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Was sind die Sorgen der Palästinenser unter israelischer Besatzung?

Das Palästinensische Zentrum für Politik- und Umfrageforschung hat seine 87. Umfrage bei den Palästinensern im besetzten Westjordanland und im Gazastreifen veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigen zum ersten Mal eine Mehrheit für die Auflösung der Palästinensischen Autonomiebehörde und eine knappe Mehrheit für den bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung. Die Palästinenser verfolgen die Ereignisse in Huwara mit großer Sorge und glauben nicht mehr, dass die Palästinensische Autonomiebehörde sie schützen kann. Israelische rechtsgerichtete Medien nutzten die Umfrageergebnisse, um zu behaupten, die Palästinenser seien gewalttätig.

Das Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) ist eine palästinensische NGO, die von Prof. Dr. Khalil Shikaki geleitet wird. Es wurde in den 1990er Jahren gegründet und führt seither regelmäßig Meinungsumfragen im besetzten Westjordanland sowie im Gazastreifen durch und veröffentlicht die Ergebnisse. Die Palästinenser unter israelischer Besatzung verfügen über keine demokratisch legitimierte Vertretung. Die letzten nationalen Wahlen fanden 2006 statt. Mit unterschiedlichen Maßnahmen versuchten westliche Staaten, u.a. die USA, Kanada und die EU, das Wahlergebnis zu unterlaufen, die zusammengenommen dem Versuch eines Staatsstreichs nahe kommen.

Prof. Dr. Khalil Shikaki, Direktor und Senior Forscher bei PSR. Quelle: PSR.


Die Umfrage Nr. 87 wurde im Westjordanland und im Gazastreifen zwischen dem 8. und 11. März durchgeführt und am 14. März veröffentlicht, sie umfassst  acht Seiten. Befragt wurden  1200 erwachsene Palästinenserinnen und Palästinenser in 120 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Orten.Die Ergebnisse geben Aufschluss über die Frustration, Wut und Angst, die unter den besetzten Palästinensern herrschen, die unter der Kontrolle der rechtsextremen israelischen Regierung leben.

Die Umfrage zeigt zum ersten Mal eine klare Mehrheit der Palästinenser in beiden Gebieten für die Auflösung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), da sie im Interesse der israelischen Besatzung arbeitet und darum Prof. Shikaki zufolge eine Belastung für den palästinensischen Befreiungskampf darstellt. Die Palästinenser bringen damit ihr Misstrauen gegenüber der Führung und der Politik der PA zum Ausdruck.

Darüber hinaus glauben 70% der Palästinenser im Westjordanland, dass eine dritte Intifada bevorsteht, und ein wachsender Prozentsatz der Palästinenser befürwortet den bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung, möglicherweise inspiriert durch den Krieg in der Ukraine, da die Ukrainer mehr internationale Unterstützung für ihren bewaffneten Kampf erhalten als die Palästinenser, die sich bisher an gewaltfreie Methoden wie BDS gehalten haben. Infolgedessen befürworten 68% die Bildung bewaffneter Gruppen, die nicht der PA angehören und bereit sind, gegen die israelischen Streitkräfte zu kämpfen. 52% der Palästinenser im Westjordanland sind besorgt, dass diese bewaffneten Gruppen zu Kämpfen mit den Kräften der PA führen könnten, aber viele von ihnen unterstützen dennoch die Bildung dieser Gruppen. 58% von ihnen befürworten einen bewaffneten Widerstand, um die festgefahrene Situation zu überwinden, und nur 49% befürworten einen gewaltlosen Widerstand.

70% (73% im Westjordanland und 66% im Gazastreifen) glauben, dass die israelischen Maßnahmen zur Bestrafung palästinensischer Widerstandskämpfer und ihrer Familien, wie z.B. der Abriss ihrer Häuser oder die Verhängung der Todesstrafe, zu mehr bewaffneten Angriffen führen werden; nur 8% glauben, dass diese Maßnahmen zu weniger Angriffen führen werden, und 20% glauben, dass sie keinen Einfluss auf bewaffnete Angriffe haben werden.

Die überwiegende Mehrheit der Palästinenser sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen glaubt, dass die israelische Regierung ihre Verpflichtungen aus dem Treffen von Akaba nicht einhalten wird, und erwartet eine Eskalation der israelischen Gewalt. An dem Treffen israelischer Sicherheitsexperten  und der PA nahmen auch die USA, Jordanien und Ägypten teil. Die Palästinenser lehnen eine Sicherheitskooperation mit Israel ab und glauben, dass das israelische Militär weiterhin palästinensische Städte angreifen wird, auch wenn es dadurch seine Zusammenarbeit mit der PA untergräbt.

Die Ereignisse von Huwara spielen in der Umfrage eine wichtige Rolle. Die befragten Palästinenser im Westjordanland befürchten anhaltende Angriffe auf die Stadt, die zwischen dem A-Gebiet und dem C-Gebiet im Westjordanland liegt und von illegalen israelischen Siedlungen umgeben ist. 44% sagen, sie erwarten, dass die israelische Regierung ein Massaker in Huwara verüben wird. Auf die Frage, was die PA tun soll, um Huwara vor diesen Angriffen zu schützen, antworten 39%, die PA soll eine Zivilgarde aus Freiwilligen bilden. 27% meinen, die PA solle Polizeistationen bauen und ständige Polizeieinheiten stationieren. 13% meinen, die PA solle sich an die UNO und den Internationalen Strafgerichtshof wenden, und 9% sagen, sie solle in eine Erklärung den Angriff auf Huwara verurteilen. Diese Antworten zeigen, dass die palästinensische Öffentlichkeit die PA als machtlos wahrnimmt – es gibt keine Mehrheit für ein wirksames Mittel, mit dem die PA die Menschen in Huwara schützen könnte. Die Aktion, die die meiste Unterstützung erhielt, war die Umgehung der PA durch den Aufruf an Freiwillige, Huwara zu bewachen.

Die Umfrage prognostiziert eine Wahlbeteiligung von nur 46%, wenn die Wahlen zwischen Mahmoud Abbas (amtierender Präsident und Führer der Fatah-Partei) und Ismail Hainiyeh (Führer der Hamas-Partei) heute stattfinden würden. Interessanterweise ist die Popularität von Mahmoud Abbas so gering, dass mehr Menschen für Haniyeh stimmen würden, wenn sie zwischen den beiden Parteien wählen müssten, obwohl die Hamas-Partei derzeit nur 33 % und die Fatah 35 % der Stimmen erhält. Wäre jedoch Marwan Barghouti der Kandidat der Fatah, könnte er die Hamas bei einer Wahl leicht besiegen. Barghouti ist jedoch seit fast zwei Jahrzehnten in Israel inhaftiert.

Auf die Frage, welche Partei es am meisten verdiene, das palästinensische Volk zu vertreten und zu führen, nennen 26% die Hamas und 24% die Fatah unter Abbas, während 44% meinen, keine der beiden Parteien verdiene eine solche Rolle. 82% beschuldigen die Institutionen der PA im Westjordanland und 71% die Institutionen der Hamas im Gazastreifen der Korruption. Dies und die erstmalige Mehrheit für die Auflösung der Palästinensischen Autonomiebehörde passt zu den Umfrageergebnissen, wonach nur 26% die Zwei-Staaten-Lösung unterstützen (vor drei Monaten waren es noch 32%) und 71% sie ablehnen.

Interessant ist, dass nur 38% der Palästinenser angeben, dass ihr dringendstes Problem die Besatzung ist. Jedoch erhält kein anderes Problem einen so hohen Wert: für 24% ist die Korruption das größte Problem, 15% sagen, dass interne Spaltungen das Hauptproblem seien, 13% meinen, dass die Arbeitslosigkeit das größte Problem sei, und 5% verweisen auf interne Gewalt in der palästinensischen Gesellschaft.

Es mag die Leser und Leserinnen von BIP Aktuell  interessieren, dass 82% der Palästinenser glauben, die EU und europäische Länder wie Frankreich, das Vereinigte Königreich und Deutschland  werden keine Sanktionen gegen Israel verhängen, um den Ausbau der Siedlungen zu stoppen.

Die Jerusalem Post nutzte die PSR-Umfrage, um aufgrund des Berichts über Huwara zu behaupten, dort handele es sich um palästinensische Gewalt gegen Juden. Screenshot des Artikels der Jerusalem Post vom 18. März 2023.


Die rechtsgerichtete israelische Zeitung Jerusalem Postzitierte nur eine Zahl aus der 8-seitigen Umfrage: dass 71% der Palästinenser die Ermordung von zwei Brüdern aus der Siedlung Har Bracha, Hilel Yaniv und Yegal Yaniv, am 26. Februar in Huwara befürworteten. Die israelischen Medien (siehe BIP-Aktuell #249) berichteten über die Erschießung als einen Terroranschlag und behandeln die Siedler als Zivilisten. In den Augen der Palästinenser sind die Siedler Teil der Besatzungstruppen und werden wie Soldaten behandelt. Sie sind oft bewaffnet, und es wurde nicht berichtet, ob die Yaniv-Brüder bewaffnet waren oder nicht, sondern nur, dass sie auf dem Weg zu ihrer Jeschiwa waren, die gleichzeitig ein Militärstützpunkt ist. Die selektive Berichterstattung der Jerusalem Post zielt darauf ab, die Palästinenser als Unterstützer von Terrorismus darzustellen, um Gewalt gegen sie zu rechtfertigen.

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Das BIP lädt zu einem Vortrag von Riad Othman über das Thema Die Entwicklung in der israelischen Politik und ihre Auswirkungen für die Palästinenser ein. Der Vortrag findet am 20. April um 19 Uhr online statt. Registrierung bei info@bip-jetzt.de


Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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