben die Oppositionsparteien Erdogan vorgeworfen, nicht genug zu tun, um den vermeintlichen Völkermord zu stoppen. Erdogan reagierte am 9. April mit einem Ausfuhrstopp für 54 Produktkategorien nach Israel, vor allem für Stahl, Zement und andere Güter mit doppeltem Verwendungszweck („dual-use“), die für militärische Zwecke verwendet werden könnten. Der Entzug der Ausfuhrgenehmigungen stellt eine Sanktion dar.

Amnesty International forderte angesichts der neu entdeckten Massengräber in Khan Younes mitten im Gazastreifen eine forensische Untersuchung dieses Tatortes. Bei mindestens 20 der im Massengrab am Nasser-Krankenhaus gefundenen Leichen sprechen mehr als 300 Anzeichen dafür, dass sie lebendig begraben wurden.  Die türkische Sanktion, Israel Baumaterialien zu verweigern, gewinnt dadurch ein besonderes Gewicht.

Israelische Geschäftsleute glaubten nicht, dass die Exporte wirklich blockiert würden, aber als die Schiffe den Hafen von Istanbul ohne ihre Ladung verließen, brach auf den israelischen Märkten Panik aus (Quelle auf Hebräisch). Die Israelis haben die Ironie nicht bemerkt, die darin liegt, dass Israel seit 18 Jahren die Einfuhr von Baumaterialien in den Gazastreifen mit der Begründung verboten oder stark eingeschränkt hat, dass es sich bei diesen Produkten um Güter mit doppeltem Verwendungszweck handelt, die für militärische Zwecke verwendet werden können. Dadurch wurde es den Menschen im Gazastreifen sehr schwer gemacht, die von Israel zerstörten oder stark beschädigten Häuser wieder aufzubauen. Jetzt ist Israels eigener Bausektor zum Stillstand gekommen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Israel verbietet nach dem 7. Oktober die Einreise von palästinensischen Arbeitern nach Israel (siehe BIP-Aktuell #290), die bislang die Mehrheit der Arbeiter im Bausektor stellen. Die israelische Regierung versucht, Gastarbeiter aus anderen Ländern wie z.B. aus Indien zu holen, aber die indische Regierung hat beschlossen, keine Arbeiter nach Israel zu schicken, um eine Gefährdung tausender indischer Arbeiter zu verhindern. Derzeit versucht die israelische Regierung, Arbeitskräfte aus Malawi anzuwerben, aber ohne Baumaterialien aus der Türkei könnten die langfristigen Auswirkungen auf den israelischen Bausektor katastrophal sein, und das in einem Land, in dem die Wohnungspreise bereits 2011 und 2012 zu weitreichenden sozialen Protesten führten.



Steinmeier und Erdogan in Istanbul. Quelle: 2024, Twitter.


Bei seinem jüngsten Besuch in Istanbul traf Bundespräsident Steinmeier mit Erdogan zusammen; beide scherzten gemeinsam in einem Döner-Kebab-Laden. Erdogan sagte Steinmeier, dass Deutschland die tragische Situation in Gaza sehen müsse. Steinmeier hat sich nicht zu den Sanktionen der Türkei gegen Israel geäußert. Er hat Erdogan aber auch nicht des Antisemitismus bezichtigt, und Erdogan hat Steinmeier auch nicht die Mitschuld Deutschlands am israelischen Völkermord vorgehalten (siehe BIP-Aktuell #300). Von einem Verbot Erdogans durch Innenministerin Nancy Faeser, in Deutschland aufzutreten, ist auch nichts bekannt –  anders als sie es unverzüglich gegen den griechischen Ex-Finanzminister Yannis Varoufakis verhängt hat.

Einladung zur 3. Internationalen BIP-Konferenz  vom 24. – 26.5. 2024 in Nürnberg:
https://bip-jetzt.de/bip-konferenz-2/
Werde Mitglied im Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V. (BIP) und unterstütze unsere Arbeit. Jahresbeitrag für stimmberechtigte ordentliche Mitglieder
150 €, für Fördermitglieder 100 €. 
Ein Aufnahmeantrag ist  an den Vorstand zu stellen: info@bip-jetzt.de.
Weitere Informationen: www.bip-jetzt.de

BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden. 

Gideon Levy schreibt in Haaretz:

Weitere Sanktionen gegen israelische Armeebataillone im Westjordanland?

„Ich werde nie das Bild eines 80-jährigen Mannes vergessen, der auf den Boden geworfen, gefesselt und geknebelt wurde und dem Tod überlassen wurde. Das Glück der israelischen Soldaten, die ihn töteten, verließ sie; dieses Mal war ihr Opfer ein Amerikaner.
Es war eine kalte Winternacht, ein paar Minuten nach 3 Uhr morgens, als Omar Abdelmajeed As’ad nach Hause fuhr. Seit seiner Rückkehr vor 11 Jahren von einem längeren Altersaufenthalt in den USA verbrachte er oft Zeit mit seinen Jugendfreunden aus dem Dorf, trank Kaffee, spielte Karten und redete bis in die Nacht hinein, jeden Abend mit jemand anderem. So war es auch in der Nacht des 12. Januar 2022.
Jaljulya im Bezirk Ramallah ist ein ´Dorf der Paläste`. Die meisten Menschen leben in den Vereinigten Staaten. Um 3 Uhr morgens ist die Straße leer und dunkel. Plötzlich sieht As’ad Soldaten neben Alis Lebensmittelladen stehen. Sie sprangen mitten auf die Straße und hielten As’ad’s Auto an.
Der 80-jährige Mann war zu Tode erschrocken. Er wollte nur in Ruhe nach Hause fahren. Die Soldaten befahlen ihm, aus dem Auto auszusteigen. Er versuchte, sich zu weigern. Einer von ihnen zog ihn gewaltsam aus dem Auto, und seine Kameraden fesselten ihm die Hände hinter dem Rücken mit schwarzen Plastikbändern, die später gefunden wurden.
Die Soldaten knebelten ihn mit einem Lappen, hielten ihm die Augen zu und schleppten ihn in ein nahe gelegenes, im Bau befindliches Haus. Einer seiner Schuhe fiel ab, und er ging mit einem nackten Fuß. As’ad war schwergewichtig und hatte Atemprobleme.
Sein Dorf war wohlhabend und ruhig, und die Soldaten kamen nur dorthin, um die Bewohner zu misshandeln. Sie beschlossen, jeden anzuhalten, der in dieser Nacht auf der Straße unterwegs war, vom Brotwagen des Dorfes bis zum Gemüsehändler. Auch As’ad. Sie durchsuchten seinen Körper; vielleicht hatte der 80-jährige palästinensische Amerikaner Sprengsätze bei sich. Und er blieb mit einem dünnen Pullover in einer kalten Nacht zurück.
Als sie den Hof der Baustelle erreichten, wohin sie bereits eine Reihe von Gefangenen gebracht hatten, warfen die Soldaten ihn auf den Boden. Mit Handschellen gefesselt fiel er auf den Bauch. Sie warfen ihn in die linke Ecke des Hofes, neben Säcke mit Bausand, als ob sie einen weiteren Sandsack auf den Boden werfen würden. ´Warum haben sie ihm nicht wenigstens einen Stuhl gebracht?`, fragte sein Bruder Amar am nächsten Tag, als er aus Racine, Wisconsin, zu Besuch kam, nachdem er seinen Bruder 11 Jahre lang nicht gesehen hatte.
Der Innenhof war in ein Gefängnis für die Männer verwandelt worden, die in der Jagdnacht der Soldaten gefangen genommen worden waren: fünf unschuldige Männer. Einer von ihnen, Mamdouh Abd al-Rahman, ein Gemüsehändler, erzählte uns, dass er im Hof lag und die Soldaten mit gezogenen Gewehren über ihm standen. Er spürte, dass sein Körper etwas Unbewegliches berührte; er dachte, es sei ein Toter.
As’ad war vor Angst und Kälte gestorben. Als die Soldaten um 4 Uhr morgens merkten, dass er tot war, nahmen sie ihm schnell die Handschellen ab, um Beweise zu vernichten, und flohen vom Tatort. Ihr Opfer hätte ihr Großvater sein können. Hätte ein Palästinenser den Großvater eines Soldaten missbraucht, wäre Israel ausgerastet: Tiere, wie sie alte Männer misshandeln!
Ich werde die Ereignisse dieser Nacht nicht vergessen, von denen wir erfuhren, als wir im Dorf ankamen. Ich werde das Bild eines alten Mannes nicht vergessen, der auf den Boden geworfen, gefesselt und geknebelt wurde. Bald stellte sich heraus, dass es sich – wieder, ja, wieder – um Soldaten des Bataillons mit dem grotesken Namen ´Netzah Yehuda`, Ewiges Judäa, handelte.
Die Archive von Haaretz sind voll von ihren Misshandlungen und Verbrechen. Ihr Glück hat sie verlassen; diesmal war ihr Opfer ein Amerikaner. Nach mehr als zwei Jahren, in denen kein Soldat für den Tod des alten Mannes angeklagt wurde, beschlossen die Amerikaner, das Schweigen zu brechen, wenn israelische Soldaten ihre Bürger töten.
Benny Gantz ist schockiert. Er rief eilig den US-Außenminister an: Wie können Sie das den heldenhaften Soldaten einer moralischen Armee antun, und insbesondere einem Bataillon, das den Namen „Eternal“ trägt? Genau aus diesem Grund haben wir Gantz.
Israel ist beleidigt und schockiert. Vielleicht werden die Amerikaner Sanktionen gegen weitere israelische Einheiten verhängen. Vielleicht werden sie feststellen, dass jeder, der in einer Besatzungsarmee dient, jeden Tag und jede Nacht missbraucht.
Ich wünsche es mir.“

Auszüge aus Kommentaren zu Gideon Levys Artikel:
„Eine weitere Gräueltat Israels, von der wir, so schrecklich sie auch sein mag, wissen müssen. Nochmals vielen Dank, Herr Levy, für Ihren Mut und Ihre brillante Schreibe. Wie ich bereits erwähnt habe, sind Sie der Grund, warum ich Haaretz abonniert habe. Als Enkelin eines Talmudgelehrten bin ich zwar nicht religiös, aber ich bin empört darüber, dass Israels Schläger und Schlägerinnen es wagen, sich jüdisch zu nennen. Es ist kein Antisemitismus, sich ihren unsäglichen Verbrechen gegen die Palästinenser zu widersetzen, die mit vollem Wissen und Unterstützung der israelischen Regierung begangen werden. Verbrechen, die in Wirklichkeit auch durch die Finanzierung Israels durch die USA unterstützt werden, trotz symbolischer „Sanktionen“ gegen die gewalttätigen Siedler. Mutige amerikanische Studenten, die des Antisemitismus beschuldigt werden, weil sie gegen die Mitschuld der USA an Israels Völkermord protestieren, kämpfen stattdessen dafür, das Beste der jüdischen moralischen Tradition zu retten, einschließlich der Achtung vor dem Leben. Sehen Sie sich ihren Pessach-Seder inmitten des Columbia-Lagers an.“

„Nochmals vielen Dank, Gideon, für deinen zum Nachdenken anregenden Artikel.
Im Westjordanland hallen derzeit die Erinnerungen an die Pogrome nach, deren Opfer in erster Linie Palästinenser sind. Die israelische Armee (vor allem das Netzah Yehuda Bataillon), die Behörden und extremistische Siedler verüben diese Gewalttaten. Zu den Motiven gehören ideologische Überzeugungen, Landstreitigkeiten, historische Spannungen und politische Faktoren. Einige Siedler fühlen sich aufgrund starker nationalistischer oder religiöser Überzeugungen berechtigt, Land zu besitzen. Extremistische Elemente unter ihnen provozieren Palästinenser oder üben Vergeltung an ihnen, wodurch sich die Spannungen verschärfen. Menschenleben und Eigentum gehen verloren, was bei den Palästinensern große Angst und Leid auslöst.“

„Ich habe einen Traum“: Mögen sich einfühlsame Führer aller beteiligten Parteien um Frieden bemühen, eine Zweistaatenlösung aushandeln, die Siedlungen stoppen, die Sicherheit und die Lebensbedingungen verbessern, die Menschenrechte achten und internationale Unterstützung gewinnen.“
https://www.haaretz.com/opinion/2024-04-24/ty-article-opinion/.premium/the-one-mistake-of-the-most-heroic-and-moral-idf-battalion/0000018f-1148-d8b0-abff-f1fb69280000


Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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