Israelische Kolonisierungsbemühungen gehen auf beiden Seiten der Grünen Linie weiter
Die israelische Regierung genehmigte die Errichtung von sieben Siedlungen, die nur jüdische Bewohner im Negev aufnehmen sollen, um die Freiheit der einheimischen Beduinenbevölkerung einzuschränken und sie in ein kleineres Gebiet zu zwingen. Diese Politik der unverhohlenen Apartheid und Kolonisierung wird von rechten Israelis als „Judaisierung des Negev“ bezeichnet. Israelische Minister der Rechten und der Linken beteiligen sich bei dieser Dehumanisierung der Beduinen.
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Mehr als 100 zivilgesellschaftliche Organisationen starten eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) zur Sammlung von einer Million Unterschriften von EU-Bürger*innen, um den europäischen Handel mit illegalen Siedlungen in besetzten Gebieten zu beenden.
Dabei handelt es sich nicht um eine Petition, sondern um eine verbindliche Kampagne, die die Europäische Kommission dazu zwingen soll, den rechtlichen Status von Produkten zu prüfen, die aus den besetzten Gebieten in Palästina und Westsahara eingeführt werden.
Hier kann man teilnehmen.
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Am Sonntag, den 10. April hat die israelische Regierung einen Plan gebilligt, der von zwei israelischen Ministern, der Innenministerin Ayelet Shaked von der Jamina-Partei (siehe BIP-Aktuell #209 und BIP-Aktuell #210) und dem Minister für Wohnungsbau und Jerusalem Ze’ev Elkin von der Partei Neue Hoffnung, vorgelegt wurde. Dem Plan zufolge sollen sieben neue Siedlungen nur für Juden im Negev, dem südlichen Teil des Staates Israel, der innerhalb der international anerkannten Grenzen des Staates Israel liegt, errichtet werden. Bei den sieben Siedlungen handelt es sich um eine landwirtschaftliche Siedlung, eine Stadt namens Tela und fünf kommunale Siedlungen.
Das nicht anerkannte Dorf Al-Araqib wurde seit 2010 198 Mal abgerissen. Seine behelfsmäßigen Strukturen werden von den Beduinen, die keinen anderen Platz zum Leben haben, immer wieder neu aufgebaut. Quelle: Keren Manor, Activestills, 2017.
Hintergrund der Entscheidung sind die Spannungen und die Gewalt im Negev, wo den Beduinen ihr Land entzogen wird, ihre Dörfer vom Staat nicht anerkannt werden und sie keine Grundversorgung erhalten (siehe BIP-Aktuell #202). Die israelische Regierung betrachtet die Beduinen als „widerspenstige Kriminelle“ und „Eindringlinge“. Ayelet Shaked erklärte, die Errichtung von sieben jüdischen Siedlungen im Negev sei „wichtig für die Sicherheit“, da die jüdische Besiedlung des Landes die Bewegungsfreiheit der „widerspenstigen Beduinen“ einschränke.
Am 13. April erklärte Shaked offen, dass es ihr Ziel sei, den Negev zu „judaisieren“. Ultraorthodoxe Juden sollen rekrutiert werden, damit sie in rein jüdische Siedlungen ziehen, um sie zur Teilnahme am zionistischen Projekt zu bewegen (Quelle auf Hebräisch).
Im März propagierte die Regierung einen anderen Plan zur Errichtung von fünf Siedlungen, vier für Juden und eine für Beduinen. Dieser Plan diskriminiert bereits die Beduinen im Negev, die die ursprüngliche Bevölkerung des Gebiets ausmachen. Er wurde nach dem Anschlag in Be‘er-Sheva, das im Negev liegt und bei dem vier Israelis getötet wurden, vorangetrieben. Kommunikationsminister Yoaz Hendel von der Partei Neue Hoffnung sagte daraufhin: „Wo es keine Landwirtschaft und Siedlungen gibt, greifen andere zu“ (Quelle auf Hebräisch) – eine Aussage, die das Recht der Beduinen, in ihren eigenen Häusern zu leben und Landwirtschaft zu betreiben, nicht anerkennt. Sie werden als „Andere“ bezeichnet. Nadin Abu-Laban vom Forum gegen Aufwiegelung und Rassismus unter den Arabern des Negev schrieb, der Vorschlag sei „ein Finger im Auge der Beduinen“ (Quelle in Hebräisch). Schließlich wurde auch dieser Plan abgelehnt und durch einen noch extremeren Plan ersetzt, der den Bau von sieben Siedlungen nur für Juden, aber keine Siedlungen für Beduinen vorsieht.
Siedlungen, die nur für eine einzige ethnische Gruppe innerhalb eines Staates bestimmt sind, bedeuten eine direkte Anwendung der Apartheid. Die israelische Regierung kann Siedlungen für eine bestimmte Bevölkerung ausweisen, indem sie sich auf Artikel 8 des Gesetzes über Zulassungsausschüsse aus dem Jahr 2011 beruft. Dieses Gesetz, das in der von der Rechtsschutzorganisation Adalah zusammengetragenen Datenbank rassistischer Gesetze enthalten ist, erlaubt es einer Siedlung, einen Zulassungsausschuss einzurichten, der „dem Charakter der Siedlung entsprechend“ definiert, wer in der Siedlung leben darf. In der Praxis handelt es sich dabei um ein Apartheidgesetz, das die Errichtung von Siedlungen legalisiert, die nur Juden vorbehalten sind.
Der Protest gegen die Versuche, den Negev zu judaisieren, geht von einem Plan zum nächsten. Vor einem Jahrzehnt förderte die israelische Regierung den Prawer-Plan, der vorsah, Beduinen in kleinen, dichten Städten zu konzentrieren und sie mit rein jüdischen, landwirtschaftlichen Siedlungen zu umgeben. Der Plan wurde wirksam bekämpft. Quelle: Tal King, 2013, Flickr.
Jaffar Farah, der Direktor des Mossawa-Zentrums für die Rechte der arabischen Bürger Israels, spielte auf die politische Krise in Israel an, die zum Sturz der Regierung und zu einer weiteren Wahlrunde führen könnte, indem er sagte: „Eine weitere populistische Entscheidung einer Regierung am Ende ihrer Tage, die öffentliche Gelder verschwendet und nicht in der Lage ist, Arbeitsplätze und Wohnraum in Rahat, in Mitzpe Ramon und in Dimona bereitzustellen“, wobei er drei bestehende Städte im Negev nannte, von denen nur Rahat als Beduinenstadt gilt. Amir Basharat, der Berater des Landesrates der arabischen Gemeinden, sagte dazu (Quelle auf Hebräisch):
„Die Regierung entscheidet sich dafür, den Finger in die Wunde zu legen und jede Ausweitung der Beduinensiedlungen und die Anerkennung der Dörfer, denen die Anerkennung verweigert wird, zu verhindern. Damit verstärkt sie die Polarisierung zwischen den verschiedenen Gruppen im Negev, anstatt eine nachhaltige Entwicklung für alle Bewohner des Negev, Juden und Araber, zu schaffen.“
Besonders bemerkenswert war die Antwort von Umweltministerin Tamar Zandberg von der Meretz-Partei. Zandberg vertritt die zionistische Linke in Israel, und es wurde erwartet, dass sie sich gegen einen rassistischen Plan zur Vertiefung der Apartheid im Negev aussprechen würde. Zandberg ist zwar gegen den Plan, aber ihre Gründe sind nicht politischer und rechtlicher Art, sondern ökologischer Natur. Zandberg verweist auf die Analyse von Experten (Quelle auf Hebräisch), nach denen offene und unbebaute Flächen im Negev für die Pflanzen- und Tierwelt in der Region unerlässlich sind. Vielmehr sollten die bestehenden Siedlungen erweitert werden, anstatt neue zu bauen. Einige Tierarten sind vom Aussterben bedroht, wie z. B. die Kragentrappe und die Große Wüstenspringmaus. Natürlich muss die einzigartige und wertvolle ökologische Vielfalt der Negev-Wüste erhalten werden, aber Zandbergs Argumente gegen den Plan, die sich auf den Schutz von Vögeln und Nagetieren und nicht auf den Schutz von Menschen stützten, umgehen die politische Problematik, sind zudem rassistisch und beleidigend.
Drei israelische Menschenrechtsorganisationen: Die Assocation for Civil Rights in Israel (ACRI), Bimkom („Alternative“) und Sikkui („Chance“) haben bei der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt und sie als rassistisch und diskriminierend bezeichnet (Quelle auf Hebräisch). Die Generalstaatsanwältin kann die Entscheidung nicht aufhalten, aber sie kann die Regierung warnen, dass sie selbst nicht in der Lage sein wird, die Regierung zu verteidigen, wenn die Menschenrechtsorganisationen beim Obersten Gerichtshof Berufung einlegen werden.
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Eine neue Folge von BIP-Gespräch ist da. Diese Woche sprechen wir mit Dr. Michael Lüders, Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft.
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Liebe Nahost -Interessierte,
BIP organisiert eine große internationale Konferenz in Nürnberg vom 27. bis 29. Mai in der Meistersingerhalle. Renommierte Referenten und Referentinnen aus dem In- und Ausland werden das Konferenzthema Israelis und Palästinenser – Leben unter Diskriminierung und Rechtlosigkeit? diskutieren.
Leider hat Frau Aydan Özoguz aus terminlichen Gründen ihre Teilnahme absagen müssen.
Folgende Informationen bitte ich zu beachten:
- Die Anmeldung für die Konferenz bitte nur an Dr. Götz Schindler per e-Mail goeschi42@googlemail.com, per Post: Breite Wiese 23, 85617 Aßling.
2. Die Kosten für die Konferenz betragen inklusive Verpflegung 125€ (für Rentner mit Grundsicherung/Studenten/HartzIV-Empfänger 80€). Bitte überweist den Betrag an BIP Bündnis für Gerechtigkeit, Stichwort BIP-Konferenz, Kontonummer DE43 2545 1345 0051 0579 58.
3. Wenn Ihr nach einer Hotelunterkunft sucht, so gibt es neben vielen anderen Möglichkeiten:
a. das Ramada-Parkhotel https://ramada-nuernberg.de Münchner Str. 21 in unmittelbarer Nähe der Meistersingerhalle (fußläufig 2 Minuten). Mit dem Manager des Ramada haben wir Folgendes vereinbart:
Jeder Gast muss sich selbst anmelden: (im Ramada info@ramada-nuernberg.de), und dann auch selbst an der Rezeption bezahlen.
Das Ramada verfügt über etwa 200 Zimmer. Die mit dem Manager abgesprochenen Kosten betragen: Für das EZ 65€ und für das DZ 110€, jeweils inkl. Frühstück. Bitte gebt bei der Reservierung an: „BIP-Konferenz“.
b. Falls Ihr andere Hotelwünsche habt, so gibt es z.B. auch das ibis am Hauptbahnhof (EZ 78€) sowie das B&B am Bahnhof, das mit 48€ das günstigste ist. Beim ibis könnt Ihr reservieren unter „BIP-Konferenz“.
Liebe Nahost-Interessierte, es sind noch Anmeldungen möglich. Wir würden uns freuen, wenn Ihr diese Einladung auch großflächig weiterleiten könntet.
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BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.
In den letzten zwei Wochen wurden 17 Palästinenser getötet. Gideon Levy fragt (Haaretz, 14.April): Das soll kein Terrorismus sein?
„Abdul Karim Saadi erwartete uns an unserem üblichen Treffpunkt, dem Hof einer Lederfabrik außerhalb von Tulkarem. Saadi stieg aufgeregt in sein Auto, er versuchte vergeblich, seine Tränen zu unterdrücken. Saadi war entsetzt über das, was er im Flüchtlingslager von Jenin erlebt hatte. „Sie treiben das gesamte Lager in die Arme der Terroristen“, sagte der zurückhaltende, erfahrene B’Tselem-Ermittler mit gebrochener Stimme. Er arbeitet in dieser Gegend und hat schon alles gesehen.
Es geschah letzte Woche, wenige Tage nach dem Terroranschlag in der Dizengoff-Straße in Tel Aviv, während der Fahndung nach dem Vater des Angreifers, Raad Hazem. Dieser reizte die Sicherheitskräfte mit seinen Reden über den bevorstehenden palästinensischen Sieg, was sie dazu veranlasste, ihn zusammen mit seinen noch lebenden Söhnen zu jagen.
„In eurer Generation werdet ihr den Sieg erleben“, rief der Vater den jungen und erregten Freunden seines Sohnes zu, die sich unter dem Balkon seines Hauses versammelt hatten. Aber: Der Shin Bet und die IDF mögen keine Palästinenser, die so reden. Palästinenser dürfen nur den Kopf senken und kriechen oder schweigen. Nur wir Israelis dürfen drohen und uns brüsten. Unsere trauernden Eltern dürfen natürlich alles sagen, was ihnen in ihrer Trauer durch den Kopf geht, sie dürfen um sich schlagen und aufhetzen, aber palästinensische trauernde Eltern dürfen nicht einmal so genannt werden. Es soll ihnen kein Hauch von Menschlichkeit anhaften.
Die Soldaten schossen auf ein Auto, in dem sie den Bruder des Angreifers vermuteten. „Es gab Treffer, und die Verfolgung geht weiter“, ermutigte der Armeesprecher die Israelis, die auf den Tod des Vaters warteten. Die Verfolgungsjagd diente nur dazu, die Flammen im Flüchtlingslager von Jenin weiter zu schüren. Der trauernde Vater wurde bislang noch nicht festgenommen – ein echter Fehler der Sicherheitskräfte, aber man kann sich darauf verlassen, dass der Shin Bet und das Militär ihn nicht seinem Kummer überlassen und so viel Macht einsetzen, wie sie aufbringen können, bis er wegen Aufwiegelung verhaftet oder möglicherweise eliminiert wird.
In den ersten beiden Aprilwochen gab es 20 Tote, drei Israelis auf der Dizengoff-Straße und 17 Palästinenser im Westjordanland und in Aschkelon. All dies folgte auf die Welle von Anschlägen im letzten Monat, bei denen 11 Israelis und 11 Palästinenser getötet wurden.
In einer Atmosphäre von Terroranschlägen fallen die letzten Hemmungen, die die Armee zurückhalten. Siebzehn tote Palästinenser in zwei Wochen, die alle als Terroristen galten, von denen die meisten den Tod aber nicht verdient hatten.
Die Medien berichteten, wenn überhaupt, nur kurz, und immer im Duktus der von den Sicherheitsdiensten vorgegebenen Propaganda-Informationen, die zumindest zum Teil aus Lügen bestehen, bequemen Lügen für die Ohren aller Israelis: Die blinde Witwe hat versucht, jemanden zu erstechen, und, verdammt, als kein Messer bei ihr gefunden wurde, nicht einmal eine Schlinge, lautete die Erklärung, dass sie vielleicht versucht habe, Selbstmord zu begehen. Der Anwalt, der seinen Neffen zur Schule brachte, war an Zusammenstößen beteiligt; der tote Junge hatte einen Molotowcocktail geworfen; sogar der verkrüppelte und krebskranke Jugendliche, der kaum stehen kann, wurde von Soldaten verhaftet, nachdem er angeblich mit seinen ausgemergelten Armen, die kaum einen Schuh heben können, tödliche Steine geworfen hatte. Die Israelis haben das alles blindlings, vielleicht sogar mit Begeisterung, hingenommen, denn wenn es um das Leben von Palästinensern geht, ist alles erlaubt.
Jeder dieser Todesfälle bedeutet für eine Familie Trauer und in vielen Fällen auch das Ende ihrer letzten Lebensgrundlage. Ihr geliebter Mensch wurde getötet, ungeachtet der Umstände? Die Konsequenz: Die Arbeitserlaubnis für Israel wird für viele Jahre entzogen, um mögliche Racheakte abzuwehren. Eine Katastrophe ist nicht genug, zwei sind besser.
Siebzehn Tote in 15 Tagen. Ein Mega-Anschlag, der nicht als Terror bezeichnet wird.“
Anmerkung der Redaktion: Abdul Karim Saadi, Fieldworker von B´Tselem, ist nicht nur seit vielen Jahren Gideon Levys Freund und Kontaktperson im besetzten Westjordanland. Er hat auch mit seinen Informationen Generationen von EAPPI-Freiwilligen bei deren Arbeit geholfen. Wolfgang Sréter (München) hat über seine Arbeit einen Artikel in junge Welt am 12.08.17 unter dem Titel veröffentlicht: „Entmündigt im eigenen Land“.
https://www.haaretz.com/opinion/.premium-17-palestinians-have-been-killed-in-the-past-two-weeks-that-s-not-terrorism-1.10745788?utm_source=mailchimp&utm_medium=email&utm_content=author-alert&utm_campaign=Gideon%20Levy&utm_term=20220417-00:26
Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.