Blog per E-Mail folgen

Gib deine E-Mail-Adresse ein, um diesem Blog zu folgen und per E-Mail Benachrichtigungen über neue Beiträge zu erhalten.

Aktuelle Beiträge

No more posts to show

In Israel wird der Juni-Krieg von 1967 bis heute als größter Erfolg des Landes nach der Staatsgründung gefeiert. In der offiziellen Version der israelischen Geschichtsschreibung wird der ‚David-gegen-Goliath’-Mythos aufrecht erhalten. Demzufolge ist es dem kleinen, von Feinden umgebenen Land im „Krieg der Sechs Tage“ (so wörtlich auf Hebräisch) gelungen, sich gegen die Angriffe aller arabischen Armeen durch einen gelungenen Erstschlag zu verteidigen, da sonst die Vernichtung Israels unmittelbar bevorgestanden hätte.

Tatsächlich hatte Ägypten unter Präsident Gamal Abdel Nasser Truppen zusammengezogen – 1.000 Panzer und 100.000 Soldaten wurden in den Sinai an die Grenze zu Israel entsandt – und im Mai 1967 mit dem Irak und mit Jordanien  Verteidigungsverträge geschlossen. Als unmittelbarer Auslöser des Krieges gilt aber Nassers Sperrung der Straße von Tiran, der engen und strategisch äußerst wichtigen Durchfahrt im Roten Meer zum israelischen Hafen Eilat zwischen der Südspitze der Sinai-Halbinsel und Saudi-Arabien.


Wer kennt „die Wahrheit“?

Buchcover von Tom Segev: 1967 – Israels zweite Geburt Siedler Verlag, München 2007

Es gibt mittlerweile andere Interpretationen der geschichtlichen Ereignisse jener Zeit. Die sogenannten „new historians“ – jüdische israelische Historiker, die sich kritisch mit der israelischen Geschichte befassen – haben mittlerweile belegt, dass die Mehrheit der militärischen und politischen Führung in Israel nicht davon ausging, dass Nasser angreifen wollte. Sie befürchtete jedoch, dass Abschreckungspotenzial und Verteidigungskraft Israels geschwächt und Nasser zu mächtig werden könnte, so dass ein Präventivschlag bzw. –krieg notwendig sein werde. Die militärische Führung, vor allem Jitzchak Rabin, forderte ein sofortiges Handeln. Die Mehrheit der Regierungsmitglieder, insbesondere Ministerpräsident Levi Eschkol, der zugleich das Amt des Verteidigungsministers bekleidete, sprach sich dafür aus abzuwarten, wie der Historiker Tom Segev in seinem Standardwerk 1967 – Israels zweite Geburt berichtet.


Alternativen zum Krieg

Jedoch war die Regierung nicht in der Lage, Alternativen für einen Präventivkrieg zu entwickeln – zu sehr war sie mit innenpolitischen Themen und Querelen beschäftigt: Rezession, steigende Arbeitslosigkeit, das weit verbreitete Gefühl, „Frieden sei unerreichbar“ (Segev, S. 345) und heftige Auseinandersetzungen in der Regierungskoalition – zuletzt um die Frage, wie man mit den Ambitionen Moshe Dayans auf den Posten des Verteidigungsministers umgehen solle – ließen das Vertrauen in Ministerpräsident Eschkol vollends in den Keller rutschen . Politische Lösungen schienen nicht in Sicht, innenpolitische Einigung schon gar nicht. Am 1. Juni musste Eschkol seinen Posten als Verteidigungsminister räumen und Dayan nahm seinen Platz ein.


Links die Generäle Ze’evi und Narkiss, in der Mitte Verteidigungsminister Moshe Dayan, rechts Yitzchak Rabin in Jerusalem kurz vor dem Ende des Krieges (Quelle: IDF archive)

Yigal Allon, hoher Militär und 1967 Arbeitsminister, machte später laut Segev die innenpolitische Situation als Auslöser des Krieges aus: Die Hauptursache für den Krieg sei nicht die Lage an der Grenze gewesen, sondern die Vertrauenskrise der Regierung Eschkol (Segev, S. 402). In die gleiche Richtung äußerte sich Nachum Goldmann, Präsident des Jüdischen Weltkongresses 1949-1978 in einem Interview mit Der Spiegel 1982: „Der Sechs-Tage-Krieg von 1967 war … ein Unglück für Israel. Damals begann die größenwahnsinnige Expansion, diese Aggressivität. Nasser wollte den Krieg nicht.“

So kam es am 5. Juni zur Zerstörung der ägyptischen Luftwaffe am Boden durch israelische Kampfjets. In den Folgetagen drang auf ägyptischer Seite die israelische Armee über den Sinai bis an den Suezkanal und nahm den Gazastreifen ein. Im Norden folgte die Einnahme der syrischen Golanhöhen, im Osten das Zurückdrängen der jordanischen Streitkräfte aus der gesamten Westbank und die Einnahme Ost-Jerusalems. Am 10. Juni 1967 wird der Krieg für beendet erklärt; ab sofort gilt die Sinai-Halbinsel, der Gazastreifen, die Golanhöhen und die gesamte Westbank als von Israel besetztes Gebiet. Ost-Jerusalem wird durch Erklärung Israels annektiert.


Folgen des Krieges

Israel hat nun das ganze Land, dass es sich eigentlich wünscht, aber „leider“ auch die dazugehörige Bevölkerung zu verwalten. Offensichtlich hatte es dafür keine Pläne zuvor gegeben. Die strategischen Überlegungen der israelischen Regierung für die Nachkriegszeit lassen sich, als hochinteressantes Zeitzeugnis, aus dem Gespräch zwischen Augstein und Eschkol in der SPIEGEL- Ausgabe vom 10. Juli 1967 nachlesen.

„Sei kein Kompromißler!“, hatte David Ben Gurion seinen Nachfolger Levi Eschkol gewarnt (Quelle: spiegel.de)


 

 

Linke israelische Aktivisten begrüßen zunächst die Gelegenheit, gemeinsam mit Palästinensern neue Wege beschreiten zu können; man trifft sich im Café Ta’amon in Jerusalem und bespricht, wie man gemeinsam leben und arbeiten kann. Einige Intellektuelle wie der junge Amos Oz warnen: „Wir sind dazu verdammt über ein Volk zu regieren, das nicht von uns regiert werden will.“ Die Besatzung wird als „temporärer militärischer Zustand“ deklariert – woran sich übrigens nach offizieller israelischer Lesart 50 Jahre danach bis zum heutigen Tag nichts geändert hat.


Diesen Text schrieb Amos Oz im August 1967 (Quelle: Jubilee Haggadah, New Israel Fund)

Es verging kein Jahr, bis die ersten Siedler sich in der besetzten Westbank niederließen. Unter sämtlichen israelischen Regierungen, besonders massiv unter den linken, wurde der Siedlungsbau vorangetrieben. Daran änderte weder der 1979 geschlossene Friedensvertrag mit Ägypten etwas, noch die Erste Intifada 1988, auch nicht der Beginn der Verhandlungen in Oslo 1993 oder der Friedensvertrag mit Jordanien 1994. 1995 wurden die Osloer Verhandlungen, bekannt als „Oslo II“, fortgesetzt: Sie führten zur Aufteilung der Westbank in Zonen A, B und C – und zum Aufschub aller relevanten Themen wie der Flüchtlingsfrage, der Frage der Grenzen, des Wassers und der Lufthoheit sowie des Status von Jerusalem, die bis heute nicht verhandelt werden.

Im Sommer 2000 scheiterten die letzten Gespräche zwischen Jassir Arafat und Ehud Barak in Camp David. Ariel Sharon, der 2001 Barak als Ministerpräsident ablösen sollte, entzündete durch eine provokative Begehung des Tempelbergs im September 2000 den Beginn der Zweiten Intifada, in deren Folgen es jahrelang blutige Anschläge und Militärschläge mit über 1.000 israelischen und über 3.500 palästinensischen Todesopfern und vielen Verletzten auf beiden Seiten gab. Seit 2001 wird bis heute die Mauer völkerrechtswidrig zur Annexion palästinensischen Gebiets gebaut, der Siedlungsbau fortgesetzt und vor allem die nur für Israelis nutzbare Infrastruktur in der Westbank intensiviert. 2006 fanden freie demokratische Wahlen in der Westbank statt, aus denen die Hamas als klare Siegerin hervorging. Die Wahlergebnisse wurden international nicht anerkannt und die Wahlverliererin Fatah wurde gegen die Hamas in Stellung gebracht; diese musste sich aus der Westbank auf Gaza zurückziehen, einen Küstenstreifen, der seitdem kollektiv mit seinen fast 2 Millionen Einwohnern durch internationale Sanktionen und die israelische Blockade „bestraft“ wird.


2017: 50 Jahre Besatzung und kein Ende?

In diesen Tagen jährt sich der Juni-Krieg sowie die Besatzung zum 50. Mal. Die hier kurz beschriebenen Folgen geben nur einen marginalen Einblick in die wirkliche Katastrophe, die mit dieser in der Geschichte einmaligen Besatzung (Ausnahme: Tibet) einhergeht. Wer sich intensiver mit Zahlen und Fakten beschäftigen möchte, kann hier den UN-Bericht zu 50 Jahre Besatzung lesen.

Im nächsten Thema der Woche werden wir Ihnen weitere Infos und Material zu dem Kernthema von BIB, der Besatzung, zur Verfügung stellen.


War dieser Blogeintrag interessant für Sie? Konnten Sie Neues erfahren oder Ihr Wissen vertiefen? Würden Sie diesen Text Freunden oder Bekannten weiter empfehlen?

Wenn dem so ist, dann leiten Sie diese Mail weiter, schreiben Sie einen Kommentar, auch wenn Sie etwas zu kritisieren oder zu ergänzen haben, und werden Sie Fördermitglied von BIB! Gemeinsam können wir es schaffen, den politischen Willen zu erzeugen, um die Weichen zur Beendigung der Besatzung zu stellen. Seien Sie dabei – wir können jede Unterstützung brauchen. Danke!

Tag: 5. Juni 2017

BIB Thema der Woche #25: „Sechs-Tage-Krieg“

In Israel wird der Juni-Krieg von 1967 bis heute als größter Erfolg des Landes nach der Staatsgründung gefeiert. In der offiziellen Version der israelischen Geschichtsschreibung wird der ‚David-gegen-Goliath’-Mythos aufrecht erhalten.

Weiterlesen »