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Eine Wirtschaft, deren Reserven seit Jahrzehnten aufgezehrt sind, kann die anhaltende Covid19 -Krise nicht bewältigen

Zusammenfassung: Die palästinensische Wirtschaft befindet sich in schlechtem Zustand, und die Covid19 -Krise trifft sie schlimmer als die meisten Länder der Welt. Das Fehlen einer palästinensischen Währung, ein erhebliches Handelsungleichgewicht mit Israel und eine hohe Abhängigkeit von unbeständiger internationaler Hilfe haben die palästinensischen Regierungen der Instrumente beraubt, die notwendig sind, um die Bevölkerung in Krisenzeiten zu unterstützen.

Die Zeitschrift Makroskop veröffentlichte einen Artikel von Patrick Kaczmarczyk über die Finanzkrise der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland. Der Artikel basiert auf Berichten von UNCTAD und MAS, in denen die Abhängigkeit der palästinensischen Wirtschaft von internationalen Geldgebern analysiert wird. Die israelische Besatzung sowie die im April 1994 unterzeichneten Pariser Protokolle schaffen unausgewogene Handelsbeziehungen zwischen der israelischen und der palästinensischen Wirtschaft mit dem Ergebnis, dass die palästinensische Wirtschaft unter einem der größten Handelsdefizite der Welt leidet: Es beträgt 10 % des BIP im Jahr 2018.

Eine 0,002-Pfund-Münze, herausgegeben vom Palestine Currency Board im Jahr 1927. Seit 1948 haben die Palästinenser keine eigene Währung mehr, sondern den israelischen Shekel. Quelle: Mohammed Abushaban, 2007, Wikipedia.

Das anhaltende Handelsdefizit der palästinensischen Wirtschaft, aufrecht erhalten durch internationale Hilfe, dient der israelischen Wirtschaft als Devisenquelle, faktisch als eine Form des Exports. Jeder Euro, der von internationalen Akteuren gespendet wird, muss zunächst in israelische Schekel umgerechnet werden und dann für Waren von israelischen Firmen, für den Transport auf israelischen LKWs und für Lagergebühren, Steuern und Provisionen an israelische Behörden ausgegeben werden. Dem Handelsdefizit steht ein Handelsüberschuss Israels mit der palästinensischen Wirtschaft gegenüber. Die meisten Waren, die von palästinensischen Unternehmen und von Hilfsorganisationen beschafft werden, werden entweder direkt aus Israel importiert oder indirekt aus anderen Ländern über israelische Unternehmen, die von ihrer Tätigkeit als Zwischenhändler profitieren. Ungefähr 72% der internationalen Hilfe für die Palästinenser landet so in den Händen israelischer Unternehmen.

Die palästinensische Wirtschaft steht finanziell auf drei Beinen: auf lokalen Steuereinnahmen, auf internationaler Hilfe und auf Steuern, die Israel einnimmt und an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) überweist. In den letzten Jahren haben alle drei Einnahmequellen Einbußen hinnehmen müssen. Präsident Trump hat die internationale Hilfe für Palästina in zweierlei Hinsicht gestoppt – er hat sowohl die direkte Hilfe für die PA als auch die Zahlungen an die UNRWA gestoppt. Die UNRWA ist die größte Hilfsorganisation, die Bildungsangebote für Kinder macht, die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge sicherstellt
und die Schaffung von Wohnraum im Gazastreifen und im Westjordanland unterstützt (siehe BIP-Aktuell #142). Obwohl der neu gewählte Präsident Biden versprach, die US-Hilfe für die Palästinenser wieder aufzunehmen, hat er dies bisher nicht getan. Die bilaterale Unterstützung der USA für das besetzte Palästina betrug vor Trumps Wahl etwa 350-500 Millionen Dollar pro Jahr (ohne die Hilfe für die UNRWA). Nach Bidens Wahl wurde bislang nur ein einziges Hilfspaket von 15 Millionen Dollar genehmigt.

Israel hält einen Teil der Steuern zurück, die es nach den Pariser Vereinbarungen an die PA überweisen muss. Im Jahr 2018 hat die Knesset ein Gesetz verabschiedet, um eine Summe aus den palästinensischen Einnahmen zu konfiszieren, die dem Betrag entspricht, den die PA an israelische Gefängnisse überweist, um palästinensische Gefangene zu unterstützen, die während ihrer Inhaftierung nicht ausreichend Nahrung und Hygieneartikel erhalten. Im Dezember überwies Israel einen Teil des zurückgehaltenen Geldes an die PA, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwenden.

Die Covid19-Krise im Jahr 2020 und die Abriegelungen, die im Westjordanland und im Gazastreifen verfügt wurden, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen, haben weitreichende wirtschaftliche Härten verursacht, die noch nicht vollständig erfasst wurden. Dies schadet der dritten und letzten Einnahmequelle der PA – den lokalen Steuereinnahmen.

Die Auswirkungen der Covid19 -Pandemie verschärften die Kluft zwischen den Palästinensern, die in der Westbank und im Gazastreifen beschäftigt sind, und denen, die in Israel und in den illegalen Kolonien in der Westbank arbeiten. Während der gesamten Krise hat die israelische Regierung die Bautätigkeit nicht gebremst (sowohl innerhalb Israels als auch in den illegalen Kolonien), und viele Bauarbeiter sind palästinensische Gastarbeiter aus dem Westjordanland. Da die israelische Regierung wusste, dass die Familien der Bauarbeiter mehr denn je auf das Einkommen angewiesen sind, zögerte sie nicht, die Rechte dieser Arbeiter zu verletzen, indem sie ihnen zum Beispiel verbot, ihre Familien zu besuchen und sie zwang, in Israel zu bleiben (um die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern). Dies ist ein weiterer klarer Verstoß gegen die Menschenrechte. Kürzlich ordnete die israelische Regierung die Impfung von palästinensischen Arbeitern an – nicht aus Sorge um deren Gesundheit, sondern um die israelische Bevölkerung zu schützen, die mit diesen Arbeitern in Kontakt kommt. Palästinenser, die nicht für israelische Arbeitgeber arbeiten, werden nicht geimpft.

Covid19 in Gaza. Quelle: Mohammed Zaanoun, 2020, Activestills.

Obwohl die Covid19-Krise die ganze Welt betrifft und die Shutdowns die Wirtschaft eines jeden Landes in Mitleidenschaft ziehen, sind die Auswirkungen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich. Wohlhabende und stabile Staaten waren in der Lage, die Bevölkerung finanziell zu unterstützen, um Armut während längerer Zeiten erzwungener Arbeitslosigkeit und geringerer Einnahmen durch Unternehmen zu verhindern, die schließen müssen. Wenn die staatliche Unterstützung nicht ausreicht, nutzen die Menschen ihre eigenen Reserven, ihre Ersparnisse, um ihren Lebensstandard bis zum Ende der Krise zu halten. Im Falle Palästinas verfügen jedoch weder die Hamas-Regierung in Gaza noch die Fatah-Regierung im Westjordanland über die fiskalischen Möglichkeiten, die Bevölkerung zu unterstützen. Hinzu kommt, dass die Familien selber überfordert sind. Das Wirtschaftswachstum war seit Beginn der zweiten Intifada im Jahr 2000 gering, und die unerwartete Krise bedeutet, dass Tausende von Familien auf Investitionen in Bildung, Nahrung und Gesundheit verzichten müssen.

Die  Kluft hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid19-Pandemie macht nicht an der Grünen Linie (Israels international anerkannter Grenze) Halt, sondern spiegelt sich auch innerhalb des Staates Israel wider. Einem neuen Bericht der israelischen Zentralbank (auf Hebräisch) zufolge waren die palästinensischen Bürger Israels stärker von der Krise betroffen als die jüdischen. Das durchschnittliche Einkommen pro Haushalt unter der jüdischen Bevölkerung beträgt 5.120 Euro pro Monat, aber nur 3.072 Euro für eine palästinensische Familie in Israel. Lediglich 11% der palästinensischen Haushalte in Israel sind in der Lage, jeden Monat Geld zu sparen, verglichen mit 38% bei den jüdischen Haushalten. Die israelische Zentralbank stützte sich auf eine Umfrage des israelischen Zentralamts für Statistik: 42% der jüdischen Israelis gaben an, von der Krise des Covid19 2020 wirtschaftlich beeinträchtigt zu sein. Hingegen waren dies 54% der palästinensischen Israelis. Nur 30 % der palästinensisch-israelischen Haushalte verfügten über die Voraussetzungen (z.B. Internetzugang) für Fernunterricht und Zoom-Klassen, im Vergleich zu 75 % der jüdischen Haushalte in Israel.

Patrick Kaczmarczyk vermutet, dass die PA noch stärker auf internationale Unterstützung angewiesen ist und sich bei der EU und dem Internationalen Währungsfonds verschulden muss. Die Folge wird eine weiter zunehmende schwere Verschuldung sein. Kaczmarczyk glaubt, dass diese Strategie den Zusammenbruch der Zweistaatenlösung verhindern würde. Er erwähnt jedoch nicht, dass die Verantwortung für die Bewältigung der Finanzkrise auf den Schultern derer liegen muss, die sie verursacht haben: die israelische Regierung. Diese ist natürlich nicht für Covid19 verantwortlich, aber sie hat die finanzielle Situation der palästinensischen Wirtschaft destabilisiert: Sie hat die Palästinenser sowohl direkt als auch indirekt ihrer Steuereinnahmen beraubt und sie daran gehindert, ihre eigene Währung einzuführen. Zusätzlich zu ihrer Verpflichtung nach der Vierten Genfer Konvention, einer Bevölkerung unter Besatzung Gesundheitsdienste zur Verfügung zu stellen, gehört dazu auch, die palästinensische Bevölkerung zu impfen sowie die Verpflichtung, Arbeitslosigkeit und Armut zu verhindern (siehe dazu auch BIP-Aktuell #163).

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever.
V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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Künftig wird das Redaktionsteam an dieser Stelle in jedem BIP-Aktuell auf Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten hinweisen. Die Informationen dazu entnehmen wir renommierten Menschenrechtsorganisationen.
Die international anerkannte israelische Menschenrechtsorganisation B´Tselem berichtet über eine Blockade durch das israelische Militär am 11. März in der Gemeinde She´b al-Batem in den South Hebron Hills, wodurch die Wasserversorgung für 40 Familien zerstört wurde (https://www.btselem.org/video/20210311_military_again_blocks_access_road_and_destroys_water_line_in_south_hebron_hills#full):  „Am Donnerstag, den 11. März 2021, gegen 8.30 Uhr, kamen Soldaten mit einem Bulldozer in das Gebiet von Masafer Yatta in den South Hebron Hills. Die Streitkräfte türmten Felsbrocken und Sandhaufen auf, um den Zugang zu einer unbefestigten Straße zu blockieren, die von der Route 317 zur Gemeinde She’b al-Batem führt. Sie zerstörten dabei eine Wasserleitung, die She’b al-Batem und die nahe gelegene Gemeinde Qawawis versorgte. In den beiden Gemeinden leben 40 Familien, die ohne Wasserversorgung zurückgelassen wurden.“
„Das Militär hatte die Straßen, die nach She’b al-Batem führen, mehrmals blockiert, zuletzt im November 2020, aber die Bewohner entfernten die Straßensperren. Das Blockieren von Straßen und die Zerstörung von Wasserversorgungsleitungen ist Teil der routinemäßigen Schikanen Israels gegenüber palästinensischen Gemeinden in den South Hebron Hills und insbesondere in Masafer Yatta, um sie aus ihren Häusern und aus dem Gebiet zu vertreiben.“

3 Kommentare

  1. Weder der immense Anteil von 72 %, den israelische Unternehmen von den Internationalen Hilfen für die PalästinenserINNEN (wenn auch nicht ohne Gegenleistung) einbehalten, noch diese Abhängigkeit der PalästinenserINNEN von internationalen Hilfen überhaupt, sind hinnehmbar. Hinzu kommt, dass PalästinenserINNEN z. T. von Möglichkeiten abgeschnitten werden, selbst etwas zu erwirtschaften. „Ökonomischer Würgegriff“ trifft die Lage sehr gut.
    So werden die PalästinenserINNEN permanent gedemütigt. Es ist eine Schande, dass die sog. Internationale Gemeinschaft diese Situation toleriert.

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