Angesichts der weltweiten Kritik widerspricht sich das israelische Verteidigungsministerium selbst
Während die kriminellen Handlungen der NSO Group immer bekannter werden, reagieren die israelischen Behörden auf die Empörung, als handele es sich um eine Krise von untergeordneter Bedeutung und weigern sich, das grundlegende Problem des Verkaufs von Technologie an autoritäre Regime anzugehen.
Im Juli berichteten wir über die israelische Cyber-Firma NSO Group und ihr Programm Pegasus, mit dem Menschenrechtsaktivisten und Politiker in aller Welt ausspioniert wurden (siehe BIP-Aktuell #181). Seitdem gerät das Unternehmen immer wieder in die Schlagzeilen der Weltpresse. Die Enthüllungen, nach denen das Unternehmen Technologie, die vom israelischen Militär entwickelt wurde, an autoritäre Regime verkauft hat, haben dem Image des Staates Israel und seiner Waffenindustrie geschadet. Innerhalb Israels wurde der Skandal von den Behörden jedoch nicht ernst genommen.
Logo der NSO-Gruppe.
Die NSO Group ist in große finanzielle Schwierigkeiten geraten. Nachdem sie vom US-Handelsministerium im November auf eine schwarze Liste von Unternehmen gesetzt wurde, die die Interessen der USA bedrohen, berichtete Bloomberg, dass das Unternehmen in Konkurs gehen und seine Schulden nicht begleichen könnte. Ende November reichte der Tech-Gigant Apple eine Klage gegen die NSO Group wegen des Hackens von I-Phones ein. Selbst wenn Apple den Fall gewinnen sollte, ist die Zahlung von Schadensersatz durch die NSO Group unwahrscheinlich, da das Unternehmen vermutlich liquidiert wird. Die von Facebook gegen die NSO Group angestrengte Klage wegen des Hackens von über 1.400 WhatsApp-Konten ist immer noch vor Gericht anhängig.
Kurz nachdem das israelische Verteidigungsministerium sechs palästinensische zivilgesellschaftliche Organisationen zu terroristischen Organisationen erklärt hatte (siehe BIP-Aktuell #193), wurde die Spionagesoftware Pegasus auf den Telefonen der Mitarbeiter aller sechs palästinensischen Organisationen gefunden. Dies bedeutet nicht nur, dass die israelische Regierung diese Technologie eingesetzt hat, um die Mitarbeiter dieser Organisationen und andere Menschenrechtsaktivisten zu überwachen und deren Privatsphäre zu verletzen, sondern auch, dass die Kontakte zu den vielen Partnern, Spendern und Unterstützern dieser sechs Organisationen aufgezeichnet und überwacht wurden, während sie mit ihren palästinensischen Kollegen sprachen, Nachrichten schickten oder empfingen und anderweitig mit ihnen kommunizierten. Darunter sind auch viele europäische Bürger.
Am 4. Dezember berichteteReuters, dass die Spionagesoftware Pegasus auf den Telefonen von mindestens sieben Mitarbeitern des US-Außenministeriums gefunden wurde, ein Akt israelischer Spionage gegen die USA. In der darauffolgenden Woche wurden weitere Details bekannt, wonach die Handys von elf US-Mitarbeitern der US-Botschaft in Uganda gehackt wurden. Alle Beweise deuten darauf hin, dass der Diktator von Uganda, Präsident Yoweri Museveni, der seit 35 Jahren im Amt ist, die Spionagesoftware Pegasus gekauft und zum Ausspionieren von Menschenrechtsaktivisten, von politischen Gegnern und Kritikern verwendet hat. Die US-Diplomaten wurden ausspioniert, weil sie Kontakt zur ugandischen Opposition hatten.
Präsident Yoweri Museveni von Uganda. Quelle: Chatham House, 2012, Wikipedia.
Die israelische Richterin Rachel Barkai entschied am 12. Juli 2020 gegen einen Antrag von Amnesty International, die Exportlizenz der NSO Group zu annullieren. Sie behauptete, dass das Unternehmen streng vom Verteidigungsministerium kontrolliert werde, das jedes Exportgeschäft sorgfältig prüfe, bevor es genehmigt wird, ebenso wie jeder Vertrag genau verfolgt werde, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern (Quelle auf Hebräisch). Richterin Barkai glaubte den Lügen des israelischen Verteidigungsministeriums und stützte sich darauf, als sie die Aktivitäten der NSO Group vor Gericht verteidigte. Waren dies jedoch keine Lügen, so kann daraus gefolgert werden, dass das Verteidigungsministerium die Ermordung von Oppositionellen, die Bespitzelung von Menschenrechtsaktivisten und Politikern (einschließlich des französischen Präsidenten Macron und elf US-Diplomaten) absichtlich gebilligt und gefördert hat.
Laut dem israelischen Journalisten Ronen Bergmann reagierte ein hochrangiges Mitglied des israelischen Verteidigungsministeriums verärgert auf die US-Sanktionen gegen die NSO Group. Er deutete an, dass Israel den Austausch von Geheimdiensterkenntnissen mit den USA einstellen könnte, was den Schluss zulässt, dass es im Ministerium Personen gibt, die glauben, die USA seien auf die israelische Unterstützung angewiesen (Quelle auf Hebräisch).
In der israelischen Knesset, unter zivilgesellschaftlichen Organisationen und innerhalb des israelischen Verteidigungsministeriums gab es zahlreiche Debatten über die Bewältigung dieses PR-Desasters. Am 29. November gab das Verteidigungsministerium bekannt, dass die Liste der Länder, die israelische Spionage-Cybertechnik kaufen dürfen, reduziert wird. Das Hauptproblem besteht darin, dass ein privates Unternehmen wie die NSO Group ein Interesse daran hat, seine Technologie an so viele internationale Kunden wie möglich zu verkaufen und auch dem israelischen Verteidigungsministerium Dienstleistungen und Produkte zu liefern. Die besten Kunden des Pegasus-Programms sind autoritäre Staaten, die versuchen, Oppositionelle zum Schweigen zu bringen. Die Diktatoren legen jedoch Wert darauf, dass die NSO Group auch Dienstleistungen für die israelischen Sicherheitskräfte erbringt, als Beweis dafür, dass die Technologie von den israelischen Streitkräften als effektiv erachtet wird. Dadurch gerät das israelische Verteidigungsministerium in eine Abhängigkeit von Privatunternehmen, was es der NSO Group erleichtert, die Genehmigung zum Verkauf des Programms an Länder zu erhalten, die die Menschenrechte verletzen.
In einer geschlossenen Sitzung in einer Anwaltskanzlei in Ramat Gan kam eine Gruppe hochrangiger Mitglieder des israelischen Sicherheitssektors zusammen, um die Krise zu besprechen. Unter ihnen befand sich Eli Pinto, der ehemalige Beauftragte für Waffenexporte im Verteidigungsministerium. Pinto sagte, die Interessen des Staates Israel seien wichtiger als der Wunsch, die Menschenrechte in den Ländern, an die die Technologie verkauft wird, zu schützen (Quelle auf Hebräisch). Er fügte hinzu, da das Verteidigungsministerium der NSO Group die Erlaubnis erteilt habe, die Technologie an Diktatoren zu verkaufen, sei das Ministerium nun verpflichtet, die NSO Group vor Sanktionen und Gerichtsverfahren zu schützen.
Am Montag, den 6. Dezember, veröffentlichte das israelische Verteidigungsministerium das Ergebnis seiner Überlegungen. Es kündigte an, Waffen und Spionage-Cybertechnologie nur noch an Länder zu verkaufen, die ein Dokument unterzeichnen, in dem sie sich verpflichten, diese Technologie nur gegen Terrorismus oder schwere Verbrechen einzusetzen. Der Menschenrechtsanwalt Eitay Mack bezeichnete diese Ankündigung als einen Akt der Arroganz, der die wachsende Empörung über israelische Spionage nicht besänftigen wird. Mack wies darauf hin, dass die vom Verteidigungsministerium angebotene „Lösung“ überhaupt keine Lösung sei: Die Kunden der israelischen Cyberwaffen könnten selbst entscheiden, was als Terrorismus oder schweres Verbrechen gelte. Er erwähnte, dass in Hongkong und Vietnam (zwei Länder, in denen israelische Technologie zum Ausspionieren von Aktivisten eingesetzt wurde) Kritik an der Regierungspolitik als schweres Verbrechen gilt (Quelle auf Hebräisch).
Mack hat auch Peter Münch von der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben und bezeichnete den neuen Schritt des Verteidigungsministeriums als „Bluff“ und „PR-Show“. Mack warnt davor, dass der Skandal in den Augen des israelischen Verteidigungsministeriums lediglich als eine Frage der Öffentlichkeitsarbeit betrachtet werde, nicht aber eine tiefe Krise der Menschenrechte und Verletzungen des internationalen Rechts darstelle. Das vom Ministerium ausgearbeitete Dokument verweist weder auf internationale Abkommen zur Regelung der Überwachung noch erwähnt es die Worte „Menschenrechte“.
Die weltweite Kampagne gegen die NSO Group nimmt weiter zu. 81 Organisationen der Zivilgesellschaft haben den Appell von Human Rights Watch an die Europäische Union unterzeichnet, das Unternehmen zu verbieten. Ein Verbot des Unternehmens ist jedoch nicht genug. Der Blogger Yossi Gurvitz weist darauf hin, dass selbst wenn die NSO Group in Konkurs geht, die Mitarbeiter des Unternehmens ein neues Unternehmen gründen und weiterhin Telefone im Auftrag autoritärer Regime hacken könnten, einfach unter einem neuen Namen (Quelle auf Hebräisch). Ein ähnlicher Fall ereignete sich bei der privaten US-Sicherheitsfirma Blackwater, die 2009 ihren Namen in XE änderte, nachdem es nach der Beteiligung des Unternehmens am Massaker auf dem Nisour-Platz im Irak im Jahr 2007 zu einem PR-Skandal gekommen war.
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Eine neue Folgedes Podcasts BIP-Gespräch ist da. Diese Woche sprechen wir mit dem Journalisten Andreas Zumach.
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BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.
1. Zwei Tote in zwei Tagen – Samstag, 04.12.2021
Am Freitagmorgen, 03.12.2021, eröffneten israelische Kräfte das Feuer auf ein palästinensisches Fahrzeug in der Stadt Umm Al Fahm in Israel. Dabei wurde einer der Insassen, Fathi Jabarein, getötet, der andere verletzt. Laut israelischen Berichten haben die beiden versucht, israelische Polizisten zu überfahren. In der Altstadt von Jerusalem wurde heute Muhammad Shawkat Abu Saleemeh (23) von israelischen Besatzungskräften hingerichtet. Aufnahmen zeigen, wie der Palästinenser mit einem Messer einen Siedler angreift, verletzt und anschließend versucht, einen Besatzungssoldaten zu attackieren. Eine weitere Videoaufnahme zeigt, wie der im Anschluss von Besatzungskräften schwerverletzte Mann am Boden liegt und sich kaum bewegen kann, während bewaffnete israelische Polizei/Soldaten langsam auf ihn zugehen und ihn anschließend aus kurzer Distanz erschießen. https://www.facebook.com/ofercass/videos/4329222173867351/
2. Getöteter Teenager am Checkpoint Jubara
Der erst 15-jährige Mohammad Younes wurde gestern Abend von israelischen Besatzungstruppen erschossen, als er am Militärcheckpoint Jubara südlich der Stadt Tulkaram im Westjordanland mit einem gestohlenen Auto in eine Gruppe von Soldaten fuhr. Das israelische Militär behauptet, er habe vorgehabt, eine Reihe von Soldaten am Checkpoint zu überfahren. Andere berichten von einem Unfall des Teenagers. Ein Soldat wurde schwer verwundet. Der Junge erlag kurze Zeit später im Krankenhaus seinen mehrfachen Schussverletzungen. Israelische Besatzungstruppen stürmten anschließend das Haus der Eltern im Dorf Kafr Qallil nahe Nablus. Nachdem die Eltern gerade ihr Kind verloren hatten, verwüsteten Soldaten ohne Vorankündigung das Haus, schrien, bedrohten die Eltern und zerstörten die Möbel. https://occupied-news.medium.com/2-tote-in-2-tagen-samstag-04-12-2021-6b90153b50af
Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.