Wer sind die Zehntausende, die Israel verlassen?
- Auswanderung aus Israel
- Erfreulich
- Die Aneignung palästinensischen Landes
Es gibt widersprüchliche Berichte über die Auswanderungsraten aus Israel in den letzten anderthalb Jahren. Die Statistiken sind unvollständig, und die Methodik ihrer Erhebung ist fehlerhaft. Die Anzeichen für eine starke Auswanderung sind zahlreich und zeigen, dass diese schon vor dem Krieg begonnen hat. Die Gründe sind vielfältig, aber allen ist ein starker Zweifel in Bezug auf die Zukunft des Staates Israel gemeinsam.
In seinem im Juni 2024 erschienenen Artikel „Der Untergang der Zionismus“ schätzte Prof. Dr. Ilan Pappé, dass seit dem 7. Oktober 2023 eine halbe Million Israelis das Land verlassen hatten. Er nannte jedoch keine Referenz, um seine Behauptung zu untermauern. Prof. Dr. John Mearsheimer stellte im Mai 2024 eine ähnliche Behauptung auf einer CIS-Konferenz (Center for Independent Studies) auf, ebenfalls ohne Quellenangabe. Später meldete auch die israelische Einwanderungsbehörde, dass eine halbe Million Israelis das Land zwischen Oktober 2023 und Juni 2024 verlassen hat, aber die Zahl wurde nicht mit der Zahl der Eingewanderten verglichen (Quelle auf Hebräisch). Der in Berlin lebende Dichter und Übersetzer Dory Manor schrieb über viele Familien israelischer Autoren, die Israel still und leise verlassen haben und im Exil leben (Quelle auf Hebräisch). Israelis sprechen über die Massenauswanderung und weisen darauf hin, dass es unter anderem schwierig geworden ist, einen Arzttermin zu bekommen.
Der ehemalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett rief am 20. Juni 2024 auf Twitter dringend dazu auf, das Land nicht zu verlassen. Quelle: 2024, Twitter.
Kurz nach Ausbruch des Gaza-Krieges lehnten es die israelischen Medien ab, die Gerüchte über eine Massenauswanderung zu diskutieren, weil solche Gespräche die nationale Moral untergraben könnten (Quelle auf Hebräisch), aber das Schweigen trug nur zur Verbreitung unbegründeter Theorien bei. In der Zwischenzeit überschwemmten Propagandageschichten die israelischen Medien, in denen von angeblich Tausenden von Juden die Rede war, die sich entschlossen hatten, nach Israel zu reisen und dann dem Militär beizutreten (Quelle auf Hebräisch). Die Informationen der Grenzkontrollen über Ein- und Ausreisen waren widersprüchlich und unzuverlässig, da der Grenzübertritt durch viele Gründe motiviert sein konnte. Der rechtsgerichtete israelische Journalist Zvi Yekhezkeli behauptete, ebenfalls ohne Beweise, dass 95% der Menschen, die Israel verlassen, in Wirklichkeit Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft seien, die er abwertend als „arabische Israelis“ bezeichnete (Quelle auf Hebräisch).
Das Globes Magazine wandte sich an das Zentralamt für Statistik, um die tatsächlichen Zahlen zu erfahren. In Israel gibt es in dieser Behörde eine „Abteilung für Demografie“, die für die Zählung der verschiedenen Ethnien und Religionen zuständig ist. Sie soll mit ihrer Statistik kontrollieren, ob die jüdische Mehrheit in Israel gewahrt wird. Die Globes-Journalisten fanden keine Antworten auf ihre Fragen, waren aber überrascht, dass so viele Mitarbeiter der „Abteilung für Demografie“ Israel verlassen hatten und dass die Person, die die Abteilung jetzt leitet, Ahmed Heliheh, ein muslimischer Palästinenser ist. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ein Palästinenser dazu ernannt wurde, die statistische jüdische Mehrheit zu kontrollieren (Quelle auf Hebräisch).
Prof. Dr. Dan Ben David von der Universität Tel-Aviv und Gründer des Shoresh-Zentrums für Wirtschaftsforschung führte eine Studie über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Auswanderung durch. Ben David spricht zwar nicht von Israel als einem Apartheidstaat (BIP-Aktuell #273), aber seine Forschung befasst sich mit der großen wirtschaftlichen Ungleichheit, die die israelische Gesellschaft prägt. Seiner Analyse zufolge hängt die gesamte israelische Wirtschaft von einer kleinen Gruppe von Menschen ab, etwa 300.000, bei denen es sich um leitende Ärzte, Professoren, Ingenieure, High-Tech-Angestellte usw. handelt. Er warnte vor der Gefahr, dass Israel aufhören werde zu existieren, wenn ein bedeutender Teil dieser Gruppe auswandert (Quelle auf Hebräisch).
Eine Studie des Zentralamts für Statistik, die im Dezember 2024 veröffentlicht wurde, ergab, dass bei einem Vergleich der Zahl der eingewanderten Personen mit der Zahl der aus Israel ausgewanderten Personen ein Nettoverlust von 83.000 Personen ermittelt wurde. Dabei wurden nur die Personen gezählt, die vollständig ausgewandert sind, d. h. die ihre Krankenversicherung nicht mehr bezahlen. Man muss dazu wissen, dass Menschen ihre Krankenversicherung selten aufgeben, es sei denn, sie sind sich sicher, dass sie nie wieder zurückkehren werden (Quelle auf Hebräisch). Das bedeutet, dass der „Nettoverlust“ erheblich höher als 83.000 Personen sein dürfte. Eine statistische Studie von TheMarker hat gezeigt, dass die Auswanderer eine überdurchschnittliche Ausbildung und ein überdurchschnittliches Gehalt haben, in der Regel jünger sind und Familie mit Kindern haben. Das heißt also, dass viele eben dieser Menschen das Land verlassen haben, vor deren Auswanderung Dan Ben David gewarnt hat, weil sie für die Zukunft Israels wichtig seien (Quelle auf Hebräisch).
Die große Frage ist, aus welchem Grund insbesondere Menschen auswandern, die die die Möglichkeit haben, im Ausland zu arbeiten und zu studieren. Ein Bericht des Zentralamts für Statistik von Ende 2024, in dem nur diejenigen gezählt werden, die ein Jahr zuvor ausgereist sind, und der daher noch keine Daten für den jüngsten Zeitraum enthält, zeigt, dass die Auswanderung bereits im Jahr 2023 begonnen hat. Sie hat sich beschleunigt und war bereits vor dem 7. Oktober doppelt so hoch wie die normale Auswanderungsrate (Quelle auf Hebräisch). Dies bedeutet, dass Israelis aus mehreren Gründen auswandern: der Aufstieg der Rechtsextremen (BIP-Aktuell #237), die Untergrabung des israelischen Justizsystems (BIP-Aktuell #336), der Zusammenbruch der israelischen Wirtschaft (BIP-Aktuell #313) und natürlich die Angst um die eigene Sicherheit und die ihrer Familien.
Die Grafik zeigt den Wanderungssaldo in absoluten Zahlen von Januar (links) bis Dezember (rechts) für 2023 und 2024 von Personen, die Israel dauerhaft verlassen haben. Die Daten stehen im Widerspruch zu anderen Berichten des Zentralamts für Statistik und den an den Grenzübergängen erfassten Informationen. Quelle: Israelisches Zentralbüro für Statistik durch Srugim.
In jüngster Zeit sind Berichte über große Auswanderergemeinschaften israelischer Familien in Zypern, Griechenland und Portugal aufgetaucht, die zeigen, dass die Auswanderung besser organisiert ist als je zuvor, wobei die Familien ihre Bewegungen koordinieren, um sich gegenseitig zu unterstützen. Um Israelis von der Auswanderung abzuhalten, übertreiben israelische Zeitungen bewusst Berichte über Antisemitismus in Europa, z. B. den so genannten „Pogrom“ in Amsterdam, der sich als Angriff israelischer Hooligans herausstellte. Selbst wenn immer mehr Menschen auswandern, halten die Medien es meist geheim. Israelis sind besorgt, dass man ihnen Feigheit oder mangelnden Patriotismus vorwerfen könnte, wenn sie Israel verlassen. Außerdem fürchten manche Israelis das Phänomen von Migranten, die „die Tür hinter sich schließen“, wie es in den USA, Frankreich und Deutschland häufig geschieht, wo die erste Generation von Migranten später einwanderungsfeindliche politische Kandidaten wählt. Die israelischen Familien, die jetzt mit gültigen israelischen Pässen auswandern, die ihr Reiseziel wählen und ihre Unterkunft, Krankenversicherung usw. im Voraus planen, sind keine Flüchtlinge. Viele von ihnen befürchten jedoch, dass sie tatsächlich zu Flüchtlingen werden könnten, wenn sie die Gelegenheit zur Auswanderung nicht nutzen, bevor es zu spät sein könnte.
Es verlassen auch immer mehr in Israel lebende Palästinenser das Land, getrieben von Gewalt, Rassismus und Aufstiegshindernissen.
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Angesichts der zumeist sehr deprimierenden Berichte in unserem Newsletter steht an dieser Stelle die Rubrik „Erfreulich“ – in der Hoffnung, dass diese Meldungen uns allen Mut machen, denn „Aufgeben ist keine Option“!
BA 339 Erfreulich:
SPORE HOSTS: ÖFFENTLICHE VORSTELLUNG DES VEREINS PALÄSTINENSISCHER UND JÜDISCHER AKADEMIKER*INNEN
Die erste öffentliche Präsentation des neu gegründeten Vereins palästinensischer und jüdischer Akademiker*innen
„Wir konstituieren uns als Gegenstimme zu den repressiven Entwicklungen von Diskursen, Richtlinien und Handlungen, die im Zusammenhang mit Palästina/ Israel stehen. Zu unserem Verein gehören Geschichts-, Religions-, Rechts-, und Kulturwissenschaftler*innen der Region sowie der palästinensischen und jüdischen Diaspora. Unser Zusammenschluss und unsere Arbeit beruhen auf unserem Fachwissen, unseren ethischen Verpflichtungen und Erfahrungen.“
https://spore-initiative.org/de/programm-in-berlin/besuchen-und-mitmachen/spore-hosts-offentliche-vorstellung-des-vereins-palastinensischer-und-judischer-akademikerinnen#:~:text=Wir%20konstituieren%20uns%20als%20Gegenstimme,der%20palästinensischen%20und%20jüdischen%20Diaspora
„No other Land“ erhält Oscar
Während nahezu alle deutschen Medien die Preisverleihung an den israelisch-palästinensischen Dokumentarfilm „No Other Land“ verschweigen, berichtet die österreichische Tageszeitung Der Standard ausführlich: „´Ein trauriger Moment in der Welt des Films` sei die Auszeichnung, erklärte Zohar, der der Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angehört. Die Doku, die aus nächster Nähe die systematischen Vertreibungen palästinensischer Bauern aus ihren Dörfern im Westjordanland festhält, sei ein Mittel zur ´Sabotage des Staates Israel`, meint der Minister. ´Freie Meinungsäußerung ist ein wichtiger Wert`, betont Zohar zwar – in diesem Fall gehe es aber eher darum, sich international hervorzutun, indem man Israel schlechtmache. In Israel trägt das wohl eher dazu bei, den Film bekannt zu machen. Während No Other Land zuvor bereits bei mehreren Festivals ausgezeichnet wurde und unter anderem auf der Berlinale zum besten Dokumentarfilm gekürt worden war, gab es ihn hier noch in keinem Kino regulär zu sehen. Die Hälfte des israelisch-palästinensischen Filmteams dürfte aber auch gar nicht anreisen, sollte der Film etwa in Jerusalem oder Tel Aviv in den Kinos laufen. Auch zur Oscar-Verleihung mussten die Filmemacher auf unterschiedlichen Wegen anreisen: Yuval Avraham und Rachel Szor nahmen den Flieger in Tel Aviv, Basel Adra und Hamdan Ballal mussten den Umweg über die jordanische Hauptstadt Amman nehmen.“ https://www.derstandard.de/story/3000000259714/oscar-fuer-dokumentarfilm-no-other-land-erntet-in-israel-missfallen
BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.
Die Aneignung palästinensischen Landes:
Ein Erfahrungsbericht über die Beschleunigung des Ausbaus landwirtschaftlicher Siedlungen in Sebastia, Nablus
„Israels Siedlungsexpansion beschleunigt sich im Westjordanland in unterschiedlichen Formen, die darauf abzielen, die israelische Kontrolle über das Land zu festigen. Am alarmierendsten ist die Ausweitung landwirtschaftlicher Siedlungen, bei der die Aktivitäten genutzt werden, um die Beschlagnahmung palästinensischen Landes zu vertuschen. Sebastia im Nordwesten von Nablus ist ein anschauliches Beispiel für dieses Phänomen, wo die Errichtung landwirtschaftlicher Siedlungsaußenposten als Instrument zur Aneignung großer Gebiete palästinensischen Landes und zur Vertreibung ihrer rechtmäßigen Besitzer sprunghaft zugenommen hat. Der folgende Bericht dokumentiert die Ausweitung der landwirtschaftlichen Siedlungen Israels in Sebastia und Umgebung und zeigt die Übergriffe der Siedler, die mit direkter Unterstützung der israelischen Besatzungsbehörden begangen wurden. Der Bericht untersucht auch die Auswirkungen auf die Palästinenser, einschließlich der Einschränkungen für Bauern, der Verweigerung des Zugangs zu ihrem Land, der Vertreibung, der Zerstörung natürlicher Ressourcen und der Versuche, archäologische Stätten zu judaisieren. Alle diese Verstöße sind Teil einer umfangreichen und intensivierten Siedlungskampagne, die sich gegen das gesamte Westjordanland richtet.
Israelische landwirtschaftliche Siedlungen als Instrument zur Landnahme
Die Dokumentation von Palestinian Center for Human Rights PCHR deutet darauf hin, dass die israelischen Besatzungstruppen (IOF) die geografische und historische Dynamik von Sebastia verändern, indem sie die Präsenz eines landwirtschaftlichen Siedlungsaußenpostens sichern, der von Siedlern auf palästinensischem Land westlich des Dorfes errichtet wurde. Seit Ende letzten Jahres hat sich dieser Siedlungsaußenposten merklich auf palästinensisches Land im Becken Nr. 4 um 600 Dunums ausgeweitet und die Anzahl der Karawanen und Zelte sowie die Gesamtzahl der Siedler von 50 weiter erhöht.
Nach Angaben der Forscher von PCHR begannen die Siedler am 20. Januar 2025 mit dem Bau einer landwirtschaftlichen Straße, die mit einer festen Decke asphaltiert ist, um den Siedlungsaußenposten mit der Siedlung „Shavei Shomron“ zu verbinden, die auf 400 Dunum des Beckens Nr. 4 im Westen von Sebastia errichtet wurde. Es sei darauf hingewiesen, dass die Straße zuvor von palästinensischen Bauern angelegt worden war, damit sie leicht zu ihrem Land in der Gegend gelangen konnten. Darüber hinaus pflanzten die Siedler Olivensetzlinge auf ausgedehnten Flächen palästinensischen Landes, um sie zu beschlagnahmen, den Außenposten zu erweitern und die Siedlung weiter auszubauen.
Siedler-Angriffe unter dem Schutz der IOF
Die israelischen Siedler haben Angriffe unter dem Schutz der IOF durchgeführt, die die Bewegungsfreiheit der Palästinenser in der Region weiter eingeschränkt haben, um Angriffe der Siedler zu erleichtern, und die mit der Beschlagnahme von Land und weiteren Einschränkungen einhergingen.
Nach Informationen und Zeugenaussagen, die von den Forschern des PCHR gesammelt wurden, führen die IOF seit mehreren Wochen täglich gegen 19:00 Uhr Razzien im Dorf Sebastia durch. Die IOF zwingen die Ladenbesitzer unter Tränengas und Schüssen zur Schließung ihrer Läden, und die Menschen werden gezwungen, die Straßen zu räumen. Mit leeren Straßen und einem abgeriegelten Dorf bieten die IOF Schutz für Siedler, die ihre Raubzüge in das archäologische Gebiet intensiviert haben, um ihre religiösen Rituale und talmudischen Gebete durchzuführen. (…).
Militärischer Befehl zur Beschlagnahme von Land
Am 24. Juli 2024 erließen die israelischen Besatzungsbehörden einen Militärbefehl, der die Beschlagnahmung von 1300 m² des archäologischen Gebiets in Sebastia anordnete. Das beschlagnahmte Land befindet sich auf einem Hügel in der archäologischen Stätte. Darüber hinaus haben die IOF 33 Millionen Schekel für die Einrichtung der Infrastruktur für die Erweiterung der Siedlungen bereitgestellt.
Die Eigentümer des beschlagnahmten Landes haben Anwälte engagiert und Berufung vor dem Gericht von Beit El eingelegt. Die israelischen Behörden reagierten jedoch nicht und stoppten auch nicht die Beschlagnahmungen des Landes.
Übergriffe auf Bauern während der Olivenernte
Als die Olivenernte im Oktober 2024 begann, griffen Siedler unter dem Schutz der IOF palästinensische Bauern bei der Ernte mit Stöcken, Tränengas und Steinen an. Dabei wurde Ahmed Tawfiq Ghazal (74) getötet, nachdem er mit Pfefferspray besprüht worden und erstickt war, wie die Vor-Ort-Ermittlungen von PCHR ergaben.
Aufgrund dieser wiederkehrenden Angriffe und aus Angst um ihr Leben verzichteten viele Bauern darauf, ihr Land zu betreten, um Oliven zu ernten. In der Zwischenzeit wurden Siedler und ihre Familien dabei beobachtet, wie sie Oliven von den palästinensischen Ländereien im Becken Nr. 4 pflückten und dabei die israelischen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit ausnutzten, die den rechtmäßigen Eigentümern den Zugang zu ihrem Land unmöglich machten. Aufgrund dieser Einschränkungen und Angriffe waren vier palästinensische Familien mit 20 Mitgliedern Anfang 2024 gezwungen, das Gebiet in der Nähe des Siedlungsaußenpostens zu evakuieren, obwohl sie dort seit 30 Jahren lebten.
Zeugenaussagen über die Auswirkungen der IOF- und der Siedlerangriffe
Zur Judaisierung des archäologischen Gebiets und der Schließung von Geschäften sagte Samer Nazmi Hamdan Al-Sha’er (49) gegenüber dem Forscher von PCHR:
„Am 21. Juli 2023 wurde ein Palästinenser getötet und ein weiterer verletzt, nachdem die IOF am Nachmittag das Feuer auf ein Fahrzeug eröffnet hatten, das aus dem Dorf fuhr. Seitdem verzichtet man darauf, Sebastia am Abend zu besuchen. Nach dem 07. Oktober 2023 eskalierten die IOF ihre täglichen Razzien, riegelten das archäologische Gebiet wiederholt ab, was mich Verluste von bis zu 30.000 Schekel kostete, da ich einen Stand in der Gegend miete. Darüber hinaus verschärften die IOF ihre repressiven Maßnahmen und fügten dem Dorf großen touristischen und wirtschaftlichen Schaden zu.“
Sebastia
Sebastia ist ein Dorf im Nordwesten der Stadt Nablus, 12 Kilometer von der Stadt entfernt, mit einer Bevölkerung von 3800 Menschen und einer Fläche von 5000 Dunums; 40 Prozent davon befinden sich in der Zone C. Die Siedlung Shavei Shomron befindet sich auf 600 Dunums, einem Teil des palästinensischen Landes.
Seit Beginn der israelischen Besatzung im Westjordanland im Jahr 1967 hat Israel das archäologische Gebiet von 2000 Dunums in Sebastia übernommen. In der Gegend befinden sich viele wichtige archäologische Stätten aus verschiedenen Epochen, wie das römische Amphitheater, die Säulenstraße, der Augustustempel, der Basilikaplatz, die antike Mauer, die römische Stadt und die Kirche Johannes des Täufers.
Judaisierung des archäologischen Gebiets in Sebastia
Seit dem Oslo-Abkommen liegen die archäologischen Gebiete in Sebastia in Zone C, die unter vollständiger Kontrolle Israels steht, während der Rest des Dorfes in die Zone B eingestuft wurde, in der die Palästinensische Autonomiebehörde die administrative Kontrolle ausübt, aber die Sicherheitskontrolle mit den israelischen Behörden teilt. Im Jahr 2018 führte die belgische Regierung in Zusammenarbeit mit der UNESCO ein Projekt zur Restaurierung des al-Baydar-Hofes durch, was zu einem Aufschwung des Tourismus in der Region führte. Israel verschärfte jedoch seine repressiven Maßnahmen, indem es Kontrollpunkte schloss, die zum Dorf führten, Besuchern den Zugang verweigerte und die Überfälle der Siedler unterstützte. In der Folge verschlechterten sich die wirtschaftliche Lage und der Tourismus. In der Zwischenzeit unterstützten die IOF morgens die Überfälle der Siedler auf das Gebiet und riegelten das Gebiet für viele Stunden völlig ab. Bis Ende 2022 errichteten Siedler einen Außenposten für landwirtschaftliche Siedlungen in der Ramin-Ebene auf palästinensischem Land in Deir Sharaf, Sebastia und Naqoura, etwa 1.000 bis 1.500 Meter westlich von Sebastia.
Drohender Siedlungsausbau und dringender internationaler Handlungsbedarf
Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Siedlungen in Sebastia ist eine ernsthafte Bedrohung für die Rechte der Palästinenser, die zur Vertreibung der Bewohner, zur Zerstörung der Lebensgrundlagen und zur Auslöschung der historischen Identität des Dorfes führt. Diese unverminderten Verstöße erfordern eine dringende internationale Aktion, um Druck auf Israel auszuüben, damit es seine illegalen Siedlungspläne einstellt und das Völkerrecht und das Recht der Palästinenser auf ein sicheres Leben auf ihrem Land respektiert.
PCHR erinnert an das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom Juli 2024, das die Rechtswidrigkeit der israelischen Besatzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes, einschließlich Ost-Jerusalems, festgestellt hat. Demnach muss Israel seine illegale Präsenz so schnell wie möglich beenden, seine Siedlungsaktivitäten sofort einstellen und alle Siedler aus den besetzten palästinensischen Gebieten evakuieren.
https://pchrgaza.org/israels-tool-for-palestinian-land-appropriation-a-field-report-on-accelerating-pastoral-settlement-expansion-in-sebastia-nablus/
Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.