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Das  Westjordanland unter die israelische Zivilregierung zu unterstellen, ist eine Annexion

Die israelische Besiedlung des besetzten Westjordanlandes ist illegal. Die Behauptung, die Besetzung sei vorübergehend und der Staat Israel übe keine Souveränität aus, war bisher ein wesentliches Element der israelischen juristischen Argumentation. Im Februar erhielt der rechtsextreme israelische Siedler Bezalel Smotrich die tatsächliche Kontrolle über die Zivilverwaltung, die das Westjordanland verwaltet. Dadurch erlangte der Staat Israel die tatsächliche Souveränität über das besetzte Gebiet, ein Akt der de-jure-Annexion, dem weder die internationale Gemeinschaft noch die Palästinensische Autonomiebehörde widersprochen hat.

Die israelischen Siedlungen im Westjordanland sind illegal. Wie BIP-Mitglied Prof. Dr. Norman Paech gegenüber BIP erklärte:



„Alle jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten – ob von der israelischen Regierung als ‚legal‘ oder ‚illegal‘ bezeichnet – widersprechen Art. Art. 49 Abs. 6 der IV. Genfer Konvention und sind völkerrechtswidrig. Sie sind Landraub und erfüllen den Tatbestand der ‚Apartheid‘, eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit gem. Art. 7 Abs. 2 des Römischen Statuts.“

Trumps Annexionsplan, der im Jahr 2020 vorgeschlagen wurde. Quelle: Adalah, 2020.

Die israelische juristische Verteidigung gegen den Vorwurf, Kriegsverbrechen zu begehen, bestand stets darin, die Besatzung als eine vorübergehende Maßnahme zu bezeichnen, die den Gesetzen der Besatzung unterliegt, bis in einem Abkommen mit den Palästinensern über den Status des besetzten Gebietes entschieden wird. Im Januar wies die UN-Generalversammlung diese Argumentation zurück und entschied, dass die israelische Behauptung eine Ausrede sei, da die Besatzung mittlerweile eine dauerhafte Einrichtung sei und der Internationale Gerichtshof über ihre Rechtmäßigkeit entscheiden müsse (siehe BIP-Aktuell #242).

Als der ehemalige US-Präsident Donald Trump für einen Friedensplan für Israel/Palästina warb, wurde befürchtet, dass die israelische Regierung unter Netanjahu die Gelegenheit nutzen würde, große Teile des besetzten Westjordanlandes offiziell zu annektieren. BIP veröffentlichte drei Berichte, in denen vor einer Annexion gewarnt wurde: BIP-Aktuell #117BIP-Aktuell #119 und BIP-Aktuell #126. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben bei der Unterzeichnung des Abraham-Abkommens und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel diesen Schritt damit begründet, dass Netanjahu im Gegenzug für die Beziehungen zu den VAE zugestimmt habe, seine Pläne zur Annexion von Teilen des Westjordanlandes aufzugeben. Im Jahr 2021 warnte Deutschland Israel, dass jeder Akt der Annexion eine schwere Verletzung des Völkerrechts darstellt.

Unter dem Deckmantel extremer Justizreformen, die von der israelischen Opposition heftig bekämpft werden (siehe BIP-Altuell #245), erteilte die Regierung Netanjahu in der vergangenen Woche Finanzminister Bezalel Smotrich, der auch Vorsitzender der Partei des religiösen Zionismus ist, die Vollmacht über die so genannte Zivilverwaltung, die Militärregierung der besetzten palästinensischen Gebiete. Die Zivilverwaltung ist dem israelischen Verteidigungsministerium unterstellt, und Smotrich wurde zusätzlich zu seiner Rolle als Finanzminister mit Befugnissen innerhalb des Verteidigungsministeriums ausgestattet, die auch die Aufsicht über die Zivilverwaltung umfassen.

Smotrich ist Mitglied des israelischen Kabinetts und kann die Entscheidungen der Militärs in der Zivilverwaltung außer Kraft setzen. Smotrich hatte vor der Regierungsbildung bereits den klaren Plan, die Zivilverwaltung zu übernehmen und damit faktisch Gouverneur des Westjordanlandes zu werden. Er hat seinen Einfluss genutzt, um neun illegale Außenposten rückwirkend zu genehmigen (obwohl sie nach internationalem Recht weiterhin illegal sind) und den Bau von 7.000 neuen Wohneinheiten in Siedlungen im Westjordanland anzukündigen.

Der israelische Menschenrechtsanwalt Michael Sfard erklärte, dass dies auf eine De-jure-Annexion hinausläuft:

„Die Übertragung von Befugnissen auf israelische Zivilisten ist ein Akt der De-jure-Annexion, weil damit dem Besatzungsmilitär die Macht entzogen und direkt in die Hände der Regierung gelegt wird – dies ist ein Ausdruck von Souveränität. Unterm Strich ist das heute unterzeichnete Abkommen gleichzeitig ein großer Schritt zur legalen Annexion des Westjordanlandes und ein Akt, der den Apartheidcharakter des Regimes untermauert.”

Auch die TAZ ist der Auffassung, dass die Übertragung der Zuständigkeit für die zivile Regierung des Westjordanlandes an Smotrich de jure eine Annexion darstellt.

Wesam Ahmad von der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq sagte dazu: „Die formale Annexion, die die internationale Gemeinschaft stets als rote Linie betrachtet hat, ist überschritten worden. Leider war die Reaktion meist Schweigen.“

Die Palästinensische Autonomiebehörde hat sich kaum über die Annexion beschwert, und die USA, die ein Positionspapier veröffentlicht haben, in dem beide Seiten aufgefordert werden, keine einseitigen Schritte zu unternehmen, haben beschlossen, keine Maßnahmen gegen die israelische Regierung zu ergreifen. Die VAE haben die diplomatischen Beziehungen zum Staat Israel trotz der De-jure-Annexion nicht abgebrochen. Deutschland hat noch nicht erklärt, dass es die Rechtswidrigkeit der Annexion anerkennt. Außenminister Baerbock hat bei seinem Berlin-Besuch gegenüber dem israelischen Außenminister Eli Cohen zwar „Besorgnis“ geäußert, aber Cohens Antwort, dass der Siedlungsbau ungehindert fortgesetzt werde, scheint den Beziehungen zu Deutschland nicht zu schaden.

Bezalel Smotrich ist nicht nur ein rechtsextremer Siedler, sondern auch Rechtsanwalt und Mitbegründer der rechtsextremen NRO Regavim, die sich für die Kolonisierung Palästinas einsetzt. Smotrich weiß, wie wichtig es ist, der israelischen Regierung die Souveränität in einem besetzten Gebiet zu übertragen – wie es bereits 1980 in Ost-Jerusalem und 1981 auf dem besetzten syrischen Golan geschah – beide Male unter einer Likud-Regierung. Im Februar rief Smotrich die Siedler auf, vom unkoordinierten Bau von Außenposten abzusehen. Er sagte: „Wir sind jetzt der Staat“ („wir“ bezieht sich auf die Siedler) und fügte hinzu, dass sein Plan darin bestehe, die gesamte jüdische Besiedlung des Westjordanlandes zu regeln und zu genehmigen, anstatt nur eine stückweise rückwirkende Genehmigung zu erteilen, wie es bisher der Fall war.

Bezalel Smotrich, Finanzminister, Minister im Verteidigungsministerium und Vorsitzender der Partei des religiösen Zionismus. Quelle: 2015, Wikipedia.

Die Zeitung Haaretz erläuterte  in einem Leitartikel der Redaktion, die Annexion bedeutet, dass die gesamte Bevölkerung Palästinas, sowohl Israelis als auch Palästinenser, nun derselben Regierung unterstellt sind und dass es sich offiziell um eine Apartheidregierung handelt. Dies ist das erste Mal, dass Haaretz anerkennt, dass der Staat Israel das Verbrechen der Apartheid in dem gesamten von ihm kontrollierten Gebiet begeht.

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BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina, die in unseren Medien zumeist nicht erwähnt werden.

Das Hawara-Pogrom der israelischen Siedler war eine Vorschau auf Sabra und Chatila 2
„Am Sonntagnachmittag brachte der junge Radwan Dameidi seine Frau und sein Kleinkind von ihrem Haus in der Westbankstadt Hawara zum Haus der Familie seiner Frau in Nablus. Dameidi ist Goldhändler Eigentümer eines Goldhandlung in Nablus und wohnt in einem geräumigen Haus in Hawara. Unmittelbar nach dem Terroranschlag vom Sonntag in Hawara, bei dem zwei Israelis getötet wurden, erfuhr er aus den sozialen Medien, dass Siedler einen größeren Racheakt in der Stadt planten, so dass er seine Frau und sein Baby schnell an einen sicheren Ort brachte.
Hagar Shezaf wusste, dass die Siedler einen Rachemarsch planten. Sie hatte am Sonntagnachmittag während ihres Aufenthalts in Paris davon erfahren. Von Hawara bis Paris konnte jeder, der es wollte, wissen, dass eine große Racheaktion Hawara erschüttern würde. Es gab nur einen Akteur, der es nicht wusste, nicht sah und nicht hörte – oder vielleicht hörte und wusste, es aber ignorierte: der israelische Verteidigungsapparat.
Die israelischen Verteidigungskräfte, die Grenzpolizei und der Sicherheitsdienst Shin Bet bereiteten sich nicht auf ein Pogrom vor und unternahmen nichts, um es zu verhindern, sei es aus Apathie und Selbstgefälligkeit oder weil sie ganz bewusst ein Auge zudrückten. Nach Schätzungen der Armee stürmten mindestens 400 Siedlerschläger, einige von ihnen maskiert und bewaffnet, andere mit Knüppeln, Eisenketten und Benzinkanistern, Hawara. Niemand hat sie aufgehalten, und niemand hat es ernsthaft versucht.
Am Montag erklärte die Grenzpolizei, ihre Kräfte hätten die jüdischen Randalierer tatsächlich daran gehindert, Hawara zu betreten, und die Randalierer seien von einem Ort aus in die Stadt eingedrungen, für den die Armee zuständig sei. Militärberichterstatter erklärten außerdem, dass die Soldaten versucht hätten, die Siedler daran zu hindern, über die Straßen in die Stadt zu gelangen, und dass sie deshalb von den Hügeln heruntergekommen seien. Auf die eine oder andere Weise drangen Hunderte von Randalierern in die Stadt ein mit dem Ziel, zu zerstören. Niemand hat sie aufgehalten und niemand hat die Verantwortung dafür übernommen.
Dies hat erneut deutlich gemacht, wie hilflos die Palästinenser sind und dass es keine Instanz auf der Welt gibt, die ihr Leben und ihr Eigentum schützt. Am Sonntag kam auch der Verdacht auf, dass das Wegschauen der Armee keineswegs nur ein Zufall war. Vielleicht wollten die israelischen Offiziere tatsächlich, dass die Siedler ihre Arbeit für sie erledigen, indem sie die Palästinenser bestrafen und mit einem Pogrom Abschreckung erreichen, wie das Knessetmitglied Zvi Fogel von Otzma Yehudit gefordert hatte.
Ein solches Wegschauen ruft vergessene Erinnerungen wach. Auch in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Chatila im Libanon drückte das Militär 1982 ein Auge zu und ermöglichte so den libanesischen Phalangistenmilizen die schrecklichen Massaker dort. In Hawara gab es kein Massaker, noch nicht, aber niemand konnte im Voraus wissen, wie sich die Dinge entwickeln würden. Hätten die Randalierer auch die Bevölkerung massakrieren wollen, hätte sich ihnen am Sonntag niemand in den Weg gestellt. Niemand hielt die Phalangisten in Sabra auf und niemand hielt die Phalangisten in Hawara auf.
Am Sonntag begnügten sie sich mit Zerstörungen. Aber warten sie nur auf ihren nächsten Racheakt, vor allem, wenn niemand vor Gericht gestellt und für das Pogrom vom Sonntag bestraft wird. Sabra und Chatila 2 ist im Anmarsch, und niemand tut etwas, um es zu verhindern.
Hawara glich am Montag einer Geisterstadt, einer Stadt im Belagerungszustand. Es war Cherson in Hawara. Die Reporter waren bereits in Kampfmontur. Alle Geschäfte waren geschlossen und die Straßen leer. Die Bewohner kauerten zu Hause und nur wenige lugten durch die Gitter, die aufgrund früherer Pogrome fast jedes Fenster in der Stadt haben.
Die Gesichter der wenigen Einwohner, die auf der Straße waren, spiegelten ihre Wut und Verzweiflung wider. Nur die Siedler durften am Montag die Straßen der Stadt befahren, ein weiteres deutliches Zeichen der Apartheid, und die meisten von ihnen taten dies trotzig und mit groben Provokationen – Siegeshupen, Stinkefinger und Rufe wie „Tod den Arabern“, „Schlampen“ und andere Epitheta. Einige hielten an, stiegen unter dem Schutz von Soldaten aus ihren Autos aus und begannen, die Bewohner aus nächster Nähe an den Türen ihrer ausgebrannten Häuser und rauchenden Autos zu verhöhnen. Die Bewohner wagten aber nicht, ein Wort zu sagen. Die leichte Berührung, die ein bewaffneter Soldat einem der Schläger auf die Schulter gab, fasste die Situation besser zusammen, als es tausend Worte könnten.“  https://www.haaretz.com/israel-news/2023-02-28/ty-article/.premium/israeli-settlers-hawara-pogrom-was-a-preview-of-sabra-and-chatila-2/00000186-94ae-d3a9-a1cf-b5ff5adb0000?utm_source=mailchimp&utm_medium=email&utm_content=author-alert&utm_campaign=Gideon%20Levy&utm_term=20230228-06:27

Anmerkung der Redaktion: Die Redaktion hat sich an dieser Stelle für den Beitrag von Gideon Levy entschieden, weil er anders als andere Kommentatoren unserer Meinung nach zutreffend den Pogrom in den Zusammenhang mit dem Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Chatila stellt. Wir möchten darauf hinweisen, dass Christian Meier, Nahost-Korrespondent der FAZ, wiederholt wichtige Beiträge zu den Racheakten der Siedler in Hawara geschrieben hat:https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/israel-siedler-verwuesten-huwara-und-die-armee-ist-ueberfordert-18710200.html und https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/israel-verspricht-aufklaerung-der-gewalt-im-westjordanland-18712770.html und https://zeitung.faz.net/faz/politik/2023-03-02/aufgewuehltes-land/867043.html

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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