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B‘tselem: Weil zwischen Mittelmeer und Jordan nur  jüdische Israelis Zugang zu nationalen Rechten und Selbstbestimmung haben, ist Israel ein Apartheidstaat

Zusammenfassung: Israels größte Menschenrechtsorganisation B’tselem hat ein Gutachten veröffentlicht, in dem bestätigt wird, dass die israelische Regierung im gesamten von ihr kontrollierten Gebiet Israels/Palästinas regelmäßig ein System der Apartheid praktiziert. Die Reaktionen auf der ganzen Welt sind dramatisch, während innerhalb Israels diese Tatsache bekannt und daher nicht überraschend ist.

Am 12. Januar veröffentlichte B’tselem auf seiner Website einen neuen Bericht mit dem Titel „A regime of Jewish supremacy from the Jordan River to the Mediterranean Sea: This is Apartheid“ [„Ein Regime der jüdischen Vorherrschaft vom Jordan bis zum Mittelmeer: Das ist Apartheid“]. B’tselem ist die größte und eine der ältesten Menschenrechtsorganisationen Israels. Ihr Name bedeutet „im Ebenbild“ und ist abgeleitet von Genesis 1:27: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau“.

Das Logo, das B’tselem ihrem Bericht beigefügt hat. Quelle: B’tselem.

Die UN-Konvention aus dem Jahr 1973 definiert das Verbrechen der Apartheid durch eine Reihe von Faktoren. Die Konvention betont, dass neben der Situation in Südafrika und Rhodesien (heute Simbabwe) das Verbrechen auch in anderen Ländern und in unterschiedlichen Formen existieren kann. Obwohl sich die israelische Regierung der Verletzung aller Klauseln der Definition schuldig gemacht hat, wird seit Jahrzehnten heftig politisch und juristisch darüber gestritten, ob der Begriff „Apartheid“ zutreffend ist: Gilt er nur in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten oder nur innerhalb der international anerkannten Grenzen Israels?

Im Mai 2009 veröffentlichten Rechtsexperten aus Südafrika eine umfassende Analyse der israelischen Politik in den Besetzten Palästinensischen Gebieten und kamen zu dem Schluss, dass hier Apartheid tatsächlich systematisch ausgeübt wird. Ihre Schlussfolgerungen wurden ignoriert, weil viele Unterstützer des Staates Israel Südafrikanern das Recht absprechen, zum Verbrechen der Apartheid Stellung zu beziehen. John Dugard, ein südafrikanischer Professor für Internationales Recht und einer der Wissenschaftler, die die Anti-Apartheid-Konvention der UNO formuliert haben, schrieb 2013 zusammen mit John Reynolds einen Artikel mit dem Titel „Apartheid, Internationales Recht und die Besetzten Palästinensischen Gebiete“, in dem er den Standpunkt vertrat, dass die Apartheidpolitik tatsächlich in den Besetzten Palästinensischen Gebieten praktiziert wird (ohne dabei ein Urteil darüber abzugeben, ob das auch innerhalb der offiziellen Grenzen des Staates Israel zutrifft). Selbst der damalige deutsche SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erklärte 2012 nach einem Besuch in Hebron in einem Facebook-Post, dass Israel ein Apartheid-Regime praktiziert. Ein neues Buch von Nathan Thrall wurde kurz vor dem B’tselem- Bericht veröffentlichtet.

Graffiti an der University of the Witwatersrand, Johannesburg. Quelle: Wikipedia, 2011.

Im Jahr 2017 beauftragte die UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien ESCWA zwei der weltweit führenden Experten für internationales Recht Richard Falk und Virginia Tilley, einen Bericht zu diesem Thema zu verfassen. Der Bericht mit dem Titel „Israels Praktiken gegenüber dem palästinensischen Volk und die Frage der Apartheid“ kam zu dem Schluss, dass Apartheid im gesamten vom Staat Israel kontrollierten Gebiet ausgeübt wird – einschließlich des Westjordanlandes, des Gazastreifens und des besetzten syrischen Golan. Der Bericht stützte diese Schlussfolgerung auf mehrere Fakten, von denen zwei hier besonders relevant sind. Zum einen geht es bei der Apartheid (was auf Afrikaans „Trennung“ bedeutet) nicht nur um die Trennung zwischen Juden und Palästinenser*innen, sondern auch um die Trennung zwischen Palästinenser*innen und anderen Palästinenser*innen. Die Tatsache, dass es palästinensischen Bürger*innen Israels nicht erlaubt ist, ihre Freunde und Familienmitglieder im Gazastreifen, im Westjordanland oder in den Nachbarländern zu treffen, ist Teil der Apartheid-Situation. Das zweite ist die Trennung zwischen Bürgerrechten und nationalen Rechten – was bedeutet, dass palästinensische Bürger*innen Israels zwar einfache Rechte als Bürger*innen haben (wie z.B. Zugang zu Sozialleistungen), aber keine nationalen und kollektiven Rechte. So ist es Parteien, die die Interessen der Palästinenser vertreten und eine Änderung der Definition des Staates Israel von einem jüdischen zu einem demokratischen Staat fordern, nicht erlaubt, für die Knesset zu kandidieren (Grundgesetz der Knesset, Ziff. 7a. (a)(1)).

Der UN-Bericht wurde auf Druck der Vereinigten Staaten zurückgezogen, und die israelische Regierung und die Knesset ließen sich von dem Bericht nicht beeindrucken, denn das Wort Apartheid (auf Hebräisch „hafrada“) klingt für Israelis nicht sehr furchterregend. Viele Israelis verstehen und akzeptieren, dass sie in einem Apartheidsystem leben. In einer Umfrage von 2012 sagten 58% der Israelis, dass Apartheid gegen Palästinenser*innen praktiziert wird, und zwei Drittel der Israelis sind der Meinung, den Palästinensern in der Westbank sollte nach einer Annexion durch Israel das Wahlrecht verweigert werden. Nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des UN-Berichts hat die israelische Knesset im Juli 2018 das „Nationalstaatsgesetz“ verabschiedet, das in Israel „Gesetz der Nation“ genannt wird. Paragraf 1 des Gesetzes bestätigt den Hauptpunkt, der im UN-Bericht angesprochen wurde:

1. Grundprinzipien
Das Land Israel, in dem der Staat Israel gegründet wurde, ist die historische Heimat des jüdischen Volkes. Dieser Staat Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes, in dem es sein Recht auf nationale, kulturelle, historische und religiöse Selbstbestimmung ausübt. Das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist im Staat Israel einzigartig für das jüdische Volk.“


Der B’tselem-Bericht über Apartheid nimmt ausführlich zu dem Gesetz Stellung. Dabei wird klar, dass ein Staat, in dem nur eine einzige ethnische, religiöse oder nationale Gruppe Zugang zu nationalen Rechten und Selbstbestimmung hat, ein Apartheidstaat ist. Der Bericht von B’tselem spricht eine deutliche Sprache: Mehr als vierzehn Millionen Menschen leben unter israelischer Kontrolle – unter einem System der strengen Hierarchie von Rechten und Privilegien, das nur  mit dem Wort Apartheid beschrieben werden kann. Ilana Hammerman schrieb in Haaretz, dass der Begriff Apartheid die Realität in Israel/Palästina besser beschreibt als das Wort Besatzung. Die politische Implikation des B’tselem-Berichts ist, so schreibt Ilana Hammerman, dass Aktivisten das Recht haben, zum Boykott israelischer Produkte aufzurufen. Hatim Kanaaneh schrieb für Mondoweiss, dass das Wort „Apartheid“ sogar zu schwach sein könnte, um die Diskriminierung der Palästinenser adäquat zu beschreiben. Gideon Levy sieht den B’tselem-Bericht als einen dringenden Schrei zum Handeln – um das Apartheidsystem zu beenden.

Obwohl der Bericht in den internationalen Medien breit diskutiert wurde, sogar in der Freitag,  in Tachles und in Occupied News, haben ihn die israelischen Medien zunächst ignoriert, wie die Organisation Seventh Eye für Medienforschung herausfand. Sogar die Zeitung Haaretz entschied sich, den Bericht nur in ihrer englischen Ausgabe zu erwähnen. Es ist möglich, dass ein Grund für das Ignorieren des Berichts darin liegt, dass für die meisten Israelis das Wort Apartheid nicht neu oder beleidigend ist, es ist eine einfache Beschreibung der Realität, die sie kennen, möglicherweise wollte man aber B`tselem zunächst auch nicht zu viel Publizität verschaffen.

Dieses Schweigen der Medien änderte sich jedoch durch die Bemühungen des israelischen Bildungsministers Yoav Galant, ehemaliger Generalmajor des israelischen Militärs, der die israelische Invasion des Gazastreifens in den Jahren 2008-2009, bekannt als Operation „Gegossenes Blei“, befehligte. Als Bildungsminister ordnete Galant an, dass die Schulen B’tselem-Mitarbeiter*innen nicht mehr einladen dürfen, um mit Schüler*innen zu sprechen. Eine berühmte Schule in Haifa („Hareali“) widersetzte sich der Anordnung des Ministers und lud den Geschäftsführer von B’tselem, Hagai El-Ad, zu einem Vortrag via Zoom ein. Das führte zu einer öffentlichen Debatte darüber, ob ein Minister das Recht hat, Veranstaltungen zu verhindern und zu zensieren und weckte neues Interesse der israelischen Medien am B’tselem-Bericht.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Dr. Felix Klein, vertritt offen die Behauptung, dass es antisemitisch sei, den Staat Israel einen Apartheidstaat zu nennen. Klein verleumdet damit nicht nur Israels größte Menschenrechtsorganisation als antisemitisch, sondern auch alle ihre Spender wie New Israel Fund, Europäische Kommission, Brot für die Welt und viele andere. Dies ist ein weiterer Beleg für die von offizieller deutscher Seite praktizierte Kontaktschuld und ein neues Beispiel dafür, wie der Antisemitismusvorwurf als Waffe instrumentalisiert sind, um pro-israelische Propaganda zu fördern und Kritik an der israelischen Politik zu diskreditieren.

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever.
V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand 

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Korrektur zu BIP aktuell 153: Dort heißt es, man müsse wissen, dass Palästinensern nur dann Baugenehmigungen erteilt werden, wenn diese Vorhaben nicht höher als maximal 20 cm unter bzw. 20 cm über die Erde reichen. Es muss heißen: Man muss wissen, dass für die Palästinenser in Gebiet C für den Bau von Strukturen, die 20 cm über oder 20 cm unter dem Boden liegen, eine israelische Baugenehmigung erforderlich ist.

7 Kommentare

  1. Hallo,

    ich habe den Eindruck, die Haltung Kleins zu Apartheid und Antisemitismus etwas differenzierter ist als in dem Zitat aus dem BiP Jetzt Blog behauptet. Abgesehen davon habe ich unter dem angegebenen Link kein Zitat gefunden, das die Behauptung stützt.

    Grüße Helmut Suttor

    https://plus.tagesspiegel.de/politik/felix-klein-und-micha-brumlik-im-streitgespraech-wann-wird-aus-kritik-an-israel-antisemitismus-33390.html

    Herr Klein, für Sie ist dagegen eine Grenze überschritten, wenn jemand Israel als Apartheid-Staat bezeichnet? KLEIN: Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, und der Historiker Moshe Zimmermann haben es einmal so formuliert: Israel befindet sich auf dem Weg in Apartheid-ähnliche Zustände. So könnte man das beschreiben, da verläuft die Grenze.

    Zitat aus dem BiP Jetzt Blog

    Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Dr. Felix Klein, vertritt https://www.dw.com/de/israelkritik-wer-ist-antisemit-und-wer-nicht/a-54418542 offen die Behauptung, dass es antisemitisch sei, den Staat Israel einen Apartheidstaat zu nennen. Klein verleumdet damit nicht nur Israels größte Menschenrechtsorganisation als antisemitisch, sondern auch alle ihre Spender wie New Israel Fund, Europäische Kommission, Brot für die Welt und viele andere. Dies ist ein weiterer Beleg für die von offizieller deutscher Seite praktizierte Kontaktschuld und ein neues Beispiel dafür, wie der Antisemitismusvorwurf als Waffe instrumentalisiert sind, um pro-israelische Propaganda zu fördern und Kritik an der israelischen Politik zu diskreditieren.

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