BIP Konferenz in Nürnberg 24.5.24-26.5.24
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Aktuelle Beiträge

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Die Gazafizierung des Westjordanlandes

1. Massenvertreibungen im Westjordanland
2. Erfreulich
3. Rundbrief der Palästinensischen Botschaft in Wien

Parallel zum Krieg in Gaza hat Israel einen schon sechzehn Monate andauernden Angriff auf das Westjordanland gestartet. Mit dem Waffenstillstandsabkommen in Gaza hat die Intensität der Massenvertreibungen im Westjordanland zugenommen. Die israelische Regierung brüstet sich damit, 40.000 Palästinenser vertrieben zu haben, aber das israelische Militär räumt ein, dass diese Zahl übertrieben ist. Gleichzeitig töten Soldaten und Siedler, verwüsten und zerstören Häuser von Palästinensern. Auch Masafer Yatta ist besonders betroffen.

Während der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen unsicher bleibt, eskaliert Israel die Gewalt im Westjordanland. Siedlermilizen greifen Dörfer an und nehmen Land und Eigentum in Besitz, während sie von der Armee geschützt werden. Das israelische Militär führt Razzien und Bombardierungen durch und zerstört Gebäude im gesamten Westjordanland, vor allem aber in den Städten Jenin, Tulkarem und Nablus im nördlichen Teil des Westjordanlandes. UN-Generalsekretär Antonio Guterres erklärte am 24. Februar, er sei sehr besorgt über diese Angriffe.

Israels Verteidigungsminister Israel Katz (BIP-Aktuell #325verkündete stolz, dass das israelische Militär 40.000 Palästinenser aus ihren Häusern im Westjordanland vertrieben hat, und nannte damit dieselbe Zahl, die in der obigen Infografik von Visualizing Palestine genannt wird. Das israelische Militär selbst gab an, dass bislang nur 13.000-14.000 Palästinenser vertrieben wurden, was darauf hindeutet, dass die israelischen Behörden eine groß angelegte ethnische Säuberung im Westjordanland beabsichtigen. Dagegen steht der Widerstand der Palästinenser vor Ort und ihre kreativen Versuche, an ihrem angestammten Land festzuhalten. Dieser Widerstand, den die Palästinenser „sumoud“ oder „Standhaftigkeit“ nennen, begrenzt die Wirksamkeit des israelischen Militärangriffs. Das israelische Militär gab bekannt, dass es eine ganze Panzereinheit in das Flüchtlingslager Jenin entsandt hat, doch es stellte sich heraus, dass es sich nur um zwei Panzer gehandelt hat (Quelle auf Hebräisch). Dies ist ein Zeichen für die internen Konflikte innerhalb der Regierung. Einerseits beschwichtigt die Regierung die Rechtsextremen und verspricht ihnen eine Ausweitung der Siedlungen im Westjordanland, um sie dafür zu entschädigen, dass sie die Möglichkeit zum Bau von Siedlungen im Gazastreifen verloren haben. Auf der anderen Seite sind die Ressourcen des Militärs und die Zahl der verfügbaren Soldaten und Panzer für einen weiteren Krieg begrenzt.

Betroffen von der israelischen Gewalt ist die palästinensische Zivilbevölkerung, die die Brutalität der israelischen Angriffe, die Tötung und Verletzung von Zivilisten, den Vandalismus an palästinensischem Eigentum, die Massenverhaftungen und die Zerstörung von Häusern beklagt. Der Berliner Journalist Hanno Hauenstein berichtete in einem Artikel für das +972 Magazine, dass Palästinenser im Westjordanland erklärten, die derzeitigen israelischen Angriffe seien noch schlimmer als die während der zweiten Intifada von 2000-2004, und dass sie von der „Gazafication“ des Westjordanlandes sprechen, der Übertragung der völkermörderischen Methoden aus dem Gazastreifen auf das Westjordanland, auch wenn die Angriffe noch nicht das Niveau eines Völkermordes erreicht haben.

Israel hat ein Gesetz gegen die größte UN-Hilfsorganisation in Palästina, UNRWA, erlassen (BIP-Aktuell #324), und Siedler versuchen nun, das Land zu übernehmen, auf dem UNRWA-Einrichtungen betrieben werden, während die Organisation nicht in der Lage ist, dringend benötigte Hilfe für die Familien bereitzustellen, die aus ihren Häusern vertrieben werden.



Abriss eines Hauses in Masafer Yatta am 11. Februar. Quelle: 2025, Instagram.



Ein Gebiet, das neben den drei oben genannten Städten ebenfalls stark von den Anschlägen betroffen war und ist, ist das Gebiet von Masafer Yatta (BIP-Aktuell #217), über dessen Zerstörung der Film „No Other Land“ von Basel Adra und Yuval Avraham berichtet. Der Film, der auf der Berlinale gezeigt wurde, hat nun einen Oscar  gewonnen. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte nach der Dankesrede der beiden gesagt, sie habe nur für den Juden Yuval Avraham geklatscht. Basel Adra schrieb im +972 Magazine, gegen die Gewalt der Siedler gegenüber den Dorfbewohnern in Masafer Yatta würde auch eine Oscarnominierung nicht helfen.

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Angesichts der zumeist sehr deprimierenden Berichte in unserem Newsletter steht an dieser Stelle die Rubrik „Erfreulich“ – in der Hoffnung, dass diese Meldungen uns allen Mut machen, denn „Aufgeben ist keine Option“!

BA 338 Erfreulich
Oxfam Dänemark:
„Heute hat unsere Klage gegen den dänischen Staat begonnen“.

Gemeinsam mit Amnesty International Dänemark,Mellemfolkeligt Samvirke und der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq fordern wir vor dem Obersten Gerichtshof, dass Dänemark alle Waffenexporte nach Israel stoppt.
Bei diesem Prozess geht es um mehr als Recht – es geht um Gerechtigkeit.
Wir wissen, dass Israels brutales Vorgehen mehr als 48.000 Palästinenser das Leben gekostet und mehr als 90 % des Gazastreifens in Trümmern hinterlassen hat. Wir wissen, dass Waffenteile aus dänischer Produktion in den F-35-Kampfjets enthalten sind, die Israel gegen die Zivilbevölkerung einsetzt. Und wir wissen, dass Dänemark sich im Rahmen des UN-Waffenhandelsabkommens verpflichtet hat, keine Waffen zu exportieren, wenn die Gefahr besteht, dass sie für Kriegsverbrechen eingesetzt werden. Aus diesem Grund sind wir jetzt vor Gericht.
In den ersten Prozesstagen wird das Oberste Gericht entscheiden, ob wir ein rechtliches Interesse an dem Fall haben.
 Das bedeutet, dass wir in hohem Maße betroffen sein müssen, um den Fall führen zu können. Wir glauben, dass dies der Fall ist; Oxfam hat 28 Mitarbeiter in Gaza, unsere Kollegen wurden bombardiert, getötet und verletzt, und unsere humanitäre Arbeit für die Zivilbevölkerung in Gaza war völlig unmöglich. Wenn wir erfolgreich sind, wird das Verfahren fortgesetzt, und wir werden die Einschätzung der dänischen Gerichte erhalten, ob dänische Waffenexporte nach Israel legal sind.“
https://oxfam.dk/stoet/retssag-for-stop-af-vaabeneksport-til-israel?utm_source=clickdimensions&utm_medium=email&utm_campaign=Retssag-2025&utm_content=email-impact0225-l&_cldee=3MeuHWfV0Bx1zTtIFj193vLQYBHm322tEKSTW9gq0DNA_Hb0AUxD_MUpn5uZ6uN0&recipientid=contact-e921d49f8a9ceb11b1ac000d3ab7a1a3-86d9733c9df148f49acd802d41708dd9&esid=4dd1daf0-aaf2-ef11-be1f-000d3a698845

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) Tel Aviv wirbt für einen Film palästinensischer und jüdischer Staatsbürger Israels:
„Am 24. und 25. November 2024 versammelte sich eine Gruppe diverser Akteur*innen – palästinensische und jüdische Staatsbürger*innen Israels, politische und soziale Aktivist*innen, die tief in ihren jeweiligen Communities verwurzelt sind – in den Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv. Diese Aktivist*innen sind langjährige Partner*innen für das Israel-Büro der RLS vor Ort und wir unterstützen sie daher in ihrem Engagement für politische, wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit für alle Menschen in Israel. Wir baten sie daher, vor der Kamera eine Reihe von Fragen zu ihren Erfahrungen und Reflexionen der vergangenen knapp 14 Monate zu beantworten, und dokumentierten in diesem Film ihre bewegenden und inspirierenden Antworten für das deutschsprachige Publikum. (…)
Dieses Projekt entstand aus dem Wunsch unserer Mitarbeiter*innen, Raum für persönlich-politische Geschichten zu schaffen, die oft ungehört bleiben. Es vereint authentische Zeugnisse von Trauer, Kampf, aber auch Hoffnung und unerschütterlicher Stärke von Menschen, die seit fast eineinhalb Jahren im Krieg leben und dennoch weiterhin sprechen, handeln und auf eine bessere Zukunft hoffen. (…)
Nicht zuletzt dokumentieren wir mit diesem Film, dass es weiterhin diejenigen progressiven Stimmen in Israel gibt, die Solidarität und die Unterstützung der internationalen Linken benötigen, heute mehr denn je.“
https://www.youtube.com/watch?v=3Tk7SZjd-os

BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.
Aus dem Rundbrief der Palästinensischen Botschaft in Wien:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
Der Genozid in Gaza hat zu einem dramatischen und erschreckenden Rückgang der Lebenserwartung der palästinensischen Bevölkerung geführt, so eine neue Studie, die am 8. Februar 2025 in der angesehenen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde. Die Studie liefert eine umfassende Analyse der verheerenden Auswirkungen des Krieges auf die öffentliche Gesundheit und zeigt auf, dass sich die Lebenserwartung der Menschen in der Region seit Oktober 2023 fast halbiert hat. Die von Prof. Michel Guillot, einem führenden Soziologen an der University of Pennsylvania, geleitete Studie hebt ein zentrales Thema hervor: die tiefgreifenden und oft übersehenen Folgen bewaffneter Konflikte für die Demografie und die öffentliche Gesundheit.
Vor Oktober 2023 lag die Lebenserwartung im Gazastreifen bei einem relativ stabilen Durchschnitt von 75,5 Jahren. Aufgrund der unerbittlichen Gewalt und der daraus resultierenden humanitären Krise ist diese Zahl jedoch zwischen Oktober 2023 und September 2024 – also binnen eines Jahres – auf alarmierende 40,5 Jahre gesunken. Die Ergebnisse sind keine statistische Größe, sondern stellen reale Menschenleben dar, die von systemischer Gewalt, Verlusten und Traumata betroffen sind, die das tägliche Leben in Gaza bestimmen.
Die Studie beschreibt außerdem die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern und zeigt einen stärkeren Rückgang bei Männern, deren Lebenserwartung von 73,6 Jahren auf 35,6 Jahre gesunken ist – ein erschütternder Rückgang von 51,6 %. Frauen sind zwar ebenfalls stark betroffen, haben aber einen geringeren Rückgang der Lebenserwartung zu verzeichnen, nämlich von 77,4 Jahren auf 47,5 Jahre, was einem Rückgang von 38,6 % entspricht. 
Die schwer zu kalkulierenden und erfassenden indirekten Auswirkungen des Genozids werden das Leben der Menschen in Gaza noch jahrzehntelang bedrohen. Von Oktober 2023 bis Mitte Januar 2025 bombardierte Israel den Gazastreifen mit der Kraft von fast sechs Atombomben und zerstörte dabei ganze Stadtteile. ExpertInnen zufolge wird es mehr als 15 Jahre dauern, bis die Trümmer beseitigt sind, und Jahrzehnte für den Wiederaufbau. Die palästinensische Bevölkerung atmet Luft, die durch mehr als 15 Monate Bombardierung verseucht ist. Sie können den Giftstoffen, die Krebs und Atemwegserkrankungen verursachen, nicht entkommen. Israel hat zwei Millionen PalästinenserInnen im Gazastreifen, darunter viele Kinder, über 15 Monate lang systematisch ausgehungert. Menschen wurden (und werden) gezwungen, in überfüllten und unhygienischen Lagern zu leben. Die Folgen von Hunger und Krankheiten können ein Leben lang anhalten. All diese Faktoren – gemeinsam mit dem zerstörten Gesundheitssystem – werden sich auch in Zukunft schädlich auf die Lebenserwartung der palästinensischen Bevölkerung auswirken. 
Im The Guardian erschien am vergangenen Wochenende ein Bericht, in dem zwei britische Ärzte – Dr. Ghassan Abu-Sittah und Prof. Nizam Mamode – über die langfristigen Auswirkungen der Angriffe auf Gaza sprechen – sie befürchten, dass sich die Zahl der palästinensischen Todesopfer vervierfachen könnte. Das Überhandnehmen von Infektionskrankheiten und zahlreichen Gesundheitsproblemen im Zusammenhang mit Unterernährung sowie die Zerstörung von Krankenhäusern und die Ermordung von medizinischem Fachpersonal führen ihrer Meinung nach dazu, dass die Sterblichkeitsrate unter den PalästinenserInnen im Gazastreifen auch nach einem Ende der israelischen Angriffe hoch bleiben wird. 
Prof. Nizam Mamode, ein pensionierter britischer Transplantationschirurg aus Hampshire, der im vergangenen Jahr im Nasser-Krankenhaus im südlichen Gazastreifen gearbeitet hat, sagt, dass die Zahl der „Nicht-Trauma-Todesfälle“ letztendlich sogar noch deutlich höher als 186.000 sein könnte. Ein wichtiger Faktor dafür ist die gezielte Tötung von medizinischem Personal während des Krieges.
Von sechs Gefäßchirurgen, die einst den Norden von Gaza versorgten, ist nur noch einer übrig geblieben. Auch von den Krebspathologen ist keiner mehr am Leben. Abu-Sittah berichtet, dass ganze Teams von medizinischen SpezialistInnen aus dem Gazastreifen ausgelöscht wurden und dass die Ausbildung, die erforderlich ist, um sie zu ersetzen, bis zu zehn Jahre dauert: „Bestimmte Fachgebiete existieren nicht mehr. Es gibt keine Nephrologen [ein auf Nierenbehandlung spezialisierter Arzt] mehr. Sie wurden alle umgebracht. Es gibt keine zertifizierten Notfallmediziner mehr.“ 
Eine weitere Sorge ist die Ausbreitung von Krankheiten, die durch die Zerstörung von Infrastrukturen wie z. B. Abwassersystemen begünstigt wird. Dr. Abu-Sittah hat gegenüber Scotland Yard und dem Internationalen Strafgerichtshof über seine Arbeit in Gaza Zeugnis abgelegt. Er beschrieb die dort herrschenden Krankheiten als eine Katastrophe: „Hepatitis, Durchfallerkrankungen, Atemwegserkrankungen und die im Krieg wieder aufgetretene Kinderlähmung werden weiter grassieren, weil es noch immer keine Kanalisation und kein sauberes Trinkwasser gibt, noch immer keine Unterkünfte und keine Kliniken für die medizinische Grundversorgung. Man wird nicht in der Lage sein, Infektionskrankheiten zu stoppen oder auch nur einzudämmen.“ Er warnte außerdem vor der Ausbreitung arzneimittelresistenter Bakterien und berichtete von einem Fall, bei dem sechs von sieben PatientInnen, die er nacheinander behandelte, „mehrfach arzneimittelresistente Bakterien“ aufwiesen.
Prof. Mamode warnt davor, dass ein weiteres, wichtiges langfristiges Gesundheitsproblem die psychologischen Traumata sind, die die Bevölkerung nach 15 Monaten Krieg davongetragen hat: „In den kommenden Monaten werden diese Probleme allmählich in den Vordergrund treten, weil die Menschen sich bisher nur auf das tägliche Überleben konzentriert haben. Wenn dieser Druck nachlässt, werden sich [die psychologischen Auswirkungen] auf unterschiedlichste Art und Weise manifestieren.“

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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