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Die Folgen der Vereinbarung zwischen Gantz und Netanjahu über die Annexion palästinensischen Landes im Westjordanland
Zusammenfassung: Der neue Koalitionsvertrag zwischen Netanyahu und Gantz sieht die Annexion palästinensischer Gebiete vor. Dies hat sowohl innerhalb Israels als auch im Ausland und natürlich auch bei den Palästinensern unter israelischer Besatzung Empörung ausgelöst. Die Annexion folgt Trumps sogenanntem „Friedensplan“ und würde alle Hoffnungen auf palästinensische Unabhängigkeit beenden.

Die Vereinbarung über die „Koalition der nationalen Einheit“ zwischen Netanjahu und Gantz wurde in hebräischer  Sprache veröffentlicht. Obwohl es sich um eine Notstandsregierung handeln soll, die sich vornehmlich mit der Coronavirus-Pandemie befassen soll, ist die Vereinbarung viel umfassender und enthält Einzelheiten darüber, wie Netanyahu dem Gerichtsverfahren wegen des Korruptionsverdachts entkommen und weiterhin die Immunität eines Ministerpräsidenten in Anspruch nehmen kann, selbst wenn Gantz in 18 Monaten das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt. Doch die Klausel, die in internationalen Foren die meiste Aufmerksamkeit erregte, ist diejenige, in der beide Politiker die Annexion von Teilen des Westjordanlandes vereinbaren.

Konkret legt die Klausel fest, dass die Annexion nur durchgeführt wird, wenn die USA keinen Einspruch erheben. Das US-Außenministerium hat bereits seine Zustimmung gegeben. Es stellte dabei ins Ermessen der israelischen Regierung, Verhandlungen mit der palästinensischen Führung in Erwägung zu ziehen – oder auch nicht.

Netanjahu hat Trumps „Friedensplan“ als einen strategischen Sieg für Israel begrüßt und fühlt sich nun der Idee verpflichtet, weite Teile des besetzten Westjordanlandes zu annektieren, auch wenn die Folgen der Annexion katastrophal sein könnten. Bei seinem Versuch, Wähler von Netanjahu zu gewinnen, hat Benny Gantz Netanjahus Aussagen über die Annexion schon lange imitiert und es versäumt, sich und seine Partei vom Annexionismus des Likud abzugrenzen.

Das erste Gebiet, das wahrscheinlich annektiert wird (obwohl es im Koalitionsvertrag nicht ausdrücklich erwähnt wurde), ist das Jordantal. Dieses Gebiet am Ufer des Jordan ist die Kornkammer Palästinas. Viele der Früchte und Gemüse, die wir in deutschen Supermärkten mit der Aufschrift „aus Israel“ finden, stammen in Wirklichkeit aus dem Jordantal. Vor allem Medjooldatteln, die zu den lukrativsten Exporten aus diesem Teil des besetzten Palästina gehören. Eine Viertelmillion Palästinenser lebten dort 1967; heute sind nur noch etwa 50.000 übrig geblieben, als Ergebnis einer dort stattfindenden langsamen, aber stetigen ethnischen Säuberung. Nur etwa 9.000 Israelis leben dort, in völkerrechtlich illegalen landwirtschaftlichen Siedlungen im Jordantal, die das fruchtbare Land, das Wasser des Jordanflusses und die billige Arbeitskraft der Palästinenser ausbeuten, deren Land konfisziert wurde und die keine andere Wahl haben, als für die Kolonialherren zu arbeiten. Die palästinensischen Bauern, die es im Jordantal noch gibt, haben kaum Möglichkeiten, ihre Produkte zu vermarkten, denn ihr Land liegt meist in der so genannten ‚Zone C‘ des von Israel besetzten Westjordanlandes, und die Zugänge zu den palästinensischen Städten wie Nablus, Bethlehem, Hebron oder Jenin, die in ‚Zone A‘, also im palästinensischen Autonomiegebiet liegen, werden von Israel kontrolliert.

Netanjahu und Gantz sprechen nicht gern über die Ausbeutung, die das Jordantal zu einem Wirtschaftsgut für Israel gemacht hat. Stattdessen sprechen sie über die strategische Bedeutung des Jordantals, da es sich entlang der Grenze zu Jordanien erstreckt. Obwohl zwischen Israel und Jordanien Frieden herrscht, hat das Jordantal noch eine andere strategische Qualität: Ohne das Jordantal hat der zukünftige palästinensische Staat keine Möglichkeit, seinen Nahrungsmittelbedarf decken zu können, d. h. die Annexion würde die vollständige Abhängigkeit der Palästinenser von Nahrungsmittelimporten aus Israel zur Folge haben.


Foto: Abriss des Dorfs Ideis im Jordantal 2014 durch israelische Truppen. Quelle: Wikipedia

Der Druck auf die israelische Regierung, palästinensische Gebiete zu annektieren, kommt von der extremen Rechten in Israel, und er ist sehr stark. Die Siedler im Westjordanland wollen die Annexion, um sicherzustellen, dass Israels Kolonien, in denen sie wohnen, für immer Teil des Staates Israel bleiben. Die politischen Parteien, die sie vertreten, wie das „Jüdische Heim“ und „Yamina“ („nach rechts“), fordern die Annexion. Sie argumentieren, dass Israels Annexionen der 1967 besetzten Gebiete Ost-Jerusalem und Golanhöhen 1980 bzw. 1981 ja von der US-Regierung nach weniger als vierzig Jahren anerkannt worden seien: Warum also nicht noch mehr von den 1967 besetzten Gebieten annektieren?


FOTO: 1967 ziehen israelische Truppen in die neu eroberte Altstadt von Jerusalem ein. Quelle: Wikipedia.

Die zionistische Linke in Israel wie auch viele Politiker im politischen Zentrum verbinden große Befürchtungen mit der Annexion. Sie reagierten auf den Koalitionsvertrag mit der Warnung, dass die Annexion palästinensischen Landes zu Apartheid führen werde. Diese Warnung ist berechtigt, unterstellt jedoch, dass die Apartheid nur etwas ist, das in Zukunft passieren könnte. Die zionistische Linke erklärt allerdings nicht, warum die vorigen Annexionen, insbesondere Jerusalems, nicht bereits zur Apartheid geführt haben. Ebenso wenig wurde die Frage thematisiert, wie es sich mit der israelischen Militärherrschaft über fast fünf Millionen Palästinenser in Palästina verhält, die keine Staatsbürger sind und fast keine Rechte haben. Ist das nicht Apartheid?

Außerhalb Israels verurteilte die Europäische Union den Annexionsplan. Der scheidende israelische Außenminister Israel Katz griff Joseph Borrell, den Hohen Repräsentanten der EU für auswärtige Angelegenheiten, wegen dieser Verurteilung scharf an. Katz machte sich über Borrell lustig, indem er argumentierte, dass dieser nur vorgebe, die Außenpolitik der EU zu vertreten, und bestritt, dass die EU für alle ihre Mitgliedsstaaten spreche.

Die Arabische Liga rief zu einer Dringlichkeitssitzung  auf, um die Annexionspläne Israels zu erörtern, da diese die Umsetzung der arabischen Friedensinitiative, auch als „saudische Initiative“ bekannt, unmöglich machen. Die Annexion verhindert einen palästinensischen Staat und zeigt wieder einmal, dass die israelische Regierung im Nahen Osten so handelt, wie sie es für richtig hält, ohne Rücksicht auf UN-Resolutionen, Völkerrecht oder internationale Beziehungen.

Die Frage ist, wie sich bestehende und zukünftige Annexionen auf die Rechte der Palästinenser in den annektierten Gebieten und in deren Umgebung auswirken werden. Werden die noch im Jordantal lebenden 50.000 Palästinenser vertrieben und zu Flüchtlingen werden? Wenn sie dort aber bleiben dürften und Israel ihnen nicht die volle Staatsbürgerschaft, einschließlich des Wahlrechts, gewährt, wäre das ein weiterer Beweis dafür, dass in Israel/Palästina ein Apartheidsystem herrscht. Und wird die Annexion des Jordantals Teil eines umfassenderen Plans sein, die palästinensischen städtischen Zentren um Nablus, Ramallah und Hebron zu Enklaven zu machen, so dass die Palästinenser im Westjordanland unter ähnlichen Bedingungen wie im Gazastreifen, d.h. in Freiluftgefängnissen, leben müssen?

Jede Annexion stellt einen Verstoß gegen das Völkerrecht dar. Dies zeigt, welche Folgen es hat, dass die internationale Gemeinschaft und insbesondere die Europäische Union seit Jahrzehnten die Augen vor israelischen Verletzungen des Völkerrechts verschließt und Israel keine Konsequenzen für diese Verletzungen zu fürchten hat. Die israelische Regierung geht davon aus, dass sie keinen Preis für Annexionen zahlen muss.

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