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Eine gescheiterte Reform der israelischen Zentralbank zeigt, wie palästinensische Arbeitnehmer ausgebeutet werden

Die Wirtschaft im Westjordanland hängt von den Löhnen von über 100 000 palästinensischen Arbeitern ab, die täglich die Grenze überqueren, um in Israel ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das von der israelischen Regierung eingeführte komplexe Genehmigungssystem wurde angeblich aus Sicherheitsgründen eingeführt, hat aber in der Praxis einen Schwarzmarkt für den Verkauf gefälschter Genehmigungen geschaffen und zwingt die palästinensischen Arbeiter, einen großen Teil ihres Einkommens an korrupte Vermittler zu zahlen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten.

Die schon 55 Jahre andauernde israelische Militärbesatzung im Westjordanland hat die palästinensische Wirtschaft stranguliert und die Entwicklung der Industrie, der Landwirtschaft, des Finanzwesens und des Dienstleistungssektors gebremst. Daher gibt es im Westjordanland nicht genügend Arbeitsplätze, um die wachsende palästinensische Bevölkerung zu beschäftigen. Wir haben darüber bereits in BIP-Aktuell #91 berichtet.

Palästinensische Arbeiter morgens ab 4 Uhr am Qalandia-Nord Checkpoint. Quelle: Ekkehart Drost.



Seit den ersten Tagen der Besatzung haben israelische Unternehmen von der Beschäftigung palästinensischer Arbeiter, die sie zu niedrigen Löhnen einstellen, profitiert. Landwirtschafts- und Wohnungsbausektor in Israel hängen bis heute von der Arbeit von mehr als 100.000 palästinensischen Arbeitern ab, die jeden Tag die Kontrollpunkte passieren, um in Israel zu arbeiten. Die meisten von ihnen haben eine Arbeitsgenehmigung, die jedoch (wie ähnliche Genehmigungen, die die südafrikanische Regierung während der Zeit der Apartheid schwarzen Arbeitern erteilte) nur für bestimmte Stunden gültig ist, so dass die Arbeiter gezwungen sind, jeden Abend nach der Arbeit nach Hause zu gehen. Dieses Genehmigungssystem führt dazu, dass sich tagtäglich in den frühen Morgenstunden lange Schlangen an den Kontrollpunkten bilden. Die Arbeiter müssen stundenlang warten, um nach einer peinlich genauen Kontrolle pünktlich zur Arbeit auf die andere, die israelische Seite zu kommen.

Dem israelischen Soziologen Lev Greenberg (Quelle auf Hebräisch) zufolge wurde das Genehmigungssystem durch Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung, den großen Unternehmen und der Histadrut, dem israelischen Dachverband der Gewerkschaften, eingeführt. Die Palästinenser wurden nicht in die Entscheidung einbezogen mit dem Ergebnis, dass sie zwar Gewerkschaftsbeiträge an die Histadrut und Steuern an die israelische Regierung zu zahlen haben, aber für die Zahlung derselben Beiträge und Steuern nicht dieselben Vorteile wie israelische Arbeitnehmer erhalten.

Die israelische Wirtschaft ist von palästinensischen Arbeitnehmern abhängig, insbesondere im Bausektor, da es in Israel an Wohnraum mangelt. Die Regierung hat sogar Ausnahmen für palästinensische Arbeiter während der Covid-Sperrungen gemacht, um den Bau von Wohnungen aufrechtzuerhalten und den Anstieg der Wohnungspreise zu bremsen.

Loch im Zaun bei Azzoun. Durch dieses Loch betreten jeden Tag palästinensische Arbeiter illegal, also ohne Genehmigung, aber in Kenntnis der Armee, israelisches Gebiet. Quelle: Ekkehart Drost.



Die israelische Regierung erklärte, dass die Genehmigungen aus Sicherheitsgründen erforderlich sind. Ein spezielles Computerprogramm namens „Rolling Stone“ ist an jedem Kontrollpunkt und in den Handcomputern der Soldaten installiert, so dass Palästinenser überall überprüft werden können. Die Soldaten erfahren dadurch, ob die Arbeiter auf einer geheimen Liste von Personen stehen, denen aus Sicherheitsgründen die Einreise in israelisches Gebiet verweigert wird. Diese kann aus vielen Gründen verweigert oder entzogen werden. Der häufigste Grund ist, wenn ein Familienmitglied vom israelischen Militär getötet, verletzt oder verhaftet oder verdächtigt wird, der Hamas anzugehören. Um Racheakte zu verhindern, werden alle Familienmitglieder kollektiv als verdächtig eingestuft und erhalten ein „Sicherheitsverbot“.

Die eigentliche Sicherheitskontrolle der Arbeitnehmer ist jedoch dezentral bei den Arbeitgebern angesiedelt. Die israelischen Arbeitgeber haben eine Liste der Arbeitnehmer und sind verpflichtet, der Polizei oder dem Militär zu melden, wenn sich die Arbeitnehmer verdächtig verhalten. In vielen Fällen haben die Arbeitgeber bewusst falsche Meldungen gemacht, um die Arbeitserlaubnis eines Arbeitnehmers zu annullieren und ihn so an der Einreise nach Israel zu hindern. So können sie die Zahlung des Gehalts dieses Arbeitnehmers vermeiden. Die Fälle, in denen palästinensische Arbeitnehmer in Israel tatsächlich an gewalttätigen Übergriffen beteiligt waren, sind jedoch so stark zurückgegangen, dass israelische Arbeitgeber nicht mehr befürchten müssen, für Arbeitnehmer verantwortlich gemacht zu werden, die sie nicht einmal kennen.

Palästinenser ohne Genehmigung können versuchen, sich nach Israel einzuschmuggeln, um dort illegal zu arbeiten, was sehr gefährlich ist. Sie sind nicht versichert und können von der Armee verprügelt, verhaftet oder sogar erschossen werden. Andere, etwa 40.000, arbeiten in den illegalen Siedlungen, für die keine Genehmigungen erforderlich sind, aber wie die palästinensische Wirtschaftswissenschaftlerin Leila Farsakh herausgefunden hat, werden ihre Löhne drastisch niedriger.

Die Möglichkeit, legal in Israel zu arbeiten, ist für palästinensische Arbeitnehmer also viel Geld wert. Sie zahlen einen großen Teil ihres Einkommens für Transport, Lebensmittel (da es an den Kontrollpunkten Beschränkungen für die Mitnahme von Lebensmitteln aus dem Westjordanland gibt) und Steuern. Außerdem müssen sie für die biometrische Karte, ohne die ihre Arbeitsgenehmigung nicht gültig ist, und eine Gebühr für die Genehmigung selbst bezahlen. Darüber hinaus hat sich ein Schwarzmarkt entwickelt, auf dem israelische Arbeitgeber vorgeben, mehr Arbeiter einzustellen, als sie tatsächlich tun. Wie bereits erwähnt, wissen die Arbeitgeber, dass eine Ermittlung gegen sie wegen einer gefälschten Arbeitsgenehmigung sehr unwahrscheinlich ist, da die Gewaltbereitschaft unter palästinensischen Arbeitnehmern sehr gering ist. Die zusätzlichen Genehmigungen werden dann gegen Geld verkauft, in der Regel an palästinensische Zwischenhändler im Westjordanland, die sie dann an Arbeit suchende Palästinenser verkaufen.

Bethlehem Checkpoint. Quelle: Ahmad el-Bazz, 2017, Activestills.



Im Jahr 2019 veröffentlichte die israelische Zentralbank einen ausführlichen Bericht (Quelle auf Hebräisch) über diesen Schwarzmarkt und forderte die israelische Regierung dringend  auf, das Genehmigungssystem zu reformieren, um den Schwarzmarkt zu unterbinden. Sie forderte die Regierung auf, Arbeitgeber zu bestrafen, die Arbeitsgenehmigungen an Arbeitnehmer und Vermittler verkaufen. Vielmehr müsse es in Zukunft palästinensischen Arbeitnehmern erleichtert werden, Genehmigungen direkt und legal zu erhalten.

Die Journalistin Tali Haruti-Sover deckte im Januar dieses Jahres auf, dass die Reform der israelischen Zentralbank gescheitert ist und der Schwarzmarkt für Arbeitsgenehmigungen weiter besteht. Haruti-Sovers Studie ergab, dass ein palästinensischer Bauarbeiter 8.000 New Israeli Shekel/NIS (2.240 Euro) verdient, was nur auf den ersten Blick als ausreichend erscheint. Aber: 500 NIS davon müssen für Mahlzeiten, 1.500 NIS für den Transport und 2.500 NIS für die Arbeitserlaubnis bezahlt werden, so dass ihm 3.500 NIS (980 Euro) bleiben. Von den 2.500 NIS, die für die Arbeitserlaubnis gezahlt wurden, sind 600 NIS der Gewinn des palästinensischen Vermittlers, und 1.900 NIS verbleiben bei dem israelischen Arbeitgeber, der die gefälschte Erlaubnis verkauft hat.

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Eine neue Folge des Podcasts BIP-Gespräch ist da. Diese Woche sprechen wir mit BIP-Mitglied Dr. med. Eva Renate Marx-Mollière.
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BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.

The PIPD Weekly Updates vom 16. – 23. Januar berichten:
Dokumentarfilm enthüllt das Tantoura-Massaker von 1948:
Die späten Geständnisse israelischer Armeeveteranen beweisen, dass Palästinenser 1948  vor der Zerstörung ihres Dorfes  Tantoura massakriert wurden. Dies bestätigt einmal mehr, was Palästinenser*innen seit Jahrzehnten über die Massaker im Zuge der Nakba berichten und dokumentiert haben. 
Joshua Flanders schrieb am 22. Januar im „Forward“, der bekanntesten jüdischen Zeitung in den USA, gegründet 1897:
„Eine Woche nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 (und drei Tage vor der Gründung der israelischen Verteidigungsstreitkräfte) kam es im palästinensischen Dorf Tantoura zu einem groß angelegten Massaker an mehr als 200 Arabern. Dieses Ereignis war ein Zwischenfall in den Kriegen von 1947-1949, einem Zeitraum, den die israelischen Juden als Unabhängigkeitskrieg bezeichnen. Die Palästinenser verwenden einen anderen Begriff: Al Nakba, oder die Katastrophe.
Die Einzelheiten des Geschehens in Tantoura sind seit langem umstritten, wobei einige israelische Juden behaupten, es sei nichts passiert, und die meisten weigern sich, überhaupt darüber zu sprechen. Indem die Regierung das Massaker in Tantoura nicht anerkennt, versucht sie, dieses Thema zu tabuisieren.“
Ein neuer Dokumentarfilm eines israelischen Regisseurs, der am 20. Januar, dem Eröffnungsabend des Sundance-Filmfestivals in Park City, Utah, seine Weltpremiere feierte, geht den Ereignissen auf den Grund. Der Film von Alon Schwarz mit dem schlichten Titel „Tantoura“ untersucht auch, warum die Nakba in Israel ein Tabuthema ist und was geschah, als eine Person die Einzelheiten dieses Ereignisses in Frage stellte.
Das Tantoura-Massaker war eine der großen „Kontroversen“ innerhalb Israels über die Leugnung der Nakba. Der Student Theodore Katz, der das Massaker in seiner Masterarbeit untersuchte, wurde heftig angegriffen, und sein Ruf wurde beschädigt. Er wurde jedoch von Ilan Pappé verteidigt, der deswegen seine Anstellung an der Universität Haifa verlor und seitdem in England an der University of Exeter arbeitet. 

Über den Zeitraum vom 11. bis 24. Januar berichtet OCHA https://ochaopt.us5.list-manage.com/track/click?u=5a6b19e1cb44562e4e7a92167&id=77413fc442&e=3065666374
Am 18. Januar stürmten israelische Streitkräfte eine Schule im Dorf Deir Nidham (Ramallah), griffen zwei 17-jährige Schüler körperlich an und nahmen sie unter dem Verdacht fest, Steine geworfen zu haben. Nach Angaben des Schulleiters beschädigten die israelischen Streitkräfte bei körperlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Schulpersonal, den Schülern und den israelischen Streitkräften Fenster, Stühle und Tische der Schule. Der Unterricht wurde für den Rest des Tages ausgesetzt, wovon über 210 Schüler betroffen waren.“

Dieser Angriff auf palästinensische Bildungseinrichtungen hat eine unrühmliche Tradition: Bereits am 24.02.2014 veröffentlichte die Zeitschrift
„Internationale Politik und Gesellschaft“ der Friedrich-Ebert-Stiftung einen Artikel unter dem Titel „Besatzung verhindert Bildung in Palästina“
„Die in einem Bericht des palästinensischen Ministeriums für Bildung und Hochschulbildung neu veröffentlichten Zahlen für den Zeitraum vom 01.01. – 31.12.2013 belegen die fortgesetzte Besatzungspolitik Israels gezielt gegenüber Bildungseinrichtungen und Schulen:
So wurden im vergangenen Jahr 12.071 Schüler und Schülerinnen, 547 Lehrer und Lehrerinnen sowie sechs Angestellte von israelischen Besatzungssoldaten attackiert bzw. als Zielscheibe benutzt. Die einzelnen Attacken waren in ihrer Art und Weise unterschiedlich: von Tötungen, Verletzungen, Festnahmen über Verhaftungen, Hausarrest bis hin Behinderungen an den Checkpoints und elektronischen Absperrungen. Durch diese Aggressionen sind sowohl menschliche als auch materielle Verluste zu beklagen.“

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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