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Bekannter israelischer Demograph: Ein- und Auswanderung hat hauptsächlich wirtschaftliche Gründe
Zusammenfassung: Das Konzept einer „demographischen Bedrohung“ führte in Israel zu „demographietechnischen“ Plänen, um die jüdische Mehrheit zu erhalten. Trotz dieser Politik, die auf Apartheid hinausläuft, besteht in den Gebieten unter israelischer Kontrolle (Israel und besetzte Gebiete) keine jüdische Mehrheit mehr, denn viele junge und gebildete Israelis verlassen das Land auf der Suche nach besserer Beschäftigung und einem besseren Lebensstandard, insbesondere nach Deutschland.
 
Prof. Dr. Sergio Della Pergola ist neben Prof. Dr. Arnon Soffer einer der beiden bekanntesten Demographen Israels. Die Demographie ist eine Wissenschaft, die nützliche Vorhersagen über Veränderungen in der Alterspyramide und in der Bevölkerungsgröße liefern und bei der politischen Planung helfen kann, von der Öffnung von Kitas bis zur Einrichtung von Seniorenheimen. In Israel konzentrieren die Demographen jedoch einen großen Teil ihrer Arbeit auf die Erhaltung der „jüdischen Mehrheit“. Am 28. Juli gab Della Pergola Haaretz ein Interview, in dem er davor warnte, dass die wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 und von Maßnahmen zur Verlangsamung der Infektionsrate zu einer Abwanderung junger, gebildeter Israelis führen könnten. Er verwendete vorsichtig das Wort „Israelis“ anstelle von „Juden“, aber er konnte voraussetzen, dass die Leser von Haaretz wissen, dass Bildung ungleich verteilt ist. Laut dem Adva Center (einer israelischen NGO für Gleichberechtigung) qualifizierten sich 2019 nur 39 % der arabischen Bürger Israels für ein Abitur, verglichen mit 54 % der jüdischen Bürger desselben Alters, und nur 29 % der Araber begannen innerhalb von acht Jahren nach dem Alter von 17 Jahren ein Hochschulstudium, verglichen mit 38 % bei den Juden. Mit anderen Worten: Della Pergola warnte davor, dass Covid-19 die jüdische Mehrheit gefährden könnte.
 

Der Vorsitzende der Partei der Gemeinsamen Liste, Ayman Odeh, veröffentlichte dieses Bild auf seinem Twitter-Konto mit der Bildunterschrift: „Letzten Endes muss man diese drei demographischen Bedrohungen zu Bett bringen“, wobei er ironisch auf das Konzept verwies, dass palästinensische Kinder eine „demographische Bedrohung“ darstellen. Quelle: Twitter, 2019.
 
Tatsächlich bilden Juden in dem gesamten von der israelischen Regierung kontrollierten Gebiet nicht die Mehrheit. Als die israelische Armee 1967 das Westjordanland, den Gaza-Streifen, den syrischen Golan und die ägyptische Sinai-Halbinsel eroberte, sagte der israelische Premierminister Levi Eschkol: „Wir haben eine gute Mitgift bekommen, aber sie kommt mit einer Braut, die wir nicht mögen.“ Er bezeichnete das Land als die Mitgift und das palästinensische Volk als die Braut. Tatsächlich sind die Palästinenser heute, 53 Jahre später, im gesamten vom Völkerbund definierten Mandatsgebiet Palästina westlich des Jordan zahlreicher als die Juden. Auch wenn viele Israelis die Tatsache leugnen, dass der Gazastreifen immer noch von Israel besetzt ist und unter strenger israelischer Kontrolle steht und daher bereits jetzt eine palästinensische Mehrheit besteht, betrachten sie die Aussichten auf eine wachsende palästinensische Bevölkerung als „demographische Bedrohung“, die die Juden eines Tages zu einer Minderheit machen könnte. Tatsächlich zeigen Daten des israelischen Zentralamts für Statistik und des palästinensischen Zentralamts für Statistik, dass im Jahr 2018 die Juden 48,9% der Bevölkerung im ehemaligen Mandatsgebiet ausmachten (dabei ist bereits berücksichtigt, dass beide Statistikbüros palästinensische Einwohner von Ost-Jerusalem zählen; wir haben diese Verdopplung von der Gesamtzahl abgezogen).
 

Sergio Della Pergola, Quelle: Wikipedia, 2008.
 
In seinem Interview griff Della Pergola die Annahme an, dass Begeisterung für den Zionismus und Flucht vor Antisemitismus Juden dazu bewegen, nach Israel zu kommen; vielmehr sei die Ein- und Auswanderung in den letzten 30 Jahren am besten durch Unterschiede in der Arbeitslosenquote zwischen Israel und anderen Ländern zu erklären und würde nun verstärkt dazu führen, dass Juden das Land verlassen. Er beklagte, dass Deutschland eine große Anziehungskraft auf junge, gebildete Israelis ausübt. Dieser Trend hat nicht erst mit der Ausbreitung von Covid-19-Infektionen begonnen, wie der Ökonom Prof. Dr. Dan Ben-David in einer Reihe von Publikationen berichtete. Ben-David errechnete, dass im Jahr 2017 auf jeden gebildeten Israeli, der aus dem Ausland nach Israel zurückkehrte, 4,5 gebildete Israelis das Land verließen. Ben-David warnte, dass aufgrund der extremen Einkommensungleichheit in Israel etwa 130.000 Akademiker das Rückgrat der Wirtschaft sind, einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Steuern zahlen und einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Löhne und Gehälter verdienen. Er warnte: „Wenn eine kritische Masse von mehr als 130.000 weggeht, sind alle anderen verloren.“
 
Im Jahr 2002 brachte Della Pergola seine Unterstützung für den Plan des israelischen rechtsextremen Politikers Avigdor Lieberman zum Ausdruck, Gebiete der Palästinensischen Autonomiebehörde aus demographischen Gründen zu tauschen, um einerseits völkerrechtswidrige israelische Kolonien im Westjordanland nach Israel einzuverleiben und andererseits palästinensische Städte und Dörfer innerhalb Israels loszuwerden. Er warnte die israelische Regierung mehrfach davor, dass die Annexion des gesamten Westjordanlandes oder auch nur eine längere Besatzung zu Instabilität und zum Ende eines jüdischen Staates führen könnte, aber er ist sich bewusst, dass solche „demographietechnischen Maßnahmen“ („demographic engineering“) zur gewaltsamen Aufrechterhaltung der jüdischen Mehrheit ein Verstoß gegen die Menschenrechte sind, wie im neuen Rechtsgutachten der israelischen Organisation Yesh Din zur Apartheid erläutert wird. Trotz der Warnungen nahmen israelische Regierungen mit der Umsetzung von Plänen, Jerusalem „jüdischer“ zu machen, mit der Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2003, die die Familienzusammenführung von Palästinensern verhindert, und mit dem 2018 erlassenen Nationalstaatsgesetz Einfluss auf die demographische Entwicklung und tun dies auch weiterhin.
 
Da viele Juden innerhalb und außerhalb Israels den Staat Israel nicht mehr als ein Projekt von überragender politischer Bedeutung betrachten, sind sie nicht mehr bereit, Opfer zu bringen, um nach Israel auszuwandern, oder im Land zu bleiben, wenn sich dort ihre wirtschaftliche Lage verschlechtert. Bei ökonomischer Talfahrt stimmen die Israelis mit den Füßen ab. So ist bereits ein binationaler Staat mit einer palästinensischen Mehrheit entstanden. Das Problem ist nur, dass dieser Staat die meisten Palästinenser ihrer politischen Rechte und ihrer Staatsbürgerschaft beraubt und sich als ein Staat definiert, der nur für seine jüdische Minderheit existiert.
 
Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever.
V. i. S. d. P. Prof. Dr. Rolf Verleger, BIP-Vorsitzender 


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Das Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V. (BIP) lädt ein zu einer Video-Konferenz am Donnerstag, 8. Oktober 2020, 19 Uhr MEZ, zum Thema: 
„Die Annexion palästinensischen Landes geht weiter.Wie reagieren die Palästinenser?“ 
Referentin: Dr. Bettin
a Marx, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah 

Auch ohne dass der offizielle Annexionsplan umgesetzt wird, schaffen Siedler und israelische Armee facts on the ground. Wie reagieren palästinensische Autonomiebehörde (PA) und Zivilgesellschaft? Zeigt sich eine Spaltung zwischen der PA und dem Widerstand an der Basis in den Dörfern?

Diesen Aspekten und Fragen wird Dr. Bettina Marx nachgehen. Sie leitet das HBS-Büro in Ramallah seit September 2015 und verfügt über langjährige Erfahrungen im Nahen Osten als Journalistin für die ARD und die Deutsche Welle. Sie ist ausgewiesene Expertin insbesondere für Fragen der innerpalästinensischen Politik und der Lage der Menschen vor Ort. Ihr Grund legendes Buch „Gaza. Berichte aus einem Land ohne Hoffnung“ aus dem Jahr 2009 unterstreicht ebenso wie zahlreiche Artikel in diversen Medien ihre große Kenntnis unterschiedlicher Aspekte der Situation im Nahen Osten. Für ihre Arbeit wurde sie 2015 durch die „Deutsche Initiative für den Nahen Osten“ mit einem Medienpreis ausgezeichnet.

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