Die UNO duldet israelische Verstöße gegen ihre Resolutionen und ihre Charta
BIP-Aktuell #322:
- Israels Streit mit dem UNO
- Erfreulich
- Bauernhöfe in Außenposten sind die Vorhut des diebischen und gewalttätigen Siedlungsunternehmens in den besetzten Gebieten
Die angespannten Beziehungen Israels zu den UN haben einen Explosionspunkt erreicht. Israel sabotiert aktiv die Arbeit der UN, zerstört ihre Einrichtungen und tötet ihre Mitarbeiter, während es sie diffamiert und delegitimiert. Die UNO hat eine Reihe von Resolutionen verabschiedet, die von Israel ignoriert werden. Die weitere Teilnahme Israels an der UN-Generalversammlung wird von einem Journalisten und einem Rechtsprofessor in Frage gestellt.
Israels angespannte Beziehungen zur UNO waren bereits ein Thema in BIP-Aktuell #197 vor drei Jahren. Das berühmte Ben-Gurion-Zitat „Um-Schmum“ (die UNO ist „ein Nichts“), als ob die Organisation keine Bedeutung für Israel hätte, spiegelt eine Meinung wider, die unter vielen führende israelische Politiker vorherrscht: Die Mehrheit der Staaten in der UNO würde Israel niemals akzeptieren, daher habe es keinen Sinn, in der UNO mitzuarbeiten. Dennoch hat Israel in seiner Geschichte in vielen Fragen eng mit der UNO zusammengearbeitet. Israel beansprucht sein so genanntes „Existenzrecht“ auf der Grundlage des UN-Teilungsplans von 1947. Nach der Besetzung der palästinensischen Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen setzte sich Moshe Dajan dafür ein, dass das Hilfswerk UNRWA seine Mission fortsetzen konnte, sich um all jene zu kümmern, die durch den Krieg von 1948 zu Flüchtlingen geworden sind. Israel entsandte seine besten Staatsmänner als Botschafter zu den Vereinten Nationen, darunter Aba Eban, Yitzhak Rabin, auch Benjamin Netanjahu.
Israels UN-Botschafter Gilad Erdan schreddert die UN-Charta. Am 20. August erklärte Erdan, das UN-Gebäude in New York solle geschlossen und von der Erdoberfläche getilgt werden. Quelle: 2024, YouTube.
Nach dem 7. Oktober Überfall und dem Beginn der völkermörderischen Kampagne in Gaza haben sich die Beziehungen Israels zu den Vereinten Nationen rapide verschlechtert. Nachdem UN-Generalsekretär António Guterres erklärte hatte, der Überall der Hamas am 7. Oktober sei nicht im luftleeren Raum entstanden, forderte Israel seine Abberufung. Israel verweigert der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese (siehe BIP-Aktuell #298), wie schon ihren Vorgängern den Zugang zu dem Gebiet, das es illegal besetzt hält. Israel verhindert auch, dass ein UN-Untersuchungsausschuss Beweise zu den Anschlägen vom 7. Oktober sammeln kann. Es lässt keine Überprüfung der israelischen Behauptungen über den palästinensischen Angriff zu. Israel hat eine massive Diffamierungskampagne gegen das UNRWA, den größten und wichtigsten Anbieter humanitärer Hilfe für die Palästinenser, gestartet, um die Palästinenser in Gaza auszuhungern (siehe BIP-Aktuell #291).
Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen Gilad Erdan, der früher als Minister für strategische Angelegenheiten (Propagandaministerium Hasbara) tätig war (siehe BIP-Aktuell #114), zerriss auf dem Podium der Generalversammlung ein Exemplar der UN-Charta und sagte, dass die Vereinten Nationen „geschlossen und vom Antlitz der Erde getilgt werden sollten“. Premierminister Netanjahu sprach vor der UN-Vollversammlung in New York und nannte die UN „verachtenswert“, „ein Haus der Finsternis“ und einen „Sumpf aus antisemitischer Galle“. Israels Außenminister Israel Katz beschuldigte UN-Generalsekretär António Guterres fälschlicherweise, den Angriff des Irans auf Israel am 1. Oktober nicht verurteilt zu haben und erklärte ihn zur „Persona non grata“, was dazu führte, dass ihm die Einreise nach Israel untersagt wurde. Das letzte Land, das den Generalsekretär der Vereinten Nationen zur unerwünschten Person erklärte, war die Sowjetunion im Jahr 1961. Israelische Medien bezeichneten die Erklärung zur „Persona non grata“ als „kindisch“ (Quelle auf Hebräisch).
Während seines Völkermords im Gazastreifen hat Israel UN-Schulen, Lagerhäuser mit Lebensmitteln und Medikamenten sowie Flüchtlingslager bombardiert und 228 UN-Mitarbeiter getötet – die höchste Zahl von UN-Mitarbeitern, die in einem einzigen Konflikt seit der Gründung der Vereinten Nationen getötet wurden. Gleichzeitig bringen Knessetabgeordnete einen Gesetzentwurf ein, der UNRWA als „terroristische Organisation“ einstuft und die Beschlagnahme des UNRWA-Hauptquartiers in Ostjerusalem vorsieht. Im Südlibanon meldete die UNO, dass Israel UNIFIL-Stützpunkte angegriffen und 15 Blauhelme verletzt hat. Die israelische Armee ging aktiv gegen die Kameras der UNIFIL vor, um die Dokumentation ihrer Kriegsverbrechen im Libanon zu verhindern. UNIFIL-Soldaten meldeten Symptomen bei Verletzungen, die darauf hinweisen, dass Israel möglicherweise eine chemische Waffe eingesetzt hat.
Die USA haben seit den 1970er Jahren mehr als 50 Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, in denen Israel kritisiert wird, mit ihrem Veto blockiert. Dennoch haben die UN-Gremien im letzten Jahr nach Kräften gegen Israels Gräueltaten protestiert. Die UN-Generalversammlung rief am 27. Oktober 2023 mit einer Zweidrittelmehrheit zu einem Waffenstillstand auf. Sogar der Sicherheitsrat forderte am 25. März einen Waffenstillstand – die USA legten kein Veto gegen die Resolution ein, die jedoch von Israel ignoriert wurde. Der UN-Menschenrechtsrat forderte am 5. April ein Waffenembargo gegen Israel. Am 18. September nahm die UN-Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit eine Resolution an, in der sie das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 19. Juli annahm, in dem die israelische Besatzung für illegal und zu einem Akt der Apartheid erklärt und Israel 12 Monate Zeit gegeben wird, die besetzten Gebiete zu verlassen. Ebenso werden Sanktionen, einschließlich eines Waffenembargos, gefordert.
Israel spottet zwar über die UN-Resolutionen, was aber eine Gruppe europäischer und arabischer Staaten nicht davon abhielt, eine Notfalldelegation nach Israel zu entsenden, um vor Schritten zu warnen, die zum Zusammenbruch der UNRWA führen (Quelle auf Hebräisch). Nachdem Israel das UNRWA-Gelände in Ostjerusalem beschlagnahmt hatte, warnte der UNRWA-Direktor Philippe Lazzarini, dass es möglicherweise zu spät sei, um UNRWA zu retten, da diesem der Zusammenbruch drohe.
Die blaue Linie, die nach der israelischen Invasion im Libanon 1978 als Waffenstillstandslinie festgelegt wurde und von UNIFIL-Soldaten bewacht wird. Quelle: 2006, Thomas Blomberg, Wikipedia.
Mehdi Hasan schrieb im Guardian, dass Israel zu einem Schurkenstaat geworden sei. Daher müsse die UNO Schritte unternehmen, um Israel ganz aus der UNO auszuschließen oder es zumindest von der Generalversammlung zu suspendieren, wie es die UNO schon früher bei Staaten getan hat, die nicht mehr mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiteten, wie z.B. das Apartheid-Südafrika zwischen 1974-1994. Prof. Dr. Maryam Jamshidi von der University of Colorado hat im Verfassungblog detaillierte juristische Argumente für die Suspendierung Israels von der UN-Generalversammlung dargelegt.
*******************************************************
Werde Mitglied im Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V. (BIP) und unterstütze unsere Arbeit. Der Jahresbeitrag für stimmberechtigte ordentliche Mitglieder beträgt 150 €, für Fördermitglieder 100 €.
Ein Aufnahmeantrag ist an den Vorstand zu stellen: info@bip-jetzt.de.
Weitere Informationen: www.bip-jetzt.de
Wenn Sie die Arbeit von BIP unterstützen möchten, dies ist unser Spendenkonto: BIP e.V., IBAN: DE 43 2545 1345 0051 0579 58, BIC NOLADE21PMT
*******************************************************
Anmerkung der Redaktion: Angesichts der zumeist sehr deprimierenden Berichte in unserem Newsletter werden wir in Zukunft an dieser Stelle die Rubrik „Erfreulich“ platzieren – in der Hoffnung, dass diese Meldungen uns allen Mut machen, denn „Aufgeben ist keine Option“!
BA 321 „Erfreulich“:
Die Medien wachen auf:
- Die ZDF-Sendung Frontal vom 15.10. belegt, dass die Schutzbehauptung der Bundesregierung, Israel begehe keine Kriegsverbrechen, nicht länger haltbar ist.
https://www.zdf.de/politik/frontal/frontal-vom-15-oktober-2024-100.html - Es geht ein Riss durch Deutschland. Die von der Politik immer wieder betonte Israel-Solidarität und die Stimmung in großen Teilen der Bevölkerung passen nicht zusammen: https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-zur-solidaritaet-mit-israel-100.html
- Handelsblatt: Das sind Israels wichtigste Waffenlieferanten https://www.handelsblatt.com/politik/international/nahostkrieg-das-sind-israels-wichtigste-waffenlieferanten/100076808.html
Die Frage, ob man Israel Waffen für seine Angriffe liefern darf, spaltet die Gesellschaften des Westens. Die Bundesregierung reagierte jetzt auf Frankreichs Forderung nach einem Embargo.
- Gleich vier Mal an einem Tag wurde in der taz über die Lage in Gaza und im Libanon berichtet:
- https://taz.de/Humanitaere-Lage-im-Gazastreifen/!6042275/
- https://taz.de/Israelische-Offensive-auf-Gaza/!6039715/
- https://taz.de/Israels-Kriegsfuehrung-im-Libanon/!6039725/
- https://taz.de/Israels-Angriff-auf-Begegnungszentrum/!6039714/
- Die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (DPG) berichtet in ihrem Rundbrief vom 17.10.: Palästinenserin unterstützt Friedensinitiative in Israel: Fraueninitiativen aus Palästina und Israel erhalten „Günter-Wallraff-Preis“ 2024
- Ein deutlicher Kommentar von Michael Lüders in Deutschlandfunk Kultur, wie wir es von ihm aus seinen Videos kennen, dieses Mal im Deutschlandfunk: Netanjahus Traum vom „totalen Sieg“ Lüders spart nicht mit Kritik an der Bundesregierung.
- https://www.deutschlandfunkkultur.de/palaestinenser-zukunft-nahostkrieg-gaza-kommentar-100.html
BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.
Haaretz Editorial vom 13. Oktober 2024:
„Bauernhöfe in Außenposten sind die Vorhut des diebischen und gewalttätigen Siedlungsunternehmens in den besetzten Gebieten. Laut einem Untersuchungsbericht von Haaretz, der am 11. Oktober veröffentlicht wurde, handelt es sich um ein Projekt, das durch staatliche Budgets, öffentliche Unterstützung und Legitimierung bis ins kleinste Detail versorgt wird.
In den letzten Jahren sind diese Bauernhöfe in Außenposten der Siedler wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden geschossen und zählen nun 90. Die Logik dahinter ist einfach: Es handelt sich um eine Methode, um Palästinenser zu vertreiben, indem eine minimale Anzahl von Bewohnern auf einer maximal möglichen Fläche verteilt wird. Das wichtigste Werkzeug, um dies zu erreichen, sind Schafherden und Teenager. Mit den Worten des Siedlerführers Ze’ev „Zambish“ Hever: ´Das Gebiet, das diese Farmen einnehmen, umfasst 2,5-mal mehr Land als das Land, das von Hunderten von Siedlungen eingenommen wird.`
Hinter dem beschönigenden Begriff ´Siedlerfarmen` verbirgt sich eine dunkle Realität: Palästinenser und viele linksgerichtete jüdische Aktivisten haben von gewalttätigen Angriffen und Drohungen berichtet, die palästinensische Gemeinden aus Angst um ihr Leben zur Flucht getrieben haben. Obwohl diese Außenposten ein gewalttätiges Instrument zur Schikanierung und Vertreibung sind, finanziert der Staat sie großzügig und unterstützt damit praktisch die Anwesenheit dieser Jugendlichen an gefährlichen Orten.
Viele von ihnen sind sozial gefährdete Jugendliche und dienen als Vorhut bei der Gewalt gegen Palästinenser. Der Staat geht damit nicht nur gegen die Palästinenser vor, sondern lenkt diese Jugendlichen auch auf einen Pfad der politischen Gewalt und Gesetzesübertretung.
Die Ministerien für Siedlungspolitik, Bildung, Landwirtschaft, Verteidigung und Angelegenheiten von Negev und Galiläa tragen alle direkt oder indirekt zu diesem florierenden Unternehmen bei. Einige von ihnen bieten Sicherheitsdienste an, ohne die diese Farmen nicht existieren könnten, während andere ihre Unterstützung durch gemeinnützige Organisationen wie Hashomer Yosh oder Artzenu leisten, deren Freiwillige der Treibstoff sind, mit dem diese Farmen betrieben werden. Der Jüdische Nationalfonds finanziert auch Programme für die Jugendlichen auf diesen Farmen, die in der Tat Soldaten in einem Krieg sind, der darauf abzielt, das Land von seiner arabischen Bevölkerung zu säubern.
Diese Farmen präsentieren sich gerne als Rehabilitationszentren für diese Jugendlichen. Man sollte sich von solchen Aussagen nicht täuschen lassen. Es handelt sich um illegale Einrichtungen (Finanzminister Bezalel Smotrich bemüht sich nach Kräften, dies zu ändern), deren Ziele kriminell sind, und sie gefährden die Jugendlichen, die allein an diese gefährlichen Orte geschickt werden, um die Herden zu hüten.
Das Ministerium für Wohlfahrt und Soziales und die Regionalräte behaupten, dass diesen Jugendlichen geholfen werden sollte, wenn sie ihren Weg auf diese Farmen finden. In der Praxis legitimieren diese Behörden jedoch ihren Aufenthalt dort, unterstützt durch ein Regierungsprogramm, das von Sozialarbeitern in den Gebieten umgesetzt wird.
Die Eigentümer dieser Farmen stehen auf der Liste der Personen, gegen die die USA Sanktionen verhängt haben. Aber in Israel beeindruckt das niemanden. Als diese Sanktionen verhängt wurden, beeilten sich Regierungsbeamte, Solidaritätsbesuche auf diesen Farmen zu unterstützen, und der Sozialminister selbst traf kürzlich mit Hashomer Yosh, einer Organisation, die aufgrund ihrer Aktivitäten auf diesen Farmen ebenfalls auf der Boykottliste steht. Dies ist nicht nur eine Farce der Gerechtigkeit gegenüber den Palästinensern. Die aktive Unterstützung dieses Projekts durch Regierungsministerien gefährdet den Staat, der in Den Haag bereits mit ernsthaften Problemen konfrontiert ist, sowie die Minderjährigen, die auf diesen Farmen leben.
Alle Institutionen, die dieses System am Laufen halten, müssen dies sofort unterlassen, um die Zukunft aller Bewohner dieses Landes zu sichern.
Der obige Artikel ist der Leitartikel von Haaretz, der in den hebräischen und englischen Ausgaben veröffentlicht wurde.“ https://www.haaretz.com/opinion/editorial/2024-10-13/ty-article-opinion/.premium/outposts-of-deception-how-farms-became-the-vangaurd-of-the-settler-movement/00000192-825d-dd80-af9a-dfff1abd0000?utm_source=mailchimp&utm_medium=Content&utm_campaign=daily-brief&utm_content=c30f6d4b7e
Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.