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Ein aktueller Bericht beschreibt die systematischen Angriffe gegen palästinensische Schulen im Westjordanland
Zusammenfassung: Der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) veröffentlichte einen umfassenden Bericht über gewalttätige Angriffe von israelischen Kolonisten und Soldaten gegen Schulkinder und Schulpersonal im Westjordanland über einen Zeitraum von 30 Monaten. Der Bericht zeigt das Ausmaß, in dem die israelischen Behörden ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen und versuchen, palästinensischen Kindern, insbesondere im C-Gebiet, den Zugang zu Bildung unmöglich zu machen.
 
In der Covid-19-Krise befinden sich viele Länder in dem Dilemma, das Recht auf Bildung mit dem Recht auf Gesundheit in Einklang bringen zu müssen. Für die Palästinenser in der Westbank ist dieses Dilemma viel älter als die Covid-19-Krise. Die ständigen Angriffe von israelischen Kolonisten und dem israelischen Militär auf Menschen und Eigentum, auf Schulkinder, ihre Eltern und das Schulpersonal haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Bildungsangebote im besetzten Westjordanland.
 
Im November dieses Jahres veröffentlichte der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) einen umfassenden Bericht über diese Angriffe. Der Titel des Berichts lautet „Raided and Razed“: Attacks on West Bank Education“ (Überfallen und dem Erdboden gleichgemacht: Angriffe auf das Bildungswesen im Westjordanland). Der Bericht bezieht sich auf einen Zeitraum von 30 Monaten im Westjordanland, insbesondere im C-Gebiet. In diesem Zeitraum verzeichnete der NRC 296 Angriffe auf Bildungseinrichtungen sowie auf Schulkinder und Schulpersonal. Drei Viertel der Angriffe wurden von israelischen Streitkräften durchgeführt, der Rest von Kolonisten und ihren Anhängern in Zivilkleidung. Nahezu achtzig Prozent der Angriffe konzentrierten sich auf die Verwaltungsbezirke Nablus und Hebron.
 
Zu den Angriffen auf das Bildungswesen zählen dem Bericht zufolge die Belästigung von Schulkindern, körperliche Gewalt gegen sie und gegen Lehrer, Angriffe mit scharfer Munition, mit Gummigeschossen, Tränengas und Steinen, das Behindern und sogar die Festnahme von Schulkindern und Schulpersonal, Razzien in den Schulen während des Unterrichts, das Blockieren der Zu- und Ausgänge der Schulen sowie der Abriss von Schulgebäuden. Zur gleichen Zeit gewährt die israelische Regierung Subventionen für den Bau von Bildungseinrichtungen in den illegalen Kolonien im Westjordanland. Die Bedingungen für Schulkinder in den Kolonien sind sogar besser als für israelische Schulkinder, z.B. was die Klassenstärke anbelangt. Auch im universitären Bereich werden die Kolonisten bevorzugt: Dank massiver staatlicher Investitionen und großzügiger Spenden rechter Milliardäre wie des US-Amerikaners Sheldon Adelson gibt es in der illegalen Kolonie Ariel  sogar eine israelische Universität („Ariel-Universität“), die die palästinensischen Nachbarn aus Salfeet zwar von Weitem sehen, in der sie sich aber nicht immatrikulieren können.
 

Titelseite des NRC-Berichts von Ahmad Al-Bazz, 2020.
 
Nach dem humanitären Völkerrecht hat der Besatzer die Verantwortung für die Bereitstellung von Bildungsangeboten für die Bevölkerung unter militärischer Besatzung. Im Fall von Israel/Palästina wurde die Verwaltung des Bildungswesens in den Gebieten A und B gemäß der Osloer Rahmenvereinbarung der Palästinensischen Autonomiebehörde übertragen, so dass die israelische Regierung nicht mehr für das palästinensische Bildungssystem in diesen Gebieten verantwortlich ist, im C-Gebiet  aber immer noch die volle Verantwortung für das Bildungssystem trägt. Bei Angriffen auf Bildungseinrichtungen der Palästinenser im C-Gebiet  durch die israelischen Streitkräfte handelt es sich daher um Angriffe auf Einrichtungen, für die sie verantwortlich sind. Darüber hinaus verbietet die Vierte Genfer Konvention die Zerstörung von Eigentum, einschließlich von Bildungseinrichtungen, es sei denn, dies ist aus militärischen Gründen unbedingt notwendig. Die systematischen Angriffe auf Bildungseinrichtungen im gesamten Westjordanland verstoßen gegen die Vierte Genfer Konvention und kommen einem Kriegsverbrechen gleich.
 
Zu diesem Thema schrieb Gideon Levy vor Kurzem in Haaretz:  Im Dorf Ras a-Tin  wurde für die Kinder des Dorfes erst kürzlich eine kleine Schule mit sechs Räumen gebaut, mit Geldern der EU und einer europäischen Organisation namens Gruppo di Volontariato Civile (GVC), um den Schulkindern den täglichen, fünfzehn Kilometer langen Schulweg ins nächste Dorf zu ersparen. Dabei wurden sie  auf der Fahrt immer wieder von Kolonisten und Soldaten angegriffen. Unmittelbar nach Fertigstellung des Schulgebäudes hat die israelische Militärregierung im Westjordanland, fälschlicherweise „Zivilverwaltung“ genannt, Abrissbefehle für die Schule erlassen. Beamte der Zivilverwaltung sind bereits eingetroffen. Beamte der Zivilverwaltung stellten bei ihrer Inspektion fest, dass die sanitären Anlagen in der Lehrertoilette nicht funktionieren und verhinderten, dass  die Schule an das Wasser- und Abwassersystem angeschlossen wird.
 

Mädchenschule im Schatten der Trennmauer im Aida-Flüchtlingslager in der Nähe von Bethlehem im Westjordanland. Quelle: Aktivitäten, Anna Paq, 2006.
 
Neben den zahlreichen Fallstudien von NRC gibt es Berichte über israelische Zerstörungen palästinensischer Schulen im Westjordanland, auf die der Bericht nicht eingeht. Ein bemerkenswerter Fall ist die Schule in Izbiq, bei der es sich um von der EU gestiftete Wohnwagen handelte, die als Klassenzimmer für den Unterricht genutzt wurden. Im Oktober 2018 überfielen israelische Streitkräfte die Schule und beschlagnahmten die sechs Wohnwagen. Im Mai 2019 bot das israelische Verteidigungsministerium die beschlagnahmten Wohnwagen zum Verkauf an. Als die Geschichte in der internationalen Presse bekannt wurde, verzögerte sich der Verkauf. Die EU hat jedoch nie eine Entschädigung verlangt oder gar erhalten. Zudem wurde den Kindern von Izbiq nie der Besuch einer ordentlichen Schule ermöglicht.
 
NRC beschloss, sich auf Beduinengemeinschaften im C-Gebiet zu konzentrieren, obwohl eine größere Zahl palästinensischer Schulkinder von der israelischen Gewalt in den Städten, in den Gebieten A und B sowie in Ost-Jerusalem betroffen ist. Der Grund für diesen Schwerpunkt liegt darin, dass die Beduinen besonders unter der israelischen Politik leiden, vor allem was die Bildungseinrichtungen betrifft. Beduinen im C-Gebiet führen ein prekäres Leben, sie stehen am untersten Ende der sozialen Pyramide. Viele Schulkinder brechen die Schule ab, weil der Schulweg zu lang und das Risiko zu groß ist, von Kolonisten oder israelischen Soldaten belästigt oder angegriffen zu werden. Die israelischen Behörden wenden viel Geld und militärische Aktionen auf, um gegen diese kleinen Gemeinden vorzugehen. Gerade weil ihnen klar ist, dass Bildung ein grundlegendes Menschenrecht ist, zerstören sie die wenigen und spärlich ausgestatteten Bildungseinrichtungen der Beduinen.
Mit anderen Worten: Indem den Palästinensern im Westjordanland, insbesondere im C-Gebiet, der Schulbesuch erschwert oder unmöglich gemacht wird, entzieht man ihnen eine wichtige Lebensgrundlage. Der israelische Staat verhindert damit eine positive wirtschaftliche Entwicklung und zwingt die Menschen zum Verlassen des Gebietes – es ist ein Versuch, das Westjordanland, insbesondere das C-Gebiet, von der palästinensischen Bevölkerung ethnisch zu säubern.
 
Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever.
V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand 

 
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Wöchentliche BIP-Empfehlungen:
Der Dritte Ausschuss der UN-Generalversammlung stimmte über einen Resolutionsentwurf ab, der das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anerkennt. Der Entwurf wurde mit 163 Ja-Stimmen angenommen, darunter Deutschland, eine Enthaltung (Australien) und fünf Gegenstimmen (Israel, USA, Nauru, Marshall-Inseln und Mikronesien). Zum ersten Mal stimmt die deutsche Vertretung in der UNO entsprechend ihrer eigenen offiziellen Position zur Unterstützung der Zwei-Staaten-Lösung ab.
https://www.un.org/en/ga/third/75/docs/voting_sheets/L.45.pdf

Tag: 28. November 2020