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Israelische Kolonisten im besetzten Westjordanland tragen Schusswaffen, warum?

Zusammenfassung: Kolonisten im besetzten Westjordanland tragen Waffen, um ihre Macht und Kontrolle über das Gebiet zu zeigen. Palästinenser*innen ist es nicht erlaubt, Schusswaffen zu tragen. Anstatt zum Schutz vor palästinensischen Aufständen werden die Waffen dazu benutzt, Palästinenser*innen einzuschüchtern und ihr Eigentum zu beschädigen oder zu zerstören. Das israelische Ministerium für öffentliche Sicherheit weigert sich, Daten über die Anzahl der Waffen der Kolonisten herauszugeben.

Das ikonische und stereotype Bild eines israelischen Kolonisten im Westjordanland ist ein Mann mit Bart, einer Kippa, die Quasten einer Tzizit ragen unter dem Hemd hervor, und ein Sturmgewehr hängt über der Schulter. Die meisten israelischen Siedler im Westjordanland entsprechen nicht dieser Vorstellung, aber das Bild ist in internationalen Zeitungen und Fernsehsendern ebenso beliebt wie bei Karikaturisten. Das Gewehr ist das, was die Aufmerksamkeit fesselt, wobei die Spannung zwischen dem Stereotyp eines religiösen Juden als sanftmütiges Opfer von Gewalt und dem Bild des bewaffneten Kolonisten das Bild noch einprägsamer macht.

Stereotypes Bild eines Siedlers mit Kippa, Tzizit und einem Gewehr. Quelle: Daniel Maleck Lewy, 2005, Wikipedia.

Die Kolonisten verlassen sich auf das israelische Militär, das sie verteidigen soll. Eigentlich schreibt die Vierte Genfer Konvention vor, dass die Besatzungsarmee verpflichtet ist, die Besetzten, also die Palästinenser*innen, zu schützen. Sie sind gemäß der Konvention die „geschützten Personen“. Die Kolonisten haben jedoch enormen Einfluss auf die Auswahl der kommandierenden Offiziere in der Nähe ihrer Kolonien. Dadurch sorgen sie dafür, dass die Soldaten nur sie schützen. In einigen Gebieten (wie in Hebron, wo 2.000 Soldaten 850 Kolonist*innen schützen) ist die Zahl der Soldaten mehr als doppelt so hoch wie die Zahl der Kolonisten. Dennoch tragen viele Kolonisten die Waffen nicht nur zur Selbstverteidigung, sondern auch zur Abschreckung und als Symbol ihrer Macht.

Während der Zeit der Besiedlung und Kolonisierung des nordamerikanischen Kontinents durften in den Vereinigten Staaten nur weiße Siedler Gewehre tragen. Die Waffen dienten nicht nur dazu, sich gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung oder gegen Aufstände der Sklaven zu verteidigen, sondern auch dazu, „ihre Freiheit zu verteidigen“ – was impliziert, dass nur diejenigen, die Waffen tragen können, frei sind: Demokratie ist nur für Weiße. Heute können Schwarze und Ureinwohner Bürger der USA sein und gemäß dem 2. Zusatzartikel der Verfassung Waffen tragen. Dagegen wird im besetzten Westjordanland ein Palästinenser, der eine Waffe trägt – wozu selbst eine Schere zählt – auf der Stelle erschossen. Nur jüdische Kolonisten dürfen ihre Waffen offen tragen.

Die bewaffnete Bewegung der Kolonisten im Westjordanland hat eine lange Geschichte. Dazu gehört die rassistische Partei Kach, die 1988 aus der israelischen Knesset verbannt wurde, aber unter anderem Namen („religiöser Zionismus“) zurückgekehrt ist. Rabbi Moshe Levinger (1935-2015) gehörte zu den Gründern der jüdischen Kolonie in Hebron. Im Jahr 1992 gründete er eine Partei und kandidierte für die Knesset und warb unter dem Slogan „Wir haben keine Angst zu schießen“ mit einem Video von sich selbst beim Abfeuern seiner Waffe. Baruch Goldstein, der Mitglied von Kach war, ermordete 1994 in der Abraham-Moschee in Hebron mit seiner Waffe 29 Palästinenser und verletzte 125, bis die Überlebenden ihn überwältigen und töten konnten. Für die bewaffneten Kolonisten ist er bis heute ein Idol – Itamar Ben-Gvir von der Partei „Religiöser Zionismus“ hatte ein Bild von Baruch Goldstein an der Wand in seinem Büro. Goldsteins Grab bleibt ein Wallfahrtsort für bewaffnete Kolonisten, auch nachdem die israelische Armee 1999 einige Denkmäler zu seinem Gedenken entfernte, sein Grab aber intakt ließ. Diese Geschichte zeigt, dass für einen kleinen, aber aggressiven Zweig der Siedlerbewegung die Waffe zu einem jüdischen religiösen Symbol geworden ist.

Kolonisten der Organisation JDL in der Nähe von Hebron schrieben 2006 das Grafitti „Vergast die Araber“. Quelle: Jill Granberg, Flickr.

Regelmäßige gewalttätige Angriffe gegen Menschen und Eigentum, die von den Kolonisten im Westjordanland durchgeführt werden, werden erst durch Waffen möglich gemacht. Die Kolonisten wissen, dass die Palästinenser nicht zurückschlagen dürfen, denn wenn die palästinensischen Opfer versuchen würden, sich durch das Werfen von Steinen zu verteidigen, haben die Kolonisten das „Recht“, sie zum Zwecke der „Selbstverteidigung“ zu erschießen – ohne Rücksicht auf Ursache und Wirkung.

Heute gibt es etwa 669.000 Kolonisten im besetzten Westjordanland, etwa ein Drittel davon in Ostjerusalem. Die jüngere Generation der Kolonisten ist nicht immer bereit, freiwillig Zeit mit Patrouillen und der Bewachung ihrer Kolonien zu verbringen. Daher begannen die Kolonien in den letzten zwei Jahrzehnten einen Prozess des Outsourcing: Ihre Sicherheit liegt nun zumeist in den Händen privater Sicherheitsfirmen (Quelle auf hebräisch). Die Kosten dafür werden von der israelischen Regierung, das heißt vom Steuerzahler, übernommen. Die Armee stellt zwar weiterhin die Soldaten, aber ein halbprivater Sicherheitsoffizier (normalerweise ein Bewohner der Kolonie) dient in einer inoffiziellen Funktion als lokaler Offizier. Die Sicherheitsoffiziere sind also nicht offiziell Teil der Militärhierarchie, aber die lokalen Soldaten folgen in der Regel ihren Befehlen.

Die Organisation „Isha l’Isha Feminist Center“ (was so viel bedeutet wie „von Frau zu Frau“) veröffentlichte 2017 einen umfangreichen Bericht über die Anzahl der Waffen in den Händen von Zivilisten in Israel. Der Bericht ist größtenteils auf Hebräisch, aber eine englische und arabische Zusammenfassung ist am Ende zu finden. Laut diesem Bericht befanden sich 2014 etwa 240.000 Waffen in zivilen Händen in Israel. Allerdings wurden die Waffen in den Händen von Kolonisten nicht als Teil dieser Zahl aufgeführt, weil die Kolonisten ihre Waffen direkt vom Militär erhalten, ohne sie beim Ministerium für öffentliche Sicherheit registrieren zu lassen. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass es keine Möglichkeit gibt, eine genaue Anzahl von Waffen im Besitz von Kolonisten anzugeben.

Obwohl also die Kolonisten keine Waffen brauchen, um ihre Kolonien zu schützen, tragen viele weiterhin offen ihre Waffen, um palästinensische Familien einzuschüchtern und deren Freiheit einzuschränken. Am 6. Februar, einem Samstag, vertrieb eine Gruppe schwer bewaffneter religiöser jüdischer Kolonisten eine Familie palästinensischer Bürger Israels, die in der Nähe des Dorfes Dschibiya im Westjordanland ein Picknick abhielt. Die Kolonisten verletzten sogar den jüdischen Schabbat, um ausschließlich jüdische Menschen das Land von Jibiya betreten zu lassen. Die palästinensische Familie weigerte sich, sich von den Gewehren der Kolonisten einschüchtern zu lassen. Daraufhin riefen die Kolonisten israelische Soldaten zu Hilfe, die die palästinensischen israelischen Bürger vertrieben, eben weil sie keine Juden sind. Dieselben Kolonisten, wiederum mit Gewehren bewaffnet, haben am Freitagnachmittag, 2. März, eine weitere Familie vertrieben. Als diese versuchte, eine Beschwerde bei der Polizeistation einzureichen, stellten sie fest, dass die Polizeistation wegen des jüdischen Schabbats geschlossen war.

Haaretz-Reporterin Amira Hass schreibt (auf hebräisch), dass am Donnerstag, den 11. März, ein Kolonist das Feuer auf zwei Schafe hütende palästinensische Kinder aus dem Dorf Menizel im Westjordanland eröffnete. Die Polizei machte sich nicht einmal die Mühe, eine Aussage der beiden Jungen aufzunehmen, noch zeigte sie Interesse daran, die Schützen zu suchen. Die israelische Menschenrechtsorganisation B`tselem hat bereits im Jahr 2018 darauf hingewiesen, dass nach Gewalttätigkeiten gegen Palästinenser und deren Eigentum die Polizei nicht einschreitet und die israelische Armee die gewalttätigen Siedler sogar noch schützt. „Siedlergewalt ist längst zum Bestandteil palästinensischen Lebens unter Besatzung geworden. Israelische Sicherheitskräfte ermöglichen diese Aktionen.” (s. BIP-Aktuell #38)

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever.
V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

2 Kommentare

  1. Ich bin ein Freund des jüdischen Volkes, aber ich verabscheue die Politik der israelischen Regierung.

    Human Right Watch muss eingreifen!!

    Fritz Basseng

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