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Israelische Behörden wollen nicht zu Hussein Qaraqe ermitteln

Ein Terroranschlag in der Siedlung Ramot, bei dem ein Auto eine Bushaltestelle rammte, hat vier Menschen das Leben gekostet. Obwohl sich herausstellte, dass es sich nicht um einen vorsätzlichen Anschlag handelte, sondern um einen Nervenzusammenbruch des psychisch kranken Hussein Qaraqe, setzten die israelischen Behörden und die Medien die unbegründete Beschuldigung fort, Qaraqe sei ein Terrorist, um die kollektive Bestrafung seiner Familie, seiner Nachbarn und seines Vermieters zu rechtfertigen. In der letzten Zeit kommt es im Westjordanland täglich zu tödlichen Angriffen auf Palästinenser, ohne dass die Angreifer zur Rechenschaft gezogen werden.

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Mehr als 100 zivilgesellschaftliche Organisationen starten eine Kampagne zur Sammlung von einer Million Unterschriften von EU-Bürger*innen, um den europäischen Handel mit illegalen Siedlungen in besetzten Gebieten zu beenden.
Die Europäische Bürgerinitiative ist ein offizielles Instrument, um die Stimmen der EU-Bürger zu verstärken und ihre demokratische Beteiligung zu verbessern. Wenn die Initiative innerhalb eines Jahres nach ihrem Start eine Million Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern in allen EU-Mitgliedstaaten sammelt, ist die Europäische Kommission gesetzlich verpflichtet, den Vorschlag zu prüfen, mit den Unterzeichnern zu diskutieren und gesetzgeberische Maßnahmen einzuleiten.
Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) unterliegt EU-Regularien:
https://www.cidse.org/de/2022/04/07/take-action-to-end-european-trade-with-illegal-settlements/
Hier kann man teilnehmen.
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Am Freitag, den 10. Februar, rammte ein Auto, das von Hussein Qaraqe gesteuert wurde, eine Bushaltestelle und fuhr in eine Gruppe von Menschen aus der Siedlung Ramot im besetzten Ostjerusalem. Ein Mann und ein Kind waren auf der Stelle tot, ein weiterer Junge erlag am nächsten Tag seinen Verletzungen (Quelle auf Hebräisch). Vier weitere Personen wurden verletzt. Passanten, die sahen, wie das Auto in die Fußgängergruppe fuhr, gingen davon aus, dass es sich um einen vorsätzlichen Terroranschlag handelte, zogen ihre Waffen und töteten den Fahrer.

Die Brüder Yaakov Israel Palai (6) und Menachem Palai (8). Quelle: 2023, die Palai Familie.

Die Namen der jüdischen Opfer sind die Brüder Yaakov Israel Palai (6) und Menachem Palai (8) sowie Eltar Shlomo Lederman (20) (Quelle auf Hebräisch). Der Palästinenser Hussein Qaraqe (31) stammte aus dem palästinensischen Stadtviertel Issawiya, war verheiratet und hatte drei Kinder.

Die israelischen Medien verurteilten Qaraqe als „Terroristen“ unmittelbar nach der Tat, bevor er sagen konnte, ob er Menschen absichtlich oder aus Versehen überfahren habe. Zehn Mitglieder seiner Familie, darunter seine Kinder und seine Eltern, wurden sofort verhaftet.

Unter diesen Umständen hat Qaraqe nicht nur sein Leben, sondern auch seine Privatsphäre verloren. Die israelischen Behörden veröffentlichten private medizinische Informationen über ihn, aus denen hervorging, dass er wegen einer schweren Geisteskrankheit in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht war. Seine Nachbarn berichteten, dass er entsprechende Medikamente einnahm. Walid Diabh, der das Reha-Zentrum in Tamra (im Norden Israels) leitet, in dem Qaraqe untergebracht war, erklärte gegenüber der Zeitung Haaretz, dass Qaraqe am Mittwoch einen psychotischen Anfall erlitten habe, zwei Tage bevor er das Auto seiner Frau nahm und nach Ramot fuhr (Quelle auf Hebräisch). Am Donnerstag rief Qaraqes Vater das Reha-Zentrum Tamra an und teilte mit, dass sich sein Sohn Hussein Qaraqe in einem schwierigen Zustand befinde (Quelle auf Hebräisch). Alle diese Informationen wurden an die Medien weitergegeben, weil die Familie und die Nachbarn von Qaraqe – zu Recht – eine kollektive Bestrafung durch die israelischen Behörden befürchteten und zu erklären versuchten, dass es sich nicht um einen Terroranschlag, sondern um eine Tragödie handelte, um einen Autounfall, der von einem Mann verschuldet wurde, der an einer schweren Geisteskrankheit litt.

Obwohl die Jerusalemer Polizei gegenüber Haaretz erklärte, sie habe die Angaben der Familie überprüft und die Ermittler der Polizei zugaben, dass es keinen Grund gab, die gesamte Familie zu verhaften, wurde die Familie dennoch bestraft. Ihr Haus wurde mit Zement versiegelt, und sie wurden auf die Straße geworfen. Ihr Haus war übrigens gemietet und gehörte nicht ihnen, so dass es sich auch hier um eine kollektive Bestrafung der Vermieter handelt. Der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus (siehe BIP-Aktuell #236) twitterte ein demütigendes Video, in dem die Familie verzweifelt versucht, einige ihrer Habseligkeiten aus dem Haus zu holen, bevor es versiegelt wurde. Der Vater von Hussein Qaraqe wurde darüber informiert, dass die israelischen Behörden erwägen, ihm seinen Aufenthaltsstatus zu entziehen und ihn abzuschieben (Quelle auf Hebräisch).

Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass Hussein Qaraqe und seine Familie in Issawiya lebten, einem Dorf, das nach der Annexion Ostjerusalems zu einem Stadtteil Jerusalems geworden ist. Issawiya ist von illegalen israelischen Siedlungen und der Hebräischen Universität umgeben und leidet unter mangelnden Investitionen in die Basisinfrastruktur sowie unter Überbevölkerung und fehlenden öffentlichen Dienstleistungen einschließlich der Gesundheitsversorgung. Die wenigen Angebote und Möglichkeiten, die das Viertel bietet, werden häufig von der israelischen Polizei geschlossen, was zu Stress und Leid in der Bevölkerung führt, die in der Falle sitzt. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel in Issawiya, so dass die Bewohner auf das Auto angewiesen sind (Quelle auf Hebräisch). Diese Bedingungen könnten zum psychischen Zusammenbruch von Hussein Qaraqe beigetragen haben. Außerdem hat der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, dazu aufgerufen, Issawiya komplett zu sperren (Quelle auf Hebräisch).

Nicht nur die israelischen Behörden und Medien verbreiteten weiterhin Lügen über Qaraqe, sondern auch Volker Beck, der auf Twitter ohne jegliche Belege behauptete, der Angriff sei von der PFLP ausgeführt worden und hinzufügte, die PFLP ”mordet regelmäßig auf Israels Straßen und in den besetzten Gebieten”. Über die Verbrechen der israelischen Armee und der Siedler schweigt der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG).

In BIP-Aktuell #244 haben wir über die tägliche tödliche Gewalt des israelischen Militärs und der Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland berichtet. Wir können jedoch nicht über jeden einzelnen Mord berichten, weil sie so häufig vorkommen. Wir können nur über einige wenige aus den Tagen vor und nach dem Unfall in Ramot berichten.

Hussein Qaraqe (left). Source: Facebook.


Am Donnerstag (einen Tag vor dem Unfall) erschossen israelische Streitkräfte Sharif Hassan Rabah (22) in der Nähe von Hebron. Am Samstag töteten bewaffnete Siedler Methqal Abd al-Hailim Rayan (27) durch einen Kopfschuss in seinem Dorf Qarawat Bani Hassan, am Sonntag stürmten Soldaten die Stadt Jenin und töteten Qusai Radwan (14) durch einen Bauchschuss. Die Soldaten und Siedler, die diese Verbrechen begangen haben, wurden nicht verhaftet, ihre Häuser wurden nicht zerstört oder versiegelt.

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BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.
Ramallah, 14. Februar 2023 – „Israelische Streitkräfte haben heute im Norden des besetzten Westjordanlandes einen palästinensischen Minderjährigen erschossen.
Mahmoud Majed Mohammad Ayed, 17, wurde am 14. Februar gegen 5.30 Uhr im Stadtteil Al-Aboushi des Flüchtlingslagers Al-Far’a, nordöstlich von Nablus im nördlichen besetzten Westjordanland, von einem israelischen Scharfschützen in den Kopf geschossen, wie die Organisation Defense for Children International – Palestine (DCI-P) berichtet. Israelische Streitkräfte drangen gegen 5 Uhr morgens in das Flüchtlingslager Al-Far’a ein, um Verhaftungen vorzunehmen, woraufhin sich palästinensische Bewohner den israelischen Streitkräften entgegenstellten. Während einer Konfrontation zwischen unbewaffneten Palästinensern und israelischen Streitkräften schoss ein israelischer Scharfschütze, der auf dem Dach eines etwa 100 Meter entfernten Gebäudes stationiert war, Mahmoud mit einer scharfen Kugel in die linke Seite seines Kopfes. Ein Privatwagen brachte Mahmoud zu einem Krankenwagen, der ihn in das türkische Krankenhaus von Tubas brachte, von wo aus er aufgrund der Schwere seiner Verletzungen in das Rafidia-Krankenhaus in Nablus verlegt wurde. Die Ärzte erklärten Mahmoud gegen 10:30 Uhr für tot.
´Die israelischen Streitkräfte wenden routinemäßig vorsätzliche tödliche Gewalt in Situationen an, die nach internationalem Recht nicht gerechtfertigt ist, und bemühen sich nicht, unparteiisch zu ermitteln oder sicherzustellen, dass die israelischen Soldaten im Einklang mit internationalen Standards handeln`, sagte Ayed Abu Eqtaish, Leiter des Rechenschaftsprogramms bei DCI-P. ´Die fast täglichen Übergriffe der israelischen Streitkräfte auf palästinensische Gemeinden führen allzu oft dazu, dass die Kugel eines israelischen Soldaten den Körper eines palästinensischen Kindes trifft.`
Die Kugel, die Mahmouds Kopf traf, trat nach Angaben des DCI-P durch sein linkes Auge aus.
Mahmoud ist das elfte palästinensische Kind, das im Jahr 2023 von israelischen Streitkräften getötet wurde, wie aus den von DCI-P gesammelten Unterlagen hervorgeht. Israelische Streitkräfte haben 10 palästinensische Kinder im besetzten Westjordanland erschossen, und ein zehnjähriges palästinensisches Kind in Gaza erlag seinen Kopfverletzungen, die es während der israelischen Militäroffensive auf den Gazastreifen im August 2022 erlitten hatte.
Die von DCI-P durchgeführten Untersuchungen und gesammelten Beweise deuten regelmäßig darauf hin, dass die israelischen Streitkräfte tödliche Gewalt gegen palästinensische Kinder unter Umständen anwenden, die auf außergerichtliche oder vorsätzliche Tötungen hinauslaufen können.
53 palästinensische Kinder wurden nach den von DCI-P gesammelten Unterlagen im Jahr 2022 getötet, darunter 36 palästinensische Kinder, die von israelischen Streitkräften oder Siedlern im besetzten Westjordanland erschossen wurden. DCI-P dokumentierte die Tötung von 17 palästinensischen Kindern zwischen dem 5. und 7. August, nachdem israelische Streitkräfte eine Militäroffensive im Gazastreifen gestartet hatten.“
https://www.dci-palestine.org/israeli_forces_shoot_kill_17_year_old_palestinian_boy_in_alfara_refugee_camp

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

Tag: 18. Februar 2023