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Vortrag von Dr. Shir Hever an der Universität Hamburg am 20. November

BIP-Aktuell #328:

  1. Deutsche Verantwortung für die Verhinderung von Völkermord
  2. Erfreulich
  3. Gaza: «Ich träume jede Nacht von Nahrung»

Am 20. November sprach der Geschäftsführer von BIP, Dr. Shir Hever, auf Einladung des Referats für Internationale Studierende (RIS) im AStA der Universität Hamburg und der Palästina Initiative Hamburg an der Universität. Thema des Vortrags war die Verantwortung Deutschlands für die von Israel begangenen Verbrechen. Nachfolgend finden Sie eine gekürzte Fassung des Vortragstextes.

„Wir leben aufgrund von Technologie und Massenmedien, aber auch aufgrund globaler politischer Vereinbarungen in einer globalen Welt. Wir denken vielleicht nicht jeden Tag daran, aber internationale Organisationen wie die UNO und der Internationale Gerichtshof und völkerrechtliche Abkommen wie die 4. Genfer Konvention sind Teil unseres Lebens. Sie wirken sich auf unser Leben aus, und wir lesen in den Zeitungen über sie.


Die Nürnberger Prozesse. Der Wunsch, internationales Recht zu schaffen und Staaten und Einzelpersonen für Gräueltaten zu bestrafen, entstand im Gefolge des Zweiten Weltkriegs. Quelle: 1945, Wikipedia.



Man vergisst leicht, dass es vor hundert Jahren weder die UN noch den Internationalen Gerichtshof (IGH) gab. Das sind Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden. In Deutschland waren die Nationalsozialisten an die Macht gekommen. Die Nazi-Herrschaft hatte falsche Vorstellungen von der bisherigen Welt zerstört. Wenn die Menschen dachten, dass Demokratie nur eine Mehrheitsherrschaft ist, dann war Nazi-Deutschland der Beweis dafür, dass dies nicht ausreicht, sondern dass wir Minderheiten schützen müssen. Wer dachte, dass Rassismus und Hetze unter die Meinungsfreiheit fallen, dem haben die Nazis gezeigt, dass Hetze zur Entmenschlichung und damit zum Massenmord führt. Wenn wir dachten, dass Rechtsstaatlichkeit gleichbedeutend mit Gerechtigkeit ist, haben die Nazis bewiesen, dass Gesetze unmoralisch sein können und dass blinder Gehorsam eine gefährliche Sache ist.

Die UNO wurde gegründet, um einen weiteren Weltkrieg zu verhindern. Der IGH wurde gegründet, um Staaten daran zu hindern, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Die UNO verabschiedete die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes 1951 und nahm die von Raphael Lemkin, einem polnisch-jüdischen Juristen und Friedensforscher, geprägte Definition des Genozids an.

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bemüht, die Welt und sich selbst davon zu überzeugen, dass sie eine Lektion aus der Geschichte gelernt habe. Deutschland trat der UNO bei und unterzeichnete die Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord. Der Prozess des Aufbaus von Schutzmechanismen gegen Faschismus, Rassismus und rechtsextreme Gewalt, gegen Antisemitismus ist aber nicht abgeschlossen. Er geht weiter, und die Bundesrepublik spielt dabei eine wichtige Rolle.

Der Europarat hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschaffen, in der Europäischen Union wurde der Gemeinsame Standpunkt des Rates der Europäischen Union zum Waffenhandel angenommen. Mit dem Übereinkommen von Rom wurde 2002 der Internationale Strafgerichtshof eingerichtet. Deutschland hat das Übereinkommen unterzeichnet und die Zuständigkeit dieses Gerichtshofs akzeptiert. Im Jahr 2014 trat der Vertrag über den Waffenhandel (ATT) in Kraft, und Deutschland hat ihn unterzeichnet.

Aber jetzt muss ich Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen: Deutschland hat unter der Ampelkoalition eine Wendung genommen, die angesichts des vorher Gesagten unverständlich ist: Wenn es um Israel und Palästina geht, verstößt Deutschland gegen die Prinzipien, auf denen die genannten Organisationen und Verträge beruhen. Das wird an den folgenden Beispielen deutlich:

 Erstens: Als der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte, dass „Palästinenser menschliche Tiere sind und entsprechend behandelt werden. Sie werden keine Nahrung, kein Wasser und keine Medizin erhalten“, war dies ein klarer Befehl an das israelische Militär, einen Völkermord zu begehen (siehe BIP-Aktuell #277). Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro sagte: „Das ist die Sprache, mit der die Nazis über die Juden gesprochen haben“, aber der deutsche Verteidigungsminister Pistorius lud Gallant als Ehrengast nach Berlin ein, um ein Waffengeschäft zu unterzeichnen. Pistorius reiste auch nach Tel-Aviv und sagte: „Es gibt keinen Zweifel, lieber Yoav, was wir immer tun können, um dich zu unterstützen, mit materieller Unterstützung, werden wir dies tun.“

Deutschland erlaubt einem israelischen Offizier, Aryeh Sharuz Shalicar, in Deutschland stationiert zu sein, während er dem israelischen Militär dient (siehe BIP-Aktuell #301). Stellen Sie sich vor, dass Russland Soldaten auf deutschem Boden stationieren darf! Shalicar sagte in den sozialen Medien, dass Gaza mit der Hamas gleichzusetzen sei. Mit anderen Worten: Wenn Israel das Recht hat, Hamas-Mitglieder zu töten, hat es auch das Recht, den Gazastreifen auszulöschen, einen Völkermord zu begehen. Sowohl Robert Habeck als auch Annalena Baerbock trafen sich mit Shalicar, behandelten ihn wie einen engen Freund und erlaubten ihm, sie zu Touren in die Nähe von Gaza mitzunehmen.

Die Bundeswehr mietet von Israel Heron-TP-Drohnen, riesige Drohnen, die eine Tonne Munition tragen können. Die Drohnen der deutschen Luftwaffe sind in Israel stationiert. Als Israel mit der wahllosen Bombardierung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen begann, zogen die Bundeswehrsoldaten ab, und Pistorius kündigte an, dass die deutschen Drohnen der israelischen Luftwaffe zur Verfügung gestellt werden. Das bedeutet, dass Drohnen mit dem schwarzen Kreuz der Luftwaffe tonnenweise Bomben auf Zivilisten in Gaza abgeworfen haben. Dies ist ein Kriegsverbrechen.

Am 29. Dezember hat Südafrika Israel vor dem IGH wegen Völkermordes in Gaza angeklagt. Deutschland hat angekündigt, dass es die israelische Seite des Prozesses unterstützen wird. Dies ist zulässig. Habeck sagte auch, dass der südafrikanische Fall keine Rechtsgrundlage hat. Habeck ist kein Rechtsgelehrter oder Jurist, aber offenbar glaubt er, dass er das Völkerrecht besser versteht als Anwälte aus Südafrika.

Am 26. Januar entschied der IGH sinngemäß, es sei „plausibel“, dass Israel einen Völkermord begeht. Er verfügte, dass Israel alles in seiner Macht Stehende tun muss, um Handlungen, die gegen Artikel II der Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord verstoßen, zu verhindern. Ab diesem Zeitpunkt bestand die rechtliche Verpflichtung, die Waffenlieferungen an Israel sofort einzustellen, bis es diese illegalen Handlungen einstellt.

Die drei der prominentesten Völkermordforscher der Welt sind heute zufällig Juden, und zwar Israelis. Sie heißen Prof. Dr. Omer Bartov, Prof. Dr. Raz Segal und Prof. Amos Goldberg. Alle drei haben Texte veröffentlicht, in denen sie ihre juristisch begründete Meinung zum Ausdruck bringen, dass der israelische Angriff auf Gaza der Definition von Raphael Lemkin für Völkermord entspricht, die die Grundlage der Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord bildet. In den deutschen Medien fanden die drei prominenten Wissenschaftler kein Gehör.

Die USA und Deutschland sind die beiden führenden Staaten, die die Anordnung des IGH ignorieren und weiterhin Waffen geliefert haben. Obwohl andere Länder wie Indien, Vietnam und Serbien, Frankreich, Spanien, Italien und das Vereinigte Königreich im Stillen weiter Waffen und Güter mit doppeltem Verwendungszweck an Israel verkauft haben, ist der rechtliche und politische Druck und die Empörung der Öffentlichkeit in diesen Ländern groß, mit der Folge, dass die Waffenlieferungen verzögert und reduziert werden.

Eine kürzlich in Deutschland durchgeführte Umfrage zeigt, dass nur 31 % der Deutschen der Meinung sind, dass Deutschland Waffen an Israel liefern sollte, aber das scheint die deutsche Regierung nicht zu interessieren.

Im April reichte Nicaragua beim Internationalen Gerichtshof Klage gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord ein. Das deutsche Anwaltsteam, das Deutschland vor dem IGH verteidigt hat, hat sehr interessante Argumente vorgebracht; man schaue sich das Video der Verteidigung an. Das Team erklärte nicht, dass Deutschland rechtmäßig handele, indem es Waffen an Israel liefert, sondern man argumentierte stattdessen, dass die Rate der Waffenverkäufe an Israel stark zurückgegangen sei und Deutschland nur wenige Waffen liefere. Aus rechtlicher Sicht ist es illegal, auch nur eine einzige Kugel an eine völkermordende Armee zu verkaufen, auf die Menge kommt es nicht an. Deutschland behauptete auch, es verkaufe keine „Kriegswaffen“, sondern vor allem „sonstige Rüstungsgüter“, eine von Deutschland erfundene Kategorie, wie Helme.

Bei näherer Betrachtung der „sonstigen Rüstungsgüter“ zeigt sich aber, dass es sich dabei um Artikel wie Motoren für israelische Merkava-Panzer handelt, Panzer, die in Videos dokumentiert sind, in denen sie Zivilisten in Gaza absichtlich überfahren und töten. Nach der deutschen Klassifizierung handelt es sich bei dem Motor nicht um eine Kriegswaffe.

In der Zwischenzeit haben israelische Soldaten Videos veröffentlicht, die zeigen, dass sie Matador-Panzerabwehrraketen aus deutscher Produktion einsetzen, um Wohnhäuser zu sprengen, in denen sich Menschen befinden. Matadors sind natürlich Kriegswaffen, sie werden aus Deutschland importiert und für Kriegsverbrechen eingesetzt.

Als die deutschen Anwälte das Gericht aufforderten, die Einstellung des Verfahrens gegen Deutschland anzuordnen, lehnte das Gericht dies ab. Der Fall wird weiter verhandelt, und die Videos von Panzern mit deutschen Motoren, die unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder überfahren, werden an das Team in Nicaragua geschickt.

In der Zwischenzeit erklärte Scholz, Deutschland habe Waffen an Israel geliefert und werde dies auch weiterhin tun. Dies untergräbt die deutsche Verteidigung vor dem IGH. Laut der Bundesregierung sind im Oktober Waffen im Wert von 90 Millionen Euro genehmigt worden. Und das, obwohl Israel seine Absicht erklärt hat, den nördlichen Teil des Gazastreifens ethnisch zu säubern und zu kolonisieren. Zudem hat Israel eine Invasion und eine Bombardierung des Libanon gestartet, womit eine weitere Front eröffnet wurde. Sogar die USA haben gewarnt, dass die Verweigerung der Einfuhr humanitärer Güter nach Gaza – ein Akt, bei dem der Hunger als Waffe eingesetzt wird – gegen amerikanisches Recht verstößt, und damit gedroht, Waffenlieferungen zu stoppen.

Das Beispiel Deutschland, das während des Zweiten Weltkriegs Hunger als Kriegswaffe eingesetzt hat, ist der Grund dafür, dass internationale Konventionen diese Praxis verbieten. Die Schrecken der verhungernden Kinder in Gaza ähneln Bildern aus der Belagerung von Leningrad. Hat Deutschland diesen Teil der Geschichte vergessen?

Im Mai sollte in Berlin ein Palästina-Kongress unter dem Titel „Wir klagen an“ stattfinden. Die international bekannten Ali Abunimah, Ghassan Abu Sitta, Salman Abu Sitta und Yanis Varoufakis hatten Reden genau zu diesem Thema vorbereitet. Der Kongress wurde nach wenigen Minuten von der Polizei abgebrochen. Die Verletzung der Vereinbarung mit der Polizei zur Abhaltung des Kongresses, die Stürmung des Kongresses, die Erteilung eines Betätigungsverbots für einige der Redner – all das sind illegale Handlungen. Ghassan Abu Sitta war später eingeladen, vor dem französischen Parlament zu sprechen – er konnte nicht nach Frankreich einreisen, weil Deutschland ihm die Einreise in die EU untersagt hat.

Aber das sind Verstöße gegen das deutsche Recht, nicht gegen das Völkerrecht. Durch ihre Maßnahmen wollte Innenministerin Faeser den Kongress um jeden Preis zum Schweigen bringen und nicht zulassen, dass die deutsche Öffentlichkeit erfährt, wie die deutsche Regierung internationale Vereinbarungen verletzt.

Eine weitere Bemerkung zu Frau Faeser, die das gleiche Thema betrifft. Faeser lehnte einen Antrag ab, 40 verletzte Kinder aus dem Gazastreifen zur medizinischen Behandlung nach Deutschland zu  holen, und begründete ihre inhumane Entscheidung damit, dass die Erwachsenen, die die Kinder begleiten sollten, Terroristen sein könnten. Sie vermutet offenbar, dass Palästinenser, nur weil sie Palästinenser sind, automatisch des Terrorismus verdächtigt werden. Dies ist reiner Rassismus. Die Weigerung, die verletzten Kinder zu behandeln, ist an sich kein Verstoß gegen das Völkerrecht, und Faesers Motivation dafür mag ein einfacher Hass auf die Palästinenser gewesen sein. Vielleicht wollte die Innenministerin aber auch nicht, dass die Kinder der deutschen Öffentlichkeit vor Augen führen, zu welchen Katastrophen der Einsatz deutscher Waffen in Gaza führt.

Es gibt noch weitere Beispiele für Deutschlands unmoralisches und illegales Verhalten: die Zusammenarbeit mit der israelischen Polizei, das umgehende Anhalten der Zahlungen für das UNRWA aufgrund von Lügen, die von der israelischen Regierung veröffentlicht wurden (siehe BIP-Aktuell #291), das wiederholte Verbot für Palästinenser, öffentlich zu protestieren und den Tod von Zehntausenden zu betrauern. Dazu gehört die jüngste Resolution einer Allparteien-Koalition im Bundestag „Nie wieder ist jetzt“, was ein sehr ironischer Name für eine Resolution ist, die versucht, jede Stimme zum Schweigen zu bringen, die sich in Deutschland gegen Völkermord in Gaza ausspricht. Nicht „nie wieder“, sondern tatsächlich „noch einmal“ wird der Völkermord mit Schweigen bedacht.

Als das Berliner Hauptstadtportal den Film von Basel Adra und Yuval Avraham „No Other Land“ des Antisemitismus bezichtigt hat, nachdem die beiden Filmemacher, Adra und Avraham, ein Palästinenser und ein israelischer Jude, Israel der Apartheid und des Völkermordes beschuldigt hatten, hat das Lemkin-Institut für Völkermordprävention den folgenden Text veröffentlicht:



„Viele von uns glaubten, dass Deutschland wirklich Fortschritte bei der Anerkennung seiner völkermörderischen Vergangenheit gemacht hatte, zumindest in Bezug auf den Holocaust, und dass es dadurch eine stärkere Demokratie geworden war. Wir haben uns geirrt. Völkermord zeugt Völkermord zeugt Völkermord. Der deutsche Staat und die deutschen Eliten haben offensichtlich nichts aus ihrer Geschichte gelernt. Sie fahren fort, Juden zu verfolgen, ohne auch nur einen Moment zu zögern, wenn es ihrer Staatsraison dient. Jetzt haben sie Palästinenser als neue Opfer des deutschen Völkermords hinzugefügt – Palästinenser, die die Folgen der deutschen Verbrechen geerbt haben! Dies wirft ernste Fragen darüber auf, was mit Staaten, die Völkermord in Serie begehen, geschehen soll. Können sich völkermordende Gesellschaften jemals von ihrer völkermordenden Vergangenheit abwenden? Wir hoffen es, aber Deutschland ist eindeutig kein Modell für eine solche Transformation. Deutschland sollte für den Wiederaufbau Palästinas aufkommen müssen, wenn Israels Völkermord endlich gestoppt wird. Und es sollte einen beträchtlichen Teil seines Landes abtreten müssen, um für all den Schaden aufzukommen, den es dem jüdischen und dem palästinensischen Volk zugefügt hat (ganz zu schweigen von den Armeniern und den Herero und Nama in Namibia, die alle aufgrund des deutschen Völkermords immer noch weitgehend landlos sind).“ (Übersetzung durch S.H.)



Dazu eine persönliche Anmerkung: Ich habe diesen Text des Lemkin-Instituts mit großem Unbehagen gelesen. Als ich als Jude nach Deutschland kam, haben mir viele meiner Freunde in Jerusalem gesagt, dass Deutschland kein sicherer Ort für Juden sei, weil die Deutschen nie wirklich aufgehört haben, Nazis zu sein. Ich halte solche Anschuldigungen nicht nur für falsch, sondern lehne sie auch ab, weil es eine sehr gefährliche politische Denkweise ist, anzunehmen, dass bestimmte politische Ideologien im Blut oder in der Kultur bestimmter Nationen verankert sind.

Die Tatsache, dass die jüdische Bevölkerung in Israel den Völkermord in Gaza unterstützt und bereit ist, die Tötung von wehrlosen Zivilisten, von mehr als 17.000 Kindern durch verschiedene Mittel, einschließlich Hunger und Krankheit, zu tolerieren, liegt nicht daran, dass sie jüdisch sind. In der Geschichte des jüdischen Volkes hat keine jüdische Gruppe jemals solche Gräueltaten begangen.

Deutschland, das Völkermord an den Herero und Nama, dann an Juden, Sinti und Roma begangen hat und nun Waffen an Israel schickt, mit denen in Gaza Völkermord gegangen wird, hat also tatsächlich nichts aus der Geschichte gelernt. Aber warum?

Einige von Ihnen werden vielleicht finden, dass meine Aussage, dass Juden in der jüdischen Geschichte nie solche Gräueltaten begangen haben, durch die Bibel widerlegt wird. Wie einige von Ihnen wissen, erzählt die Tora die Geschichte von Amalek, dem Volk, das die alten Hebräer ausrotten sollten (1. Samuel 15,3). Die Amalekiter versuchten, die alten Hebräer zu töten, und wurden ihrerseits mit brutaler Effizienz ausgerottet – sie töteten jeden, vom Säugling bis zum Greis, und sogar ihr Eigentum und ihr Vieh mussten vernichtet werden. König Saul verlor seine Krone, weil er es wagte, König Agag von Amalek am Leben zu lassen. Vielleicht kennen Sie auch die Geschichte des Purimfestes, die auf dem Buch Esther basiert. Als der böse persische Minister Haman plante, einen Völkermord an den Juden zu begehen, ermordeten die Juden ihn und auch alle seine Kinder. Hamans voller Name ist Haman der Agagi, der letzte überlebende Amalek.

Aber das ist nur fiktionale Geschichte, das sind keine historischen Fakten. Nur eine kleine Gruppe von Juden ist fundamentalistisch genug, mörderisch genug, um Menschen im Namen biblischer Geschichten zu töten. Diese Gruppe, die sich selbst als national-orthodox oder religiös-zionistisch bezeichnet, macht etwa zehn Prozent der israelischen Juden aus. Sie ist aber sehr mächtig geworden. Israels Finanzminister Bezalel Smotrich und der Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir rufen dazu auf, die Palästinenser sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland zu vernichten, alle besetzten Gebiete zu annektieren und auch den Libanon zu besetzen und zu besiedeln. Es ist nicht ungewöhnlich, dass das Judentum eine fundamentalistische und extremistische Seite hat, wie der Islamische Staat oder die christlich-evangelikalen Zionisten in den USA, die das zweite Kommen Christi fördern wollen, indem sie einen Atomkrieg im Nahen Osten provozieren.

Die Frage ist jedoch, wie diese Extremisten in Israel an die Macht kamen und zur stärksten politischen Kraft wurden, obwohl sie nur eine kleine Minderheit sind. Hier ist die Antwort leider wieder eng mit Deutschland verbunden.

Denn egal wie schrecklich die Verbrechen der extremen Rechten in Israel sind (siehe BIP-Aktuell #311), Deutschland hat nicht aufgehört, sie zu unterstützen. Als Israel sechs palästinensische zivilgesellschaftliche Organisationen 2021 ohne Beweise des Terrorismus beschuldigte (siehe BIP-Aktuell #193), unterließ es Deutschland, Maßnahmen zu ergreifen, um Israel zur Verantwortung zu ziehen, obwohl diese sechs Organisationen Partner deutscher Institutionen sind und obwohl Israel deutsche Diplomaten illegal ausspionierte, um Beweise gegen diese Organisationen zu finden. Als die Boykottbewegung stärker wurde – der deutsche Bundestag verabschiedete 2019 einen Beschluss, in dem BDS als antisemitisch bezeichnet wurde – , wurden in den Bundesländern und auf Bundesebene insgesamt 17 Beauftragte ernannt, angeblich um Antisemitismus zu bekämpfen, in Wirklichkeit aber um Kritik an Israel und insbesondere BDS zu bekämpfen.

Als sich Mitglieder der israelischen extremen Rechten mit AfD-Politikern trafen und den Bundestag besuchten, kehrten sie mit dem Gefühl nach Israel zurück, dass es keine Grenzen gibt, wie sehr sie den Hass gegen Palästinenser eskalieren können, ohne dass Europa Konsequenzen zieht. Selbst wenn einige EU-Mitgliedstaaten Sanktionen gegen Israel fordern – Deutschland wird diese Versuche blockieren – ebenso wie Deutschland Forderungen nach einem Waffenstillstand im Gazastreifen blockiert hat, als der Völkermord begann.

Als Grund für dieses Verhalten wird auf die Verantwortung der Deutschen wegen des Holocaust hingewiesen. Weil Nazi-Deutschland Millionen von Juden ermordet hat, sehen sich die Kinder und Enkel der Nazis zur Unterstützung Israels verpflichtet. Wie Scholz sagte: „Deutschland hat nur einen Platz, an der Seite Israels.“ Das ist ein logischer Trugschluss, denn Nazi-Deutschland hat nicht Israel bekämpft, sondern Juden ermordet. Die meisten Juden leben nicht in Israel, und die meisten Juden unterstützen den Völkermord in Gaza nicht.

Es ist klar, dass es eine tiefe Heuchelei gibt und Doppelstandards gepflegt werden. In der Tat ist Deutschland, wie viele andere Länder auch, durch Interessen motiviert, nicht durch hehre Ideale. Israel ist ein wichtiger Abnehmer von deutschen Waffen und anderen Produkten. Die Palästinenser haben fast kein Geld, um deutsche Produkte zu kaufen. Das U-Boot-Geschäft zwischen dem deutschen Unternehmen Thyssenkrupp und Israel hat Thyssenkrupp vor dem Bankrott gerettet. Aber noch mehr als das – es geht um den Einfluss, den die USA auf Deutschland haben.

Die Behauptungen vom „Kampf gegen den Antisemitismus“ sind völlig unzutreffend und nicht mehr als ein Vorwand, um ein ungerechtfertigtes Vorgehen zu rechtfertigen.

In der Tat hat die deutsche Unterstützung für Israel und den Zionismus zutiefst antisemitische Ziele – die Juden sollten weggehen und nach Palästina gehen. die Berliner Polizeipräsidentin sagte am 18. November, dass Juden in Berlin keine Kippas tragen sollten, insbesondere in von arabischen Migranten bewohnten Stadtteilen. Mit anderen Worten: Anstatt Juden zu schützen, sagt die Berliner Polizei ihnen, dass Berlin für sie nicht sicher ist, und gibt den Arabern die Schuld dafür. Das ist deutscher, nicht-jüdischer Zionismus – und er ist natürlich antisemitisch.

Wenn die Deutschen also über die Erinnerungskultur sprechen, sich aber nicht daran erinnern, wie sich Entmenschlichung anhört, was es bedeutet, eine ganze Gruppe von Menschen als „menschliche Tiere“ zu bezeichnen und eine ganze Bevölkerung auszuhungern, um alle zu töten, ist diese Art der „Erinnerungskultur“ unehrlich. Es ist, wie Prof. Raz Segal schon schrieb, ein „Lehrbuchfall von Völkermord“, aber die Deutschen haben das Lehrbuch nicht gelesen.

Die deutsche Nahostpolitik ist in einer Sackgasse. Die gesamte EU ändert ihre Richtung. Die Welt ruft nach Sanktionen, einschließlich eines militärischen Embargos gegen Israel. Keine noch so umfangreiche Menge deutscher und amerikanischer Waffen wird es Israel ermöglichen, einen Krieg auf Dauer zu führen und alle Palästinenser, alle Libanesen und alle Syrer zu töten. Der Krieg wird enden. Es wird Tribunale und Prozesse geben für diejenigen, die Völkermord begangen haben und die Kriegsverbrechen begangen haben. Vielleicht werden sich sogar Deutsche auf der Bank des Internationalen Strafgerichtshofs wiederfinden, um zu erklären, warum sie so gehandelt haben, wie sie es getan haben.




Dr. Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, veröffentlichte auf Instagram diesen Aufruf. Quelle: 2024, Instagram.



Es gibt bereits Stimmen des Protests und der Wut in der deutschen Gesellschaft, Petitionen, Menschen, die darauf hinweisen, dass Artikel 25 des deutschen Grundgesetzes den deutschen Behörden verbietet, Völkermord zu unterstützen. Gerichtsurteile haben das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Legalität von BDS in Deutschland immer wieder verteidigt, auch wenn die Medien sich bei Informationen über die Gerichtsurteile zurückhalten, wenn sie nicht in die „deutsche Staatsräson“ passen. Die Palästinenser haben die Hoffnung ganz im Sinne ihres Mottos Sumud (Standhaftigkeit) nicht verloren und nicht aufgegeben, selbst im Angesicht des Völkermords.

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Angesichts der zumeist sehr deprimierenden Berichte in unserem Newsletter steht an dieser Stelle die Rubrik „Erfreulich“ – in der Hoffnung, dass diese Meldungen uns allen Mut machen, denn „Aufgeben ist keine Option“!

BA 328 „Erfreulich“:
Der Göttinger Völkerrechtler Prof. Dr. Kai Ambos positioniert sich in den Medien eindeutig:

  • Prof. Dr. Kai Ambos hat in der Markus Lanz-Sendung hat zu Recht betont, Deutschland werden international doppelte Standards vorgeworfen bzgl. Ukraine-Gaza: https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-28-november-2024-102.html
  • Kaum ein Völkerrechtler hält das Vorgehen Israels in Gaza nach dem Hamas-Terror noch für verhältnismäßig, sagt der Experte Kai Ambos. Auch zu Antisemitismusvorwürfen hat er eine eindeutige Meinung.https://www.hna.de/kassel/verhaeltnismaessigkeit-kaum-zu-begruenden-93436783.html
  • Fünf palästinensische Beschwerdeführer sowie die palästinensischen Dörfer Iskaka, Tabyeh und Marda haben eine Beschwerde beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gegen die deutsche Mediengruppe Axel Springer S.E. eingereicht. https://www.facebook.com/photo/?fbid=10161375271624081&set=a.407616364080

Am Dienstag gab die Firma Puma bekannt, dass sie ihren Vertrag mit dem israelischen Fußballverband (IFA) zum Jahresende kündigen wird. Im Jahr 2023 hatte sie bereits ihr Sponsoring der israelischen Nationalmannschaft beendet.
https://newsletters.mondoweiss.net/emails/webview/59730/139276100508321117
BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.
Gaza: «Ich träume jede Nacht von Nahrung»
Blutiges Zahnfleisch, 30 Kilo verloren, verwundet beim Versuch, Lebensmittel zu finden – Menschen in Gaza werden ausgehungert.

„Nachdem die US-Regierung ihr 30-tägiges Ultimatum an Israels Regierung ohne Konsequenzen hat verstreichen lassen, ist die humanitäre Lage in Gaza katastrophaler denn je. Die Menschen essen Hundefutter oder teilen sich einen Dattelkeks: die eine Hälfte am Mittag, die andere am Abend. Es bahnt sich eine gigantische Hungersnot an.

Augenzeugenbericht aus Gaza
Der Journalist Abubaker Abed versucht, neben seiner Suche nach etwas Essbarem für seine Familie, die Weltöffentlichkeit ob der unerträglichen Situation vor Ort ins Bild zu setzen. Den Augenzeugenbericht, auf dem dieser Artikel basiert, hat er auf «Drop Site News» publiziert. 
Vor dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und der brutalen Bombardierung des Gazastreifens durch Israel kamen täglich noch 500 Lastwagen mit Lebensmitteln in den schmalen Landstreifen. Schon damals war dies nicht ausreichend für eine ausgewogene Ernährung der Bevölkerung von über 2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Heute überqueren noch 45 Lastwagen mit humanitärer Hilfe die Grenze, und die kommerziellen Transporte von Lebensmitteln für die Märkte sind komplett eingebrochen.

Das «Ultimatum» der US-Regierung: Bloss eine «Idee»
Die US-Regierung forderte über ihren Aussenminister Anthony Blinken ein Minimum von 350 Lastwagen pro Tag; ansonsten würde sie «ihre Politik gegenüber der Regierung von Netanyahu revidieren» müssen. Das Ultimatum lief vor zwei Wochen ab. Die Situation ist nicht etwa besser geworden, im Gegenteil. Doch seitens der USA geschah… nichts. Der Sprecher des State Department, Vedant Patel, meinte lakonisch, dass es sich beim Ultimatum von Blinken bloss um eine «Idee» gehandelt habe.
Inzwischen verhungern immer mehr Menschen, vergiften sich mit verdorbenen Lebensmitteln oder kommen durch Bombenbeschuss um beim Versuch, irgendetwas Essbares zu finden.

Gewürze gelten als Lebensmittel
Abubaker Abed berichtet von seiner eigenen Familie: ´Wir sind gezwungen, Tierfutter in Dosen zu essen, gemischt mit minderwertigem Reis, der sich anfühlt, als würde man Plastik kauen. Wir leben in Deir al-Balah, und wie überall in Gaza gibt es auf den Märkten nichts zu kaufen. Wir essen in der Regel eine Mahlzeit am Tag, meist etwas Dosenfutter zusammen mit Olivenöl und Za’atar [eine Gewürzmischung]. Um Brot zu backen, müssen wir von Wanzen befallenes Mehl verwenden. An manchen Tagen, wenn wir nichts anderes finden, sind wir gezwungen, absurde Preise für verrottetes Gemüse zu zahlen. Ich habe starke Magenschmerzen. Ich würde lieber fasten, als das zu essen.`
Yasmeen Abu-Hmeidan ist eine Mutter von vier kleinen Kindern, die nach Deir al-Balah geflüchtet ist, südlich des grossen Flüchtlingslagers Nuseirat. Sie erzählte Abubaker Abed: ´Kürzlich nahm ich meinen einen Monat alten Säugling mit und stand mehr als drei Stunden in der Schlange für eine Dose Milch und eine Tüte mit Windeln. Aber ich habe nichts bekommen. Unsere übliche Mahlzeit sind gekochte Bohnen oder Erbsen, aber wir haben nicht immer welche, oder sogar das Feuerholz, um sie zu kochen, fehlt. Stattdessen essen wir vielleicht etwas Za’atar oder Dukka [andere Gewürzmischung] mit ein paar Broten, die meist altbacken sind. Mein fast zweijähriger Sohn leidet jetzt an Zahnbluten, weil er keine Milch mehr bekommt. Ich kann weder Milch noch Medikamente für ihn auftreiben. Hier in Gaza müssen wir unerschwingliche Summen bezahlen, um überhaupt etwas zu bekommen. Für eine Linsensuppe muss man zum Beispiel 20 Dollar bezahlen. Es ist wirklich wahnsinnig.`

Statt echte Eier Fotos von Eiern im Internet
Andere Eltern berichten, dass ihre Kinder vor Hunger im Schlaf schrieen und am Morgen um ein Ei flehten. Da es solche aber nicht mehr gebe, zeige man ihnen Fotos von Eiern im Internet. Im Norden von Gaza sei die Situation aufgrund der harten Massnahmen des israelischen Militärs noch dramatischer. Abubaker Abed berichtet von einem 48-jährigen Mann, der auf der Suche nach etwas Essbarem von einem israelischen Panzer unter Feuer genommen wurde. Er und weitere Begleiter wurden schwer verletzt. 
Abbas Saleh – so heisst der Mann – meinte gegenüber Drop Site News: ´Israel nimmt gezielt Menschen ins Visier, die auf der Suche nach Nahrung und Wasser sind. Wir können kaum eine Mahlzeit pro Tag bekommen. Das ist eigentlich keine Mahlzeit, sondern nur ein Stück Brot oder eine Dose mit Lebensmitteln, die schon vor Monaten abgelaufen sind. Während der letzten Invasion habe ich viele Tage ohne einen Bissen überstanden. An mehreren Tagen hatte ich den ganzen Tag über nur einen Dattelkeks. Ich habe ihn in zwei Hälften geteilt, eine für den Tag und die andere für die Nacht. Manchmal essen wir ein paar selbst angebaute Pflanzen wie Malven. Sogar das Wasser hier ist verseucht.` Er habe bereits über 30 Kilo abgenommen. 

Aushungern als Kriegsstrategie
Inzwischen hat die israelische Regierung auch die kommerziellen Lieferungen für noch bestehende Märkte und Geschäfte gestoppt. Diese konnten für all jene Menschen, die noch Geld haben, immerhin die erforderlichen Grundnahrungsmittel bereitstellen. Für Abubaker Abed ist klar, dass es sich um eine gezielte Strategie seitens Israel handle, die Bevölkerung in Gaza auszuhungern. Dies wird allgemein als «Genozid» definiert.

Träumen vom Lieblingsessen
Abubaker Abed beschliesst seinen Augenzeugenbericht mit den folgenden Worten: ´Ich habe wirklich Lust auf mein Lieblingsgericht, Schakschouka[arabisches Eiergericht]. Aber es gibt keine Eier und nicht einmal Tomaten, um es zuzubereiten. Unsere Qualen sind unbeschreiblich. Unser Schmerz ist unermesslich. Wir sind ausgehungert und zittern vor Angst und Kälte. Aber niemand unternimmt etwas, um diese Tragödie zu beenden. Ich weiss nicht, wann es ein Ende haben wird, aber ich träume von dem Tag, an dem ein Waffenstillstand verkündet wird und ich in die Trümmer meines Hauses zurückkehren und all die Gerichte essen kann, von denen ich in den letzten 14 Stunden geträumt habe.` https://www.dropsitenews.com/p/gaza-hunger-israel-restricts-aid
Abgedruckt im https://www.infosperber.ch/politik/gaza-ich-traeume-jede-nacht-von-nahrung/


Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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