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In Palästina unter Besatzung

Klimawandel, die Besatzung und ein gefährdetes Palästina

Zena Agha ist palästinensisch-irakische Dichterin und Schriftstellerin aus London; sie lebt in New York.
Den Artikel Climate Change, the Occupation, and a Vulnerable Palestine veröffentlichte sie Ende März 2019.
Wir haben ihn mit leichten Kürzungen ins Deutsche übersetzt.

Zena Agha (www.zenaagha.com)

Palästinensische Verwundbarkeit, Israelische Besatzung

(…) Die Kombination aus verminderten Niederschlägen und steigenden Temperaturen wird zu einem höheren Bedarf an Wasser (bereits jetzt eine knappe Ressource) und zu Wasserknappheit führen. Darunter wird die Landwirtschaft, ein Eckpfeiler der Wirtschaft des besetzten Westjordanlandes, besonders leiden.

Das ClimaSouth-Projekt, eine Organisation zur Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels in den Mittelmeerländern, geht davon aus, dass die jährlichen Niederschläge im östlichen Mittelmeerraum bis zum Ende dieses Jahrhunderts im Vergleich zum Zeitraum 1961-1990 um bis zu 30 % sinken werden. In den letzten vier Jahrzehnten sind die Durchschnittstemperaturen im Mittelmeerraum um 0,5°C gestiegen. Der Intergovernmental Panel on Climate Change prognostiziert, dass sich das südliche und östliche Mittelmeer im 21. Jahrhundert zwischen 2,2 und 5,1°C erwärmen wird (stärker als der globale Durchschnitt), was zu einschneidenden, wenn nicht katastrophalen, Klimaänderungen und zunehmender Wüstenbildung in der Region führen wird.

Die fragmentierte politische Landschaft Palästinas stellt bei der Bewältigung des Klimawandels eine der größten Herausforderungen dar. Drei politische Einheiten, die oft miteinander in Konflikt liegen, beherrschen das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer: die israelische Regierung (Staat Israel, das besetzte Ost-Jerusalem, die besetzten Golanhöhen, de facto die Zone C und das Jordantal im Westjordanland), die Palästinensische Autonomiebehörde („PA“; Zonen A und B im Westjordanland) und die Hamas (Gazastreifen). Die unterschiedliche politische und soziale Realität in diesen Gebieten führte zu großen Unterschieden bei den Folgen des Klimawandels, der Fähigkeit, sie zu bewältigen und aufeinander abgestimmte Analysen der Auswirkungen des Klimawandels vorzunehmen (auch aufgrund mangelhafter und nicht vergleichbarer Daten).

(…) Die Auswirkungen des Klimawandels müssen im Kontext von sieben Jahrzehnten palästinensischer Vertreibung, Enteignung, Unterdrückung und schlechter Regierungsführung gesehen werden. Die israelische Besatzung hat zu politischen Entscheidungen und Maßnahmen geführt, die die Fähigkeit der Palästinenser, auf die Folgen des Klimawandels zu reagieren, untergraben (…). Die Palästinenser in Gaza sind aufgrund der militärischen Belagerung und der Sanktionen Israels, die jetzt im zwölften Jahr andauern, zweifellos am stärksten gefährdet.

(…) Die Schwachstellenanalyse des National Adaptation Plan (NAP) der PA benennt 2016 eine Reihe von Gefahren, u.a. bei der Wasser- und Nahrungsmittelversorgung, bei der Verfügbarkeit von Daten zur Identifizierung von Schwachstellen und der Priorisierung der Anpassungsmaßnahmen. Der NAP berücksichtigt allerdings nicht das schnelle Bevölkerungswachstum (die durchschnittliche Bevölkerungsdichte im Westjordanland beträgt 468 Einwohner pro qkm und ist damit höher als in den Nachbarländern) und die Verstädterung sowie die Tatsache, dass eine hohe Bevölkerungsdichte dazu führt, dass die Menschen den Folgen des Klimawandels besonders stark ausgeliefert sind. 2017 lebten rund fünf Millionen Palästinenser im Besetzten Palästinensischen Territorium (BPT): etwa drei Millionen im Westjordanland und in Ostjerusalem und 1,8 Millionen im Gazastreifen. Die Bevölkerung wird bis 2050 schätzungsweise auf 14 Millionen zunehmen – oder mehr, wenn Flüchtlinge, die sich derzeit im Exil befinden, ihr Rückkehrrecht ausüben können. Außerdem ist die Bevölkerung jung: Fast 40% der Palästinenser sind unter 14 Jahre alt. Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch: 2016 betrug sie insg. 27% (18% im Westjordanland und 42% im Gazastreifen). Das Pro-Kopf-BIP beträgt zum Zeitpunkt der Erstellung nur 1.997 US-$, im Gegensatz zu 34.134 US-$ in Israel.

Hinzu kommt die israelische Besatzung als größte nicht-ökologische Gefahr für die Palästinenser im BPT, sodass das United Nations Development Programme (UNDP) sie als eigenes „Umweltrisiko“ aufführt: Einschränkungen des freien Personen- und Warenverkehrs, die Apartheidmauer, Landnahme, Siedlungsexpansion und Siedlergewalt sowie schlechte Regierungsführung der PA bedrohen die palästinensische Wasser- und Ernährungssicherheit und erhöhen damit die Anfälligkeit für den Klimawandel. (…)

An dieser Stelle ist es von entscheidender Bedeutung zu betonen, dass das BPT dem internationalen Recht für Militärbesatzung unterliegt. Nach der Haager Konvention ist Israel als Besatzungsmacht dafür verantwortlich, die Bedürfnisse der besetzten Bevölkerung zu befriedigen, was auch die Verantwortung für die natürlichen Ressourcen einschließt. Darüber hinaus verbietet die Vierte Genfer Konvention die willkürliche Zerstörung und Aneignung von Eigentum sowie die Zerstörung und Beseitigung von zivilen Gütern, die für die Bevölkerung lebenswichtig sind, insb. landwirtschaftlicher Flächen, Trinkwasser- und Bewässerungsanlagen. Das UNDP kennzeichnet die anhaltende Belastung der palästinensischen Wasser- und Agrarinfrastruktur durch die israelische Besatzung als „nach allem Anschein Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die eine unabhängige Untersuchung durch die internationale Gemeinschaft erfordern“. Die Besatzung untergräbt die Fähigkeit und die Möglichkeiten der Palästinenser zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels. Im Gegensatz dazu ist Israel gut positioniert, um sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen. (…) Die unterschiedliche Fähigkeit, auf den Klimawandel zu reagieren, ist also rein politischer Natur.

Israels Klimapolitik beschränkt sich nicht nur auf die Anpassung an den Klimawandel. Israel hat im Jahr 2009 das Israeli Climate Change Information Center (ICCIC) eingerichtet, um „Anpassungsstrategien in Masterplänen und Aktionsplänen in Bereichen wie Wasser, Energie, Biodiversität, Landwirtschaft, öffentliche Gesundheit, nachhaltiges Bauen und mehr“ zu entwickeln. Im Vorfeld der Pariser Klimakonferenz 2015 sagte Israel bis 2030 eine Reduzierung des Stromverbrauchs um 17% und die Erzeugung von 17% des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen sowie eine Reduzierung der Verkehrsemissionen um 20% zu. Im Jahr 2016 genehmigte die israelische Regierung einen nationalen Plan zur Minderung der Treibhausgasemissionen und zur Steigerung der Energieeffizienz.

Die internationale Gemeinschaft betrachtet Israel als eine technologisch fortschrittliche Nation und einen Vorreiter für Green Governance. Aber dieser Ruf steht im Widerspruch zum ständigen Diebstahl von natürlichen Ressourcen und der schädlichen Umweltpolitik, die der palästinensischen Bevölkerung mit der Besatzung aufgezwungen wird. Die krassen, auf politischen Entscheidungen beruhenden Unterschiede zwischen Israel und dem BPT werden allzu oft übersehen.

Das Paradox der Palästinensischen Autonomiebehörde

Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hat keine Kontrolle über die natürlichen Ressourcen und große Teile ihres Territoriums und verfügt über keinen unabhängigen politischen Einfluss auf den Umgang mit den Klimarisiken. Paradoxerweise hat sie jedoch die Aufgabe, die Folgen des Klimawandel anzugehen – eine Herausforderung, die mehr politische Unterstützung, bessere interministerielle Zusammenarbeit und wesentlich mehr finanzielle Ressourcen erfordert als derzeit verfügbar sind. (…) Unter diesen Bedingungen sind die Anpassungsbemühungen der PA weitgehend unzureichend und kontraproduktiv. Darüber hinaus verschärfen die politische Kluft zwischen der Hamas im Gazastreifen und der Fatah im Westjordanland und die gespaltene Führung in den palästinensischen Gebieten Stagnation und Managementschwäche. (…).

Nichtsdestoweniger entwickelte die Environment Quality Authority der PA 2011 mit Unterstützung des UNDP, der London School of Economics und anderer PA-Agenturen eine „National Climate Change Adaptation Strategy“, deren aktualisierte Version (NAP) 2016 veröffentlicht wurde. Darin werden die Gesamtkosten der vorgeschlagenen Maßnahmen für die Landwirtschaft und die Wasserversorgung in den nächsten zehn Jahren auf über 3,5 Milliarden US-$ geschätzt. Woher dieses Geld kommen wird, ist unklar; der Bericht besagt, die PA hoffe, „erhebliche finanzielle Unterstützung von internationalen Gebern“ zu erhalten. Bisher ist die Finanzierung trotz der Zunahme der internationalen Unterstützung nicht sichergestellt. Der Staat Palästina (durch die Resolution 67/19 der UN-Generalversammlung als Nichtmitglied-Beobachterstaat anerkannt) wurde im März 2016 Vertragspartei der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) und ratifizierte das Pariser Abkommen im April 2016; die PA legte der UNFCCC den Nationalen Anpassungsplan im November 2016 vor.

Das Verhältnis zwischen der PA und der internationalen Gemeinschaft muss jedoch auch kritisch gesehen werden: Indem sie dieselben Kriterien anwenden, um die Bereitschaft der PA und Israels zu bewerten, auf den Klimawandel zu reagieren, normalisieren die internationale Gemeinschaft und die Geberagenturen faktisch die Besatzung, anstatt sie als eine rechtswidrige Tatsache zu behandeln. (…) Die Besatzung wird zunehmend als unpolitisches, mit Armut verbundenes Problem und nicht als absichtliche Verletzung von Menschenrechten und Selbstbestimmung gesehen. Dadurch werden die Folgen des Klimawandels im BPT entpolitisiert, und die Besatzung wird zu einer „gewöhnlichen“ Herausforderung unter vielen gemacht, der sich die PA stellen muss. Ein weiteres Paradox ist, dass die PA zwar nicht in der Lage ist vorherzusagen, wie sich die Besatzung entwickeln wird, aber versuchen muss, Jahrzehnte in die Zukunft zu planen. (…)

Wasserversorgung

Der Klimawandel wird sich auf die meisten Wirtschaftssektoren des BPT auswirken, aber eines der größten Probleme wird die Verfügbarkeit und Qualität von Wasser sein.
Erstens werden die Oberflächen- und Grundwasserressourcen mit abnehmender Niederschlagsmenge knapper werden. Dies wird es erschweren, die Wasserressourcen (erschwerend kommt das hohe Bevölkerungswachstum hinzu) wieder aufzufüllen, während der Wasserbedarf der palästinensischen Landwirtschaft, der illegalen israelischen Siedlungen und der Industrie zunehmen wird. Darüber hinaus werden verringerte Niederschläge dazu führen, dass die Wasserentnahme kostspieliger und energieintensiver wird und höhere Temperaturen und erhöhte Sedimente die Qualität des Trinkwassers gefährden können, zumal die Kapazitäten für die Trinkwasseraufbereitung begrenzt sind.
Zweitens werden als Folge des Klimawandels intensive, kurze Niederschlagsperioden und damit Sturzfluten immer wahrscheinlicher. Die bestehende Infrastruktur des BPT ist jedoch – zum Teil aufgrund unzureichender Entwässerungs- und Abwassersysteme – nicht in der Lage, starke Regenfälle zu verkraften, so dass in städtischen Gebieten Überschwemmungen zu befürchten sind.

Wasser ist keine unpolitische Ressource. Die Besatzung belastet die Wasserressourcen und damit alle Lebensbereiche von der Gesundheit bis zur Industrie. Die wichtigste Trinkwasserquelle der Palästinenser ist das Grundwasser, so dass sie auf wasserführende Schichten (Aquifere) angewiesen sind. Die westlichen, nordöstlichen und östlichen Aquifere befinden sich im Westjordanland, während in Gaza der Küstenaquifer die einzige Wasserquelle ist, aus dem in den letzten Jahren zu viel Wasser entnommen wurde und der zunehmend verschmutzt ist und bereits im nächsten Jahr erschöpft sein könnte. Hinzu kommt das Eindringen von Meerwasser aufgrund des steigenden Meeresspiegels.

Israel hat eine komplizierte Bürokratie von Lizenzen, Genehmigungen und Zugangsrechten geschaffen, um den Zugang der Palästinenser zum Grundwasser zu kontrollieren und selektiv einzuschränken. Sie tut dies im Rahmen der Befugnisse, die 1995 durch das Oslo-II-Abkommen gewährt wurden – ursprünglich als Fünf-Jahres-Vereinbarung gedacht, aber 24 Jahre später immer noch in Kraft -, das Israel die Kontrolle über etwa 80% der Wasserreserven im Westjordanland verlieh. Die PA hat wiederholt eine Änderung der Regelungen gefordert. Israel übt die Kontrolle über die Wasserversorgung durch das Joint Water Committee (JWC) aus, das keine Maßnahme ohne israelische Zustimmung zulässt. Das Oberflächenwasser kommt vor allem aus dem Jordantal und dem Jordan. Das JWC verbietet den Palästinensern den Zugang zum Jordan, der in den kommenden Jahren überdies deutlich weniger Wasser führen wird. (…) Das JWC hat darüber hinaus Palästinensern die Erlaubnis verweigert, Regenwasser zu speichern.

Mittlerweile gibt es im Westjordanland nur noch wenige Kläranlagen, und fast nichts von diesem wiederaufbereiteten Wasser wird in der Landwirtschaft wiederverwendet. Die Installation neuer oder die Instandsetzung vorhandener Wasseranschlüsse ist äußerst schwierig: Israel erteilt nur wenige Genehmigungen und zerstört Gebäude und Brunnen, die ohne diese errichtet wurden.

Im Gazastreifen verhindert Israel nicht nur, dass genügend sauberes Wasser dorthin gelangt, sondern behindert auch jeden Versuch, die notwenige Infrastruktur, z.B. Reservoirs, zu schaffen und zu erhalten, indem es die Einfuhr notwendiger Baumaterialien einschränkt. Die Folgen sind tödlich: 90-95% des Wassers in Gaza sind verseucht und als Trinkwasser oder für die Bewässerung ungeeignet. Kontaminiertes Wasser macht mehr als 26% aller gemeldeten Krankheiten in Gaza aus und ist mit 12% eine der Hauptursachen für die Kindersterblichkeit.

Die Folgen dieser Maßnahmen sind nicht zu übersehen. Laut dem Applied Research Institute-Jerusalem (ARIJ) sind nur 81% der palästinensischen Ortschaften im Westjordanland an das Wassernetz angeschlossen, so dass 65% auf Tankwagen, deren Wasser drei- bis sechsmal teurer als Leitungswasser und oft von schlechter Qualität ist, auf Regen- oder Brunnenwasser und Mineralwasser aus Flaschen angewiesen sind. Selbst die an das Netz angeschlossenen Haushalte sind aufgrund unzureichender Anlagen oft auf diese anderen Quellen angewiesen. ARIJ schätzt, dass nur 50,9% der Haushalte im Westjordanland täglich Zugang zu Wasser haben, in Gaza nur 30% der Haushalte (in Kriegszeiten oft unterbrochen).

Infolgedessen steht den Menschen im Westjordanland pro Kopf und Tag lediglich 72 Liter und im Gazastreifen lediglich 96 Liter Wasser zur Verfügung – eine der niedrigsten Versorgungsraten weltweit – und weniger als das von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Minimum von 100 Litern. Palästinenser, die nicht an ein Wassernetz angeschlossen sind – wie Gemeinden im von Israel kontrollierten Gebiet C – müssen oft sogar nur mit 10-20 Litern pro Kopf und Tag auskommen. Im Gegensatz dazu verbrauchen die 600.000 illegalen Siedler Israels sechsmal mehr Wasser als die rund drei Millionen Palästinenser im Westjordanland. In den Siedlungen werden bis zu 700 Liter pro Kopf und Tag für den Hausgebrauch verbraucht (oder mehr, für Einrichtungen wie Schwimmbäder und Rasenflächen). Dagegen wird für die Palästinenser der Wassermangel durch Aktionen von Siedlern, die häufig palästinensisches Eigentum und Infrastruktur zerstören, weiter verschärft. (…).

Nach Angaben der OECD finanziert die internationale Gemeinschaft im BPT Projekte im Bereich der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung (2017 19 Projekte). Doch kein Projekt wird unter den Bedingungen der Besatzung eine nachhaltige Wirkung erzielen können. Die Umverteilung der Wasserrechte von Israelis auf Palästinenser ist ein notwendiger erster Schritt, ebenso die Beendigung der Belagerung des Gazastreifens, damit sauberes Wasser und Baumaterialien für Kläranlagen und Anlagen zur Meerwasserentsalzung importiert werden können. (…) Die Meerwasserentsalzung ist jedoch energie- und emissionsintensiv und teuer – daher ist es unwahrscheinlich, dass die Palästinenser sie sich leisten können. Außerdem ist es den Palästinensern in Gaza verboten, Materialien für den Bau von Entsalzungsanlagen über die Dual-Use-Liste zu importieren, und im Westjordanland wird die PA durch die vom JWC auferlegten Projektgenehmigungshürden und durch die im Oslo-Abkommen auferlegten Beschränkungen für das Bohren von Brunnen behindert. (…)

Landwirtschaft

Die Palästinenser im Westjordanland leben in ca. 500 Dörfern, (…). Die Landwirtschaft ist ein Grundpfeiler der palästinensischen Gesellschaft. Sie stellt 11,5 % der Arbeitsplätze und 21% aller  Exporte und nimmt 21 % der Fläche ein (davon 85,6 % im Westjordanland und 14,4 % im Gazastreifen). Oliven (und ihre Derivate in Lebensmitteln, Seife, Kraftstoff und für das Handwerk) zählen zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Der Olivensektor trägt 15% zum gesamten landwirtschaftlichen Einkommen bei. 2010 waren 85,3% aller Bäume im BPT Olivenbäume. Zudem hat die Landwirtschaft eine große Bedeutung für die palästinensische Identität, indem der Landwirt (Fallahi) und der Olivenbaum die Verwurzelung der Palästinenser im Land symbolisieren.

(…) Zunehmende Dürren und Wüstenbildung, kürzere Vegetationsperioden und ein höherer Wasserbedarf werden sich direkt auf die Produktivität von Nutzpflanzen und Nutztieren auswirken und zu höheren Lebensmittelpreisen führen.

Diese Auswirkungen sind besonders gefährlich, da die Ernährungsunsicherheit im gesamten BPT bereits jetzt weit verbreitet ist. Im Jahr 2014 galten etwa 26% der Haushalte als „schwer oder geringfügig“ durch Nahrungsmittelmangel bedroht, in Gaza waren es 46%. In Gaza gefährden der steigende Meeresspiegel und das Eindringen von Salzwasser die tief gelegene Küstenlandwirtschaft, die 31% der gesamten landwirtschaftlichen Produktion im Gazastreifen ausmacht, und bedroht die Ernährungssicherheit in dieser verwundbaren Enklave. Die Einkommen der Landwirte und Hirten werden weiter sinken, was ihre landwirtschaftliche Lebensweise bedroht und Verschuldung und Verarmung zur Folge hat.

Die palästinensische Landwirtschaft wird außerdem durch Landdiebstahl und Einschränkung der Bewegungsfreiheit geschädigt: durch Israels expandierende Siedlungen und Siedlungsstraßen, die bewusst an strategisch wichtigen Orten, in Zone C auch auf Ackerland, errichtet werden; durch über 400 checkpoints und Straßensperren im Westjordanland, die Apartheidmauer und ein kompliziertes Genehmigungssystem, so dass die palästinensischen Bauern nicht nur keinen Zugang zu ihrem Land, sondern auch weniger Land zur Verfügung haben; im Gazastreifen sind 20 % des Ackerlandes der Nutzung entzogen, weil es in der Pufferzone am Grenzzaun zu Israel liegt; darüber hinaus haben die Palästinenser nur begrenzten Zugang zu internationalen Märkten, modernen Geräten und Düngemitteln. (…) Ein Bericht der Weltbank von 2009 ergab, dass der Beitrag des Agrarsektors zum BIP des BPT um bis zu 10% steigen und etwa 110.000 neue Arbeitsplätze schaffen würde, wenn die israelischen Beschränkungen aufgehoben und der Zugang der Palästinenser zu Wasser verbessert würde. (…)

Anpassungsstrategien  

Die Durchführung von Übergangsmaßnahmen für die Wasserversorgung und die Landwirtschaft des BPT hat oberste Priorität. Dabei sind die Einschränkungen durch die jahrzehntelange israelische Besatzung die größte Herausforderung, vor der die Palästinenser stehen, sowohl wirtschaftlich (Mangel an freiem Waren- und Personenverkehr) als auch politisch (Fehlen von palästinensischer Selbstbestimmung und Souveränität), da sie die Auswirkungen des Klimawandels noch verstärken. Deshalb sind die unverzügliche Beendigung der Besatzung und die Aufhebung der Belagerung des Gazastreifens sowie gemeinsame Anstrengungen zur Integration des BPT hin zu einem palästinensischen Staat notwendig. Allerdings ist die kurzfristige Realisierung der Maßnahmen aufgrund der zunehmend extremistischen Position der rechten Koalition in der israelischen Knesset unrealistisch, zumal die Besatzung für Israel finanziell profitabel ist und es Israel ermöglicht, die natürlichen Ressourcen des BPT auszubeuten und zugleich den Aufbau der notwendigen Infrastruktur zu verhindern oder zu zerstören.

Ein entscheidender erster Schritt ist die Wasserverteilung. Dies würde bedeuten, die PA aus den Fesseln der Wasserklausel des Oslo-Abkommens zu befreien und den Palästinensern vollen Zugang zu ihren Grundwasserschichten und dem Jordan zu gewähren. Um dies zu erreichen, muss die internationale Gemeinschaft die israelischen Übergriffe auf die palästinensischen natürlichen Ressourcen einschränken. Ohne externen politischen Druck gibt es keine Aussicht auf eine Änderung der Politik Israels. Die Zivilgesellschaft hat auch die Pflicht, die israelische janusköpfige Umweltpolitik zu entlarven, die einerseits Umweltreformen und neue Technologien fördert und andererseits den Palästinensern ihr Wasser und ihre natürlichen Ressourcen vorenthält und stiehlt.

Es gibt konkrete Schritte, die die internationale Gemeinschaft, die PA und Partnerorganisationen unternehmen können, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen:
1. Die internationale Gemeinschaft muss Druck auf Israel ausüben, um zu erreichen, dass die Siedler für ihre Übergriffe auf Palästinenser und deren Eigentum bestraft werden und gemäß der UN-Resolution 2334 eine rote Linie beim Ausbau der Siedlungen gezogen wird.
2. Die PA und die Zivilgesellschaft sollten eine nachhaltige ökologische Landwirtschaft und die (Wieder-) Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften fördern, um bessere Voraussetzungen für die Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels zu schaffen.
3. Die PA und die Partnerorganisationen sollten auf eine koordinierte Erfassung, Analyse und Weitergabe klimarelevanter Informationen hinarbeiten. Dazu gehört auch die Konzentration auf lokale Klimadaten, um Updates und Monitoring in Echtzeit zu ermöglichen, um im gesamten BPT die Folgen des Klimawandels kontinuierlich in Echtzeit überwachen zu können.
4. Die PA und die Partnerorganisationen sollten der Entwicklung von Maßnahmen und Praktiken Vorrang einräumen, um durch ein „Frühwarnsystem“ die Gefahr von Naturkatastrophen zu minimieren.
5. Die internationalen Geldgeber, von denen die palästinensische Gesellschaft abhängig ist, sollten mit den palästinensischen Dörfern zusammenarbeiten, um Projekte zur Bekämpfung oder Verhütung der Auswirkungen des Klimawandels zu finanzieren. (…) Dabei darf nicht vergessen werden, dass Bemühungen, die sich auf die Beendigung der Besetzung konzentrieren, von größter Bedeutung sind.
6. Die Technologien Israels, z.B. der Meerwasserentsalzung, sollten mit der palästinensischen Seite geteilt werden, um den Diebstahl palästinensischen Landes und seiner Ressourcen durch Israel auszugleichen, und auch, weil der Klimawandel ein globales Phänomen ist und alle Menschen Zugang zu notwendigen Technologien haben sollten. Es sollten jedoch Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass der Technologietransfer nicht (…) dazu missbraucht wird, die palästinensischen Wasser- oder Landrechte zu untergraben.

Diese Strategien sind kurz- bis mittelfristige Lösungen, die jedoch bedeutungslos bleiben werden, wenn sie nicht von ernsthaften Bemühungen – vor Ort und international – zur Beendigung der Besetzung begleitet werden. Der Klimawandel ist eine globale Bedrohung von katastrophalen Ausmaßen, und die Situation der Menschen, die am meisten leiden, wird von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen bestimmt. Für die Palästinenser, die im Mai den 71. Jahrestag des Verlusts ihrer Heimat begehen, sind die Folgen des Klimawandels keine unpolitische, alle Unterschiede belanglos machende Tatsache, sondern werden durch ihre Lage als besetztes Volk auf die Spitze getrieben.

Übers.:  deepl.com u. Dr. Götz Schindler

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