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Vor 100 Jahren: Großbritannien verspricht den Juden das Land der Palästinenser

In wenigen Tagen, am 2. November 2017, wird der Israel-Palästina-Konflikt 100 Jahre alt. Denn am 2. November 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, verkündete die britische Regierung nach monatelangen Beratungen und öffentlichen Kontroversen: „Die Regierung Seiner Majestät betrachtet die Einrichtung eines nationalen Heims in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird ihre besten Bestrebungen einsetzen, um das Erreichen dieses Ziels zu ermöglichen.“

Dies ist die Hauptaussage der Balfour-Deklaration, benannt nach dem damaligen Außenminister Arthur James Balfour (1848-1930).


Bildquelle: Wikipedia

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Großbritanniens Motive für die Balfour-Deklaration

 Die Motive waren vielschichtig; wichtig waren wohl diese: 1. Abwehr von Flüchtlingen, 2. Englands imperiale Politik, 3. Abwehr des Bolschewismus und 4. der anglikanische Zionismus.

  1. Abwehr von Flüchtlingen: Nachdem seit 1880 über 100.000 jüdische Flüchtlinge aus dem Zarenreich in Großbritannien angekommen waren, formierte sich 1902 die nationalistische British Brothers’ League (»England for the English!«). Sie erreichte 1905 ein restriktives Einwanderungsgesetz und bereits 1903, dass die britische Regierung Herzls zionistischer Bewegung mit dem sogenannten „Uganda-Plan“ einen Landstrich in Kenia als jüdische Heimstätte anbot, um die Flüchtlinge umzulenken. Das lehnte die zionistische Bewegung nach anfänglichen Erwägungen letztlich ab. Es blieb den Juden aus dem Zarenreich als Auswanderungsziel Amerika, besonders die USA: Etwa 2 Mio. europäische Juden, die meisten aus dem Zarenreich, wanderten zwischen 1880 und 1914 dorthin aus. Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Auswanderung, und Großbritannien musste daher befürchten, wieder Ziel einer Flüchtlingswelle aus dem revolutionären, in Bürgerkrieg und Pogrome verstrickten Russischen Reich zu werden.
  2. Imperiale Politik: Der Reichtum Großbritanniens hing an seinen Kolonien, besonders am riesigen Indien. Der Handelsweg nach Indien führte durch das Mittelmeer über die britischen Stationen Gibraltar, Malta und Zypern sowie durch den Sueskanal. Ägypten war bereits britische Halbkolonie, und es war wichtig für Britannien, auch das östliche Hinterland des Kanals abzusichern: Palästina, das zum Osmanischen Reich gehörte. Dessen Zerschlagung war ein Hauptziel für Großbritannien im Ersten Weltkrieg. In Absprache mit Frankreich – 1916 durch das Sykes-Picot-Abkommen – wurde dieses Ziel nach Kriegsende durch den Völkerbund besiegelt.
  3. Abwehr des Bolschewismus: Winston Churchill schrieb 1920 in einem Zeitschriftenbeitrag: Die Juden hätten der Welt das Beste gegeben – das Christentum – und gäben ihr nun das Schlechteste – den Bolschewismus; alle führenden Sozialisten, besonders in Russland, seien jüdisch, außer Lenin. Man müsse diese Gefahr bekämpfen, indem man im Judentum die Neigung zum Sozialismus durch einen gesunden Nationalismus ersetze – den Zionismus. Churchill stand mit dieser Meinung unter den englischen konservativen Politikern nicht allein. (Dass kurze Zeit später, nach Lenins Tod, der Georgier Stalin seine Alleinherrschaft dadurch sichern würde, dass er alle anderen Führungspersonen, Juden wie Nichtjuden, umbrachte und dadurch eindeutig klar wurde, dass der Bolschewismus keine jüdische Macht war, konnten diese englischen Politiker nicht vorausahnen).
  4. Anglikanischer Zionismus: In der reformierten anglikanischen Kirche war die „evangelikale“ Idee weit verbreitet, dass Juden sich zum Christentum bekennen würden, wenn sie alle in „ihr“ Land zurückgekehrt seien und, dass dann Jesus Christus wiederkehren würde (siehe dazu Shlomo Sand in: Die Erfindung des Landes Israel). David Llyod George, Premierminister von 1916 bis 1922 und treibende Kraft der Balfour-Deklaration, war als gläubiger Evangelikaler aufgewachsen.

Gemäß der Deklaration ließ sich Großbritannien 1922 nach Ende des Ersten Weltkriegs ein Mandat des Völkerbunds für dieses Gebiet des Osmanischen Reichs geben, das das heutige Israel, das Westjordanland und den Gasastreifen umfasst, zum Aufbau der Jüdischen Heimstätte. Dies war im weiteren Verlauf ausschlaggebend für die Gründung des Staates Israel 1948 auf einem Teilgebiet dieses Mandats.

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Rolle von Juden bei der Balfour-Deklaration

Bei weitem nicht alle Juden befürworteten damals die Deklaration, jedoch konnten in England die Befürworter ihren Einfluss wirksam durchsetzen. Adressat der Deklaration war die zionistische Bewegung, die sich unter Juden im Zarenreich ab 1881 organisierte und 1897 durch den umtriebigen und gut vernetzten Wiener Journalisten Theodor Herzl als „Zionistische Weltorganisation“ ihre politische Form fand.

Repräsentant der zionistischen Bewegung in England war der im Zarenreich geborene Chemieprofessor Chaim Weizmann. Wichtiger Wegbereiter der Deklaration war Herbert Samuel, jüdisches Mitglied der britischen Regierung 1909-1916. Er entwarf bereits 1914 ein Memorandum The Future of Palestine: Aus den Gebieten des Osmanischen Reichs solle ein jüdischer Staat entstehen; dies sei aber noch nicht durchsetzbar, da die muslimische Bevölkerungsmehrheit nicht von einer jüdischen Minderheit regiert werden könne; daher sei eine britische Oberhoheit über dieses Land sinnvoll, bis so viele Juden eingewandert seien, dass sie Autonomie bekommen könnten. Samuel wurde 1922 der erste Hohe Kommissar Großbritanniens im Mandatsgebiet Palästina.

Gegner der Deklaration waren der Vorsitzende des Zentralrats britischer Juden David Lindo Alexander sowie der Begründer des Reform-Judentums in Großbritannien und der World Union of Progressive Jews Claude Montefiore. Sie stellten sich im Mai 1917 in einem gemeinsamen Artikel in der Londoner Times gegen den politischen Zionismus und warnten davor, jüdische Siedler in Palästina mit Sonderrechten gegenüber der arabischen Bevölkerung auszustatten. Der Artikel wurde drei Wochen später von einer knappen Mehrheit im Zentralrat missbilligt, Alexander musste zurücktreten. Aber auch Minister Edwin Montagu, ein Cousin Herbert Samuels und seit Juli 1917 britisches Regierungsmitglied, war entschieden und leidenschaftlich gegen die Deklaration, weil ein „Heimatland Palästina“ Juden in ihren eigentlichen Heimatländern zu Ausländern mache, weil es zu Benachteiligung und Vertreibung der Bevölkerung in Palästina führe und weil es bornierte, selbstbezogene Tendenzen im Judentum fördere.

Aufgrund seiner Intervention wurde die Balfour-Deklaration so formuliert, „dass nichts getan werden wird, das den bürgerlichen und religiösen Rechten bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder den Rechten und dem politischen Status, den Juden in jedem anderen Land genießen, abträglich ist.“

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Die Folgen

Leider waren diese Klauseln langfristig nicht wirksam: Vielmehr geschah im Folgenden sehr viel, das den Rechten der arabischen Bevölkerung in Palästina abträglich war. Es geschah im Folgenden auch sehr viel, das den Rechten der Juden in „jedem anderen Land“ abträglich war: Große Teile des europäischen Judentums wurden vernichtet. Dies war zwar keine Folge der Balfour-Deklaration; aber die Existenz der jüdischen Heimstätte im Heimatland der arabischen Bevölkerung erwies sich auch nicht als ein Schutz dagegen, vor allem weil der Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen die von ihnen als kolonialistische Übernahme wahrgenommene jüdische Einwanderung die britische Mandatsmacht zu massiven Beschränkungen dieser Einwanderung zwang – genau zu der Zeit von 1933 bis 1945, in der sie am nötigsten gewesen wäre.

Ein trauriger Höhepunkt als Folge der Balfour-Deklaration war mit Ende der britischen Mandatsherrschaft die Naqba 1947/48, die Vertreibung und Enteignung von ca. 750.000 arabischen Menschen durch den neuen jüdischen Staat.

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Wer’s genauer wissen möchte…

 

Das gerade erschienene Buch von Rolf Verleger: 100 Jahre Heimatland? Judentum und Israel zwischen Nächstenliebe und Nationalismus (Westend, Frankfurt/M, 2017) geht sehr viel ausführlicher auf dieses Thema und die Hintergründe ein.

Die britischen „Independent Jewish Voices“ haben eine aktuelle kritische Bewertung der Balfour-Deklaration gefilmt. Eine Besprechung dazu finden Sie auf Mondoweiss. Hier können Sie eine Vorschau und hier direkt den ganzen 24-minütigen Film ansehen. 

https://youtu.be/a2Y3Pllutjo 

Der jetzige Earl of Balfour, Urenkel von A.J. Balfours Bruder, schrieb im Februar 2017 einen Brief an die New York Times, in dem er – zu Unrecht – humanistische Motive als Hauptgrund der Balfour-Deklaration benennt, aber auch – völlig zu Recht – darauf hinweist, dass unter humanistischen Gesichtspunkten die aus der Deklaration entstandene Lage dringend der Änderung bedarf.

Balfour als Puppe am Eingang zum Occupation Museum des englischen Künstlers Banksy in Bethlehem. Da sitzt er nun und ist von einer hohen Mauer umzingelt. Ob er sich das so gedacht hatte? (Bildquelle: Privat)

3 Kommentare

  1. Zwei, drei wichtige Aspekte fehlen leider. So hatte Großbritannien gar nicht die Befähigung zu verschenken, was ihm nicht gehörte. Auf der anderen Seite gab es schon ein anderes Versprechen: das gegenüber den Arabern selbst, deren Unabhängigkeit zu garantieren.

    In einem Memorandum aus dem Jahr 1919 des Political Intelligence Department of the Foreign Office für die Pariser Friedenskonferenz heißt es in Section IV:

    „With regard to Palestine, His Majesty’s Government are committed by Sir Henry McMahon’s letter to
    the Sherif on October 24, 1915, to its inclusion in the boundaries of Arab independence.“

    Im Appendix lesen wir:

    „The whole of Palestine, within the limits set out in the body of the Memorandum, lies within the limits which H.M.G. have pledged themselves to Sherif Hussein that they will recognize and uphold the independence of the Arabs.“

    (Zit. in: Alfred M. Lilienthal: „The Zionist Connection II“, p. 818n16.)

    Pikant ist auch die ursprüngliche Formulierung der Balfour Declaration, in der die Wortgruppe „the Jewish race“ durch „the Jewish People“ ersetzt wurde, nachdem sich der Richter am Supreme Court der USA, Louis Brandeis, dafür eingesetzt hatte. Weizmann scheint diese Bedenken nicht gehabt zu haben. (Ebd., n11.)

    Was auch nicht vergessen werden darf: Ein jüdischer Staat war nicht die Intention der Balfour Declaration, denn es heißt darin auch:

    „[…] it being clearly understood that nothing shall be done which may prejudice civil and religious rights of existing non-Jewish communities in Palestine […]

  2. Vor ca 25 Jahren wurde bekannt -Artikel unter GESCHICHTE in der ZEIT (?) – , dass Wilhelm II eine ähnliche Zusicherung für den Fall des Sieges an die zionistische Bewegung gegeben habe. Wissen Sie Genaueres?

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