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Zwei Lager in der israelischen Armee

Das israelische Militär erlebt eine noch nie dagewesene Welle von Verweigerungen, Protestschreiben und Verschiebungen von Ausbildungs- und Reservediensten. Das Militär ist entlang wirtschaftlicher, ethnischer, religiöser und politischer Linien in zwei Lager gespalten. Das eine Lager hat begonnen, gegen die Maßnahmen der rechtsradikalen israelischen Regierung zu protestieren und sie abzulehnen, aber diese Proteste verlangsamen die Justizreform nicht und haben vermutlich zur Folge, die Unterstützung der Regierungspolitik durch das zweite Lager zu erhöhen.

Der bedeutendste Intellektuelle in der Geschichte des Staates Israel, Jeschajahu Leibowitz, vertrat die Ansicht, dass die Besatzung zu einem Ende kommen wird, wenn 500 Offiziere den Dienst verweigern (Quelle auf Hebräisch). Diese Aussage war spekulativ, denn in den fast 56 Jahren der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete hat es nie eine große Zahl von Verweigerern gegeben, schon gar nicht von Offizieren. Dies hat sich nun geändert, die Zahl der Verweigerer im israelischen Militär geht in die Tausende, aber die Besatzung ist noch nicht zu Ende.

Jeschajahu Leibowitz, Quelle: Wellcomme Grubner, Wikipedia.

Prof. Yagil Levy schrieb im Dezember 2022 einen Artikel mit dem Titel „The rebellion of Israel’s second army“. Levy stellt darin eine Spaltung innerhalb des israelischen Militärs zwischen der „ersten“ und der „zweiten“ Armee fest, wie er es nennt. Die erste Armee umfasst die technologischen Einheiten Israels, die hochqualifizierten Soldaten, Offiziere und Piloten, die Geheimdienstmitarbeiter und diejenigen, die die Drohnen steuern. usw. Die zweite Armee umfasst die einfachen Soldaten, die Infanterie, die Grenzpolizei, die Artillerie und die Panzerdivisionen. Levys Untersuchungen zeigen, dass es zwischen diesen beiden Teilen der Armee tiefgreifende Unterschiede gibt: ökonomisch, ethnisch, religiös und politisch. Er warnte davor, dass die zweite Armee, die für die tägliche Kontrolle der palästinensischen Gebiete zuständig ist, zu einer „Polizeiarmee“ wird und dass die Soldaten über die ihnen auferlegten Beschränkungen bei der Anwendung von Gewalt verärgert sind und anfangen zu rebellieren, indem sie Befehle missachten und sich wie ein bewaffneter Mob verhalten.

Die neue rechtsextreme israelische Regierung behauptet – populistisch wie sie ist – , sie spreche für die Soldaten der so genannten zweiten Armee. Der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, sagt, er stehe „hinter“ den Soldaten, die Befehle missachten, wie etwa dem Soldaten, der den palästinensischen Friedensaktivisten Issa Amro aus Hebron angegriffen hat (Quelle auf Hebräisch). Als die Regierung massive juristische Reformen ankündigte und Proteste in Israel ausbrachen (siehe BIP-Aktuell #245), schlossen sich Offiziere dem Protest an und veröffentlichten Briefe, in denen sie warnten, ihren Dienst zu verweigern, wenn die Regierung ihre Pläne für die Justizreform weiter verfolgt. Auch Gymnasiasten, die kurz vor ihrer Einberufung stehen, haben einen Brief veröffentlicht, in dem sie erklären, dass sie den Militärdienst wegen der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete verweigern.

Der Protest begann mit Hunderten von Geheimdienstoffizieren, die erklärten, die Justizreform gefährde die israelische Demokratie und sie könnten nicht für einen Staat kämpfen, der sie nicht vertrete. In Interviews gaben sie zu, dass der Grund für ihre Weigerung auch in ihrem eigenen Interesse liegt: Sie sind sich bewusst, dass sie nach dem Grundsatz der innerstaatlichen Justiz des Internationalen Strafgerichtshofs bei einer Schwächung des israelischen Gerichtssystems selber vor dem IStGH wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden könnten. Viele der Verweigerer aus den Geheimdiensten haben auch einen wirtschaftlichen Grund für ihren Protest – sie befürchten, dass die Regierungspolitik ihre künftigen Karrieren im High-Tech-Sektor gefährdet.

Die ”Refuseniks” halten sich zurück, denn keiner spricht von einem Militärputsch oder gar von Befehlsverweigerung. Einige sagen, dass sie sich erst weigern werden, wenn das Gesetz verabschiedet ist. Andere sagen, dass sie nicht an Schulungen teilnehmen und versuchen werden, den Reservedienst zu verschieben, bis der Stand der Justizreform klar ist.

Nach dem Pogrom in Huwara am 25. Februar hat sich die Zahl der Verweigerungen vervielfacht. Die Zahl der Petitionen geht nicht mehr in die Hunderte, sondern in die Tausende. Es gibt dafür unterschiedliche Begründungen und Zeugenaussagen. Haaretz veröffentlichte lange Erklärungen einiger der Verweigerer, die sagen, dass nicht die Justizreform für sie eine rote Linie sei, sondern das Pogrom in Huwara. Ein Militärarzt gab zu, dass er einen Militärkrankenwagen als Waffe benutzt hat, was eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt. Er sei aber der Meinung gewesen, dass Repressionsmaßnahmen gegen Palästinenser notwendig waren, jetzt könne er sich nicht mehr mit der Führung des Staates Israel identifizieren. Mehr als 200 der Militärärzte folgten ihm.

Es ist bemerkenswert, dass Cyberkrieger, die israelische Spionageprogramme betreiben (siehe BIP-Aktuell #240), ebenfalls ein Protestschreiben unterzeichnet haben und warnten, sie würden ihren Dienst verweigern, weil sie befürchten, dass die Technologie missbraucht werden könnte. Mossad-Agenten baten den Mossad-Chef um Erlaubnis, an dem Protest teilzunehmen. Hunderte ehemaliger Mitglieder des Shin Bet (der israelischen Geheimpolizei) haben sich ebenfalls dem Protest angeschlossen. Die Kampfpiloten sind jedoch die sichtbarste Gruppe der Verweigerer. 37 von 40 Piloten des Geschwaders 69, das für Luftangriffe mit großer Reichweite in Syrien und im Iran zuständig ist, haben sich geweigert, zu einer Trainingseinheit zu erscheinen. Der Kommandeur der israelischen Luftwaffe antwortete, dass „sie nicht ersetzt werden können“. Anstatt sie für ihre Weigerung zu bestrafen, rief das israelische Luftwaffenkommando die Piloten persönlich an und überzeugte sie letztlich erfolgreich, das Training wieder aufzunehmen.

Die Spaltung des israelischen Militärs ist von strategischer Bedeutung. Ohne Geheimdienst, Überwachung und Luftwaffe ist das Militär mehr denn je auf die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Sicherheitskräften angewiesen, um die Palästinenser unter Kontrolle zu halten. Ministerpräsident Netanjahu sagte, die Verweigerungen seien eine „Bedrohung für die Existenz des Staates Israel“.

Prof. Yagil Levy veröffentlichte am 7. März einen weiteren Artikel in Haaretz (Quelle auf Hebräisch). Levy wies darauf hin, dass die Verweigerungen nur aus der so genannten ersten Armee kommen, in der die überwiegende Mehrheit der Soldaten Aschkenasi (Juden europäischer Abstammung) sind, gut ausgebildet und aus der oberen Mittelschicht, meist säkular, während die zweite Armee, in der die meisten Soldaten Mizrachi (Juden arabischer Abstammung) sind und aus einer niedrigeren sozioökonomischen Schicht mit einem höheren Prozentsatz traditioneller und konservativer religiöser Soldaten kommen. Er vermutet, dass die Spaltung des Militärs die israelische Regierung und die Justizreform nicht aufhalten wird. Während Soldaten und Offiziere, die sich bisher nicht politisch geäußert haben, nun ihren Protest verstärken und sich gegen die israelische Regierung stellen, unterstützen die anderen Soldaten, die so genannte zweite Armee, die Regierungspolitik und sehen die rechtsextreme Regierung als ihre wahren Vertreter an.

Von links: Verteidigungsminister Yoav Galant, Premierminister Benjamin Netanyuahu, Armeechef Herzi Halevy. Quelle: Pressebüro der israelischen Regierung.

In einer Apartheid-Situation, in der die meisten Palästinenser kein Wahlrecht in Israel haben, verfügt die Regierung über eine Mehrheit in der jüdischen Bevölkerung. Eine populistische Regierung wie die gegenwärtige rechtsradikale lebt von Kontroversen und hat keinen Grund, Kompromisse zu suchen. Das Militär mag gespalten und geschwächt sein, aber die oppositionellen Kräfte in Israel sind machtlos.

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Eine neue Folge des BIP-Gesprächs ist da. Diese Woche sprechen wir mit Prof. Dr. Moshe Zuckermann, der an der Universität Tel-Aviv lehrte.
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BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.

Die zweifelhafte Rolle des Obersten Gerichtshofs

Der Familie eines langjährigen Mitarbeiters von Ir Amim, Ahmad Sub-Laban, droht ab dem 15. März die Zwangsräumung ihres Hauses im muslimischen Viertel der Altstadt.
„Ahmads Familie lebt seit 1954 in ihrem Haus und ist seit 40 Jahren in einen Rechtsstreit gegen die anhaltenden Versuche von Siedlern verwickelt, sie zu vertreiben und ihr Haus für eine jüdische Siedlung zu beschlagnahmen.
Nachdem sie sich jahrzehntelang durch die unteren Instanzen gewunden hatten, entschied der Oberste Gerichtshof 2016, dass Ahmads Eltern, Nora und Mustafa, für weitere zehn Jahre als geschützte Mieter in ihrem Haus bleiben können, Ahmad und seine Geschwister jedoch nicht. Drei Jahre später reichten die Siedler eine weitere Räumungsklage ein, in der sie behaupteten, Nora und Mustafa hätten gegen die Bedingungen des geschützten Mietverhältnisses verstoßen, weil sie sich außerhalb des Hauses aufhielten. Obwohl es Beweise dafür gab, dass wiederkehrende Gesundheitsprobleme der Grund für ihre Abwesenheit waren, entschieden die unteren Gerichte zugunsten der Siedlergruppe, und der Oberste Gerichtshof lehnte kürzlich den Antrag der Familie auf Berufung ab.
Für Ahmads Familie gibt es keine weiteren Rechtsmittel, um in ihrem Haus zu bleiben. Das Eingreifen der Regierung aufgrund des konzertierten öffentlichen Drucks ist das einzige Mittel, um ihre Vertreibung zu verhindern.
Neben Ahmads Familie stehen in diesem Monat mehrere andere palästinensische Familien in Ostjerusalem entweder vor der Räumung oder vor entscheidenden Anhörungen in Räumungsfällen, so dass mehr als 80 Personen gleichzeitig von der Zwangsvertreibung bedroht sind:
Die Familie Shehadeh aus Batan al-Hawa, Silwan, ist eine von 85 Familien mit über 700 Personen, denen die Räumung durch die Siedlerorganisation Ateret Cohanim in diesem Viertel droht. Das Bezirksgericht entschied, die Familie bis zum 1. März zu räumen, aber ein Antrag auf Berufung beim Obersten Gerichtshof ist noch anhängig. Die Familie besteht aus 5 Haushalten mit 35 Personen, die alle vertrieben werden sollen, falls der Oberste Gerichtshof den Antrag auf Berufung ablehnt.
Der Familie Salem, die aus drei Generationen – 11 Personen, darunter vier Kinder – besteht, droht die Vertreibung aus ihrem über 70 Jahre alten Haus im Stadtteil Um Haroun von Sheikh Jarrah. Zwei Siedleraktivisten und Mitglieder des Jerusalemer Stadtrats, Yonathan Yosef und der stellvertretende Bürgermeister Aryeh King, stehen hinter der Einleitung dieses Verfahrens. Ihre Räumung wurde im vergangenen Jahr genehmigt, aber ein Einspruch hat die Vollstreckung bisher vorläufig gestoppt. Eine entscheidende Anhörung wird voraussichtlich noch in diesem Monat stattfinden.
Die Familien Dajani, Daoud und Hammad gehören zu den etwa 30 Familien aus dem Stadtteil Kerem al Jaouni in Sheikh Jarrah, die von Nahalat Shimon, einem US-amerikanischen Unternehmen, das im Auftrag von Siedlern arbeitet, verklagt wurden. Am 29. März wird der Oberste Gerichtshof über ihre Berufung entscheiden.

Der gemeinsame Nenner dieser Fälle ist die Anwendung des Gesetzes über Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten von 1970. Mit Unterstützung staatlicher Stellen nutzen die Siedlerorganisationen dieses diskriminierende Gesetz als Grundlage für die Räumungsklagen.
Dieses diskriminierende Gesetz gibt Juden das alleinige Recht, Eigentum in Ostjerusalem zurückzufordern, das angeblich vor 1948 Juden gehörte. Für Palästinenser, die während des Krieges von 1948 auf der israelischen Seite der Grünen Linie Eigentum verloren haben, gibt es keinen vergleichbaren Mechanismus. Siedlergruppen, die von Regierungsbehörden unterstützt werden, sichern sich die Eigentumsrechte an diesen Grundstücken, obwohl sie in keiner Beziehung zu den früheren jüdischen Eigentümern oder Bewohnern stehen.

Sobald die Siedlergruppen die Eigentumsrechte innehaben, nutzen sie das Gesetz von 1970 als rechtliche Grundlage, um sich das Eigentum „zurückzuholen“ und Räumungsklagen gegen palästinensische Familien zu erheben. Viele der palästinensischen Familien, denen die Räumung droht, sind Flüchtlinge, die 1948 ihre Häuser auf der israelischen Seite der Grünen Linie verloren haben und nun ein zweites oder sogar drittes Mal vertrieben werden sollen. 

Im Gegensatz zu den ständigen Behauptungen der israelischen Regierung handelt es sich bei diesen Räumungsfällen nicht um gewöhnliche Grundstücksstreitigkeiten zwischen Privatpersonen. Es handelt sich vielmehr um eine koordinierte Kampagne zwischen staatlichen Stellen und Siedlergruppen, um die palästinensische Präsenz in der Stadt weiter zu schwächen und die israelische Kontrolle durch die Beschlagnahme palästinensischer Häuser für jüdische Siedlungen zu festigen. Das private und kollektive Haus der Palästinenser ist somit zur Frontlinie des politischen Kampfes um die Stadt und den Konflikt insgesamt geworden.

Abgesehen von den eklatanten Menschenrechtsverletzungen und den verheerenden humanitären Auswirkungen könnten die angedrohten Zwangsräumungen im Vorfeld des Ramadan am 22. März zu einer erneuten Verschärfung der Spannungen in Jerusalem und der gesamten Region führen.
Im Jahr 2021 führten die drohenden Zwangsräumungen palästinensischer Familien in Sheikh Jarrah in Verbindung mit Polizeigewalt, kollektiven Beschränkungen für die Bewohner Ost-Jerusalems und Verstößen gegen den Status quo auf dem Tempelberg/Haram al-Sharif während des Ramadan zu Unruhen in der gesamten Region und zum Ausbruch eines Krieges mit der Hamas.“
https://mailchi.mp/7b831f78d5f9/multiple-palestinian-families-face-eviction-threats-before-ramadan?e=8c34e5b7ee

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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