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Verhaftungen ohne Gerichtsverfahren und Ermordung eines Arztes

Die Zahl der Palästinenser, die ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren in Administrativhaft gehalten werden, ist so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Tatsache, dass die Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit das Apartheidsystem akzeptiert, macht es den Demonstranten schwer, gegen die von der rechtsextremen Regierung vorangetriebene Justizreform zu argumentieren. In der Zwischenzeit hat die Polizei Mohammad Khaled Osaibi in der Altstadt von Jerusalem getötet und behauptet, dass es keine Videoaufnahmen von dem Vorfall gibt. In diesem Fall versucht die Polizei, sich der Verantwortung für die Tötung eines israelischen Bürgers zu entziehen. Beide Vorfälle stehen im Zusammenhang mit den verstärkten Kontrollen während des Ramadan.

Während die israelische Öffentlichkeit die Proteste gegen die Justizreformen im Staat Israel fortsetzt (siehe BIP-Aktuell #245), sprechen die Demonstranten über Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz und die Unabhängigkeit des Justizsystems, die bereits jetzt geschwächt sind. Zum Beispiel erinnerte der Leitartikel von Haaretz vom 2. April daran, dass sich derzeit 971 Personen in israelischen Gefängnissen in Verwaltungshaft befinden (siehe BIP-Aktuell #226). Von ihnen sind 967 Palästinenser aus dem besetzten Westjordanland. Dies ist die höchste Zahl von Menschen in Verwaltungshaft seit dem Ende der zweiten Intifada vor 20 Jahren.



Quelle: Visualizing Palestine, 2021.


Haaretz hat den Zusammenhang zwischen den Protesten gegen die Justizreformen und der Verwaltungshaft deutlich gemacht: In beiden Fällen werden die Gerichte umgangen, um die Gesetze auf parteiische und willkürliche Weise umzusetzen. Die israelische Öffentlichkeit hat 75 Jahre lang akzeptiert, dass die von der britischen Mandatsmacht 1948 hinterlassene Notstandsregelung es den Behörden erlaubt, Menschen zu verhaften, sie ohne Gerichtsverfahren zu inhaftieren und die Haftzeit beliebig oft zu verlängern. Da die Gesetze zur Administrativ- oder Verwaltungshaft nicht nur in Israel, sondern auch in den besetzten Gebieten gelten, handelt es sich bei fast allen Administrativhäftlingen um Palästinenser. Der israelische Shin Bet, die Geheimpolizei, kann sich darauf berufen, dass er geheime Beweise gegen diese Menschen hat, die nicht einmal Kontakt zu ihren Anwälten aufnehmen dürfen, und so handelt der Shin Bet ungestraft und mit unkontrollierter Macht. Nun, da die israelische Regierung das Justizsystem kontrollieren und willkürlich in das Leben auch jüdischer israelischer Bürger eingreifen will, protestieren große Teile der Öffentlichkeit, aber ihr Protest ist auch heuchlerisch, denn sie müssen sich fragen lassen, warum sie nicht schon früher protestiert haben, da Palästinenser schon lange demselben Schicksal ausgesetzt sind. Dazu bemerkt Yara Hawari in einem Interview mit Yumna Patel, dass die Demonstranten versuchten, dem Apartheidsystem ein liberales Feigenblatt zu verpassen.

Der Grund für die aktuell große Zahl von Gefangenen in Verwaltungshaft ist der Fastenmonat Ramadan. Rechtsextreme jüdische israelische Gruppen versuchen mit Unterstützung einer christlichen Gruppe, während des Pessach-Festes, das in diesem Jahr mit dem Ramadan zusammenfällt, auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee im Haram Al-Sharif illegal ein Lamm zu opfern. Dies ist eine gefährliche Provokation während des heiligen Monats Ramadan, in dem die Muslime zum Gebet in die Al-Aqsa-Moschee kommen. Der Polizeichef Yaakov Shabtai warnte den Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir, selbst Mitglied der Tempelberg-Bewegung, die Anspruch auf den Tempelberg erhebt, dass mehr Polizeibeamte erforderlich sind, um den Frieden in Ostjerusalem während des Pessach-Festes und des heiligen Monats Ramadan zu wahren. Ben-Gvir lehnte dies ab, weil er eine Nationalgarde gründen will, die ihm direkt unterstellt ist und nicht der Polizei untersteht. Palästinenser werden daher in großer Zahl und ohne Anklage verhaftet werden, um sie von Ostjerusalem fernzuhalten und die Gefahr von Konfrontationen zu verringern.

Obwohl die von Polizeichef Shabtai angebotene Lösung darin bestand, mehr Polizei einzusetzen, ist die Polizei oft eher das Problem als die Lösung. Am Samstag, den 1. April, der zweiten Woche des Ramadan, wurde der Arzt Mohammad Khaled Osaibi von der Polizei in der Altstadt am Kettentor, einem Tor für Muslime auf dem Weg zur Al-Aqsa-Moschee, erschossen.

Mohammad Khaled Osaibi war 26 Jahre alt und hatte gerade sein Medizinstudium in Rumänien abgeschlossen. Er war ein israelischer Staatsbürger aus der Stadt Houra im Negev.

Nach Angaben der Polizei handelte es sich bei Osaibi um einen Terroristen, der das Gewehr eines Polizeibeamten an sich riss und das Feuer auf einige Polizisten eröffnete; er sei erschossen worden, um seinen Angriff zu beenden. Obwohl die Altstadt von Jerusalem eine der am stärksten überwachten Gegenden der Welt ist, mit CCTV-Kameras an jeder Straßenecke, behauptet die Polizei, dass es kein Videomaterial von dem Vorfall gebe, weil das Kettentor eine „tote Zone“ für die Kameras sei.

Zeugen, die sich in der Nähe aufhielten, widersprechen der Version der Polizei. Sie sagen, dass Osaibi mit der Polizei sprach, nachdem er gesehen hatte, wie diese eine palästinensische Frau am Tor belästigte, und dass er kaltblütig aus kurzer Entfernung erschossen wurde, wobei etwa zehn Schüsse zu hören waren.

Nachbarn und Freunde von Osaibi erinnern sich daran, dass Yakub Alqian 2017 in Umm Al-Hiran (nicht weit von Houra) von der Polizei getötet wurde und ebenfalls von der Polizei ohne Beweise als Terrorist beschuldigt wurde. Osaibis Familie, die arabische Partei Raam und viele Journalisten glauben der Polizei nicht, dass es kein Videomaterial von dem Vorfall gibt. Sogar ein ranghoher Polizeibeamter sagte gegenüber Haaretz, die Behauptung, es gäbe kein Filmmaterial, sei absurd (Quelle auf Hebräisch). Die Journalistin Amal Oraby tweetete: „Es gibt keine tote Zone in der Altstadt, es gibt einen toten Palästinenser in der Altstadt“ (Quelle auf Hebräisch).

Nach der Tötung haben Palästinenser (sowohl israelische Bürger als auch solche, die unter militärischer Besatzung leben) protestiert. Aus Protest gegen die Tötung wurde ein eintägiger Generalstreik unter den palästinensischen Bürgern Israels ausgerufen (Quelle auf Hebräisch).

Am 3. April veröffentlichte Haaretz einen Leitartikel, in dem eine externe, unabhängige Untersuchung der Erschießung von Osaibi gefordert wurde, doch bereits am 23. Februar hatte die Knesset in erster Lesung einen Gesetzentwurf mit der verharmlosenden Bezeichnung  „Gesetz für innere Angelegenheiten“ behandelt. Damit würde der Staatsanwaltschaft die Befugnis über die Abteilung für innere Angelegenheiten der Polizei entzogen und auf den Justizminister selbst übertragen, so dass der Minister politisch entscheiden kann, wann gegen Polizeibeamte wegen angeblichen Fehlverhaltens ermittelt werden soll und wann nicht. Wann die Knesset das Gesetz verabschieden wird, ist nicht bekannt.

Sowohl die Verwaltungshaft von fast tausend Menschen als auch die Ermordung von Mohammad Khaled Osaibi fallen in die Zeit des Ramadan, in der die Spannungen besonders groß sind, und beide Fälle zeigen, dass das israelische Justizsystem Juden und Palästinenser nicht gleichbehandelt und somit ein Apartheidsystem herrscht. Die von der rechtsextremen israelischen Regierung vorangetriebene Justizreform ist daher keine Bedrohung für die israelische Demokratie, sondern vor allem eine Bedrohung für die Privilegien der jüdischen Bevölkerung. Für Palästinenser sind die Erwartungen an die Justiz, die Staatsanwaltschaft und die Polizei ohnehin sehr gering.

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Eine neue Folge des BIP-Gesprächs ist da. Diese Woche sprechen wir mit Prof. Dr. Moshe Zimmermann.
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Das BIP lädt zu einem Vortrag von Riad Othman über das Thema Die Entwicklung in der israelischen Politik und ihre Auswirkungen für die Palästinenser ein. Der Vortrag findet am 20. April um 19 Uhr online statt. Registrierung bei info@bip-jetzt.de

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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