Trotz Unterdrückung veröffentlicht B’Tselem weiter seine schmerzhaften Wahrheiten
Zusammenfassung: Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem ist 30 Jahre alt geworden – ein trauriges Jubiläum, denn Dokumentation von dreißig Jahren Besatzung hat die internationale Gemeinschaft nicht dazu gebracht, die Besatzung zu stoppen.
Vor dreißig Jahren gründeten Menschenrechtsaktivisten in Israel B’Tselem. Der Name dieser Organisation ist sowohl ihr Leitbild als auch ihr Programm. Er ist ihr Leitbild, denn „B’Zéllem Elohím Bará’ et-ha’Adám“ – „Im Ebenbild Gottes erschuf Er den Menschen“ – aus der biblischen Schöpfungsgeschichte wurde vom Talmudgelehrten Ben Asa’i zum wichtigsten Grundsatz der Toráh erklärt: Juden wie Nichtjuden sind Gottes Ebenbild (Adam war kein Jude; der erste Jude in der Bibel ist Abraham). Unter diesem Motto arbeitet B’Tselem für die Menschenrechte der Palästinenser in Israel und in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten.
Foto: Hagai El-Ad
Der Name B‘Tselem ist aber auch ihr Programm, denn aus dem Wortstamm „ZLM“ sind im Neuhebräischen die Worte für „Foto“, „Fotograf“, „Kameramann“ gebildet: B`Tselem lässt Palästinenser seit 2007, auch mit Videokameras, den Besatzungsalltag dokumentieren und hat Tausende Stunden Filmmaterial archiviert. Es zeigt, wie Palästinenser an Straßensperren festgehalten werden, wie radikale Siedler palästinensische Bauern attackieren, ohne dass die anwesenden israelischen Soldaten eingreifen, wie israelische Soldaten nachts in Wohnungen eindringen und junge Männer verhaften.
Zehava Gal‘on, die 1969 zu den Gründern von B`Tselem gehörte, schreibt anlässlich des Jahrestages in Ha’Aretz, sie hätten bei der Gründung von B’Tselem vor 30 Jahren geglaubt, „dass die israelische Öffentlichkeit nur wissen müsse, was in ihrem Namen getan wird. Wie falsch wir lagen! B’Tselem wurde als Antwort auf eine Frage gegründet, die die israelische Öffentlichkeit immer noch zerreißt: Was soll man tun, wenn der eigene Staat unrechtmäßig handelt? Keine zufälligen Ungerechtigkeiten, keine Fehler, keine blinden bürokratischen Entscheidungen, sondern eine kontinuierliche, bewusste Politik, die die Menschen wie etwas behandelt, auf dem man herumtrampeln kann. Die Antwort der Menschen auf diese Frage sagt viel über ihre Haltung aus. Es gibt einige, die schweigen, es gibt andere, die sich einreden, dass alles in Ordnung ist, es gibt andere, die erklären, dass wir kämpfen müssen, aber nicht jetzt und schon gar nicht im Ausland.“ Es gehe B’Tselem darum, der israelischen Öffentlichkeit vor Augen zu führen, wie gleichgültig sie geworden ist – eine frustrierende Aufgabe, da „viele Israelis glauben, dass ihre Sicherheit wichtiger ist als die Menschenrechte der Palästinenser. Aber die meisten Israelis wissen auch, dass Sicherheit nicht alles rechtfertigt, denn sonst würden sie sich nicht so sehr bemühen, die Fakten zu leugnen, die B’Tselem offenlegt. Der Krieg rechtfertigt kein blindwütiges Schießen oder Luftangriffe auf Ortschaften und Häuser, ohne zu überprüfen, ob Zivilisten anwesend sind. Der Krieg rechtfertigt keine Folter, Misshandlung, Plünderung und Tötung von Gefangenen.“
Die Kritik, B`Tselem sei einseitig, insbesondere zeigten die Videos nicht die tatsächliche Gefahrenlage, die Israel zu seinen militärischen Aktionen nötige, ist vielfach widerlegt worden. Laut Hagai El-Ad, dem Geschäftsführer von B’Tselem, zeigen die Videos sehr wohl, wie groß der Druck für alle Beteiligten sei: sowohl für die palästinensische Bevölkerung als auch für die Soldaten, die in den besetzten Gebieten ihren Dienst tun. Am 24. März 2016 attackierten zwei Palästinenser in Hebron israelische Soldaten mit Messern. Ihr Anschlag wurde vereitelt, ein Attentäter erschossen, der andere verletzt. Ein Anwohner filmte die Szene. In dem von B’Tselem hochgeladenen Video auf YouTube sieht man, wie ein Sanitätssoldat seine Waffe durchlädt, auf den Kopf des verletzten, wehrlos am Boden liegenden Palästinensers zielt und abdrückt. Ein Anwohner hatte B’Tselem das Video zur Verfügung gestellt, B’Tselem hatte es veröffentlicht und den Fall vor Gericht gebracht.
B`Tselem ist in letzter Zeit verstärkt auf politischen Feldern aktiv geworden. Zum Beispiel wurde die Zusammenarbeit mit der Militärjustiz beendet: Hagai El-Ad: „Weil die Militärjustiz in nur drei Prozent der Fälle wegen des Verdachts auf Menschenrechtsverletzungen gegen Palästinenser Anklage erhoben hat – obwohl von uns gründlich recherchierte Beweise vorlagen“. Im Oktober 2018 forderte Hagai El-Ad vor dem UN-Sicherheitsrat als Experte internationalen Druck gegen Israel, da nur dieser die Besatzung gewaltlos beenden könne. Daran entzündete sich die Kritik, B’Tselem instrumentalisiere das Thema Menschenrechte für ein politisches Ziel: das Ende der Besatzung. Hagai El-Ad: „Menschenrechte sind immer ein Politikum“.
B’Tselem wird zwar von der EU mitfinanziert. Nur selten bekennen sich aber deutsche Politiker zu dieser menschenrechtlichen Orientierung so wie Außenminister Gabriel, der wegen eines Treffens mit B’Tselem und mit „Breaking the Silence“ im April 2017 von Netanjahu nicht empfangen wurde. Gabriels Nachfolger Maas jedenfalls traf sich im Februar 2017, als er noch Justizminister war, lieber mit seiner damaligen israelischen Amtskollegin, der rechten Hardlinerin Ayelet Shaked, und flog mit ihr im Hubschrauber über das von Shaked für Israel beanspruchte von Israel besetzte Westjordanland. Erfreulich sind darum im heutigen weichgespülten pro-Israel- / anti-Menschenrechte-Klima Beiträge wie der von Dahlia Scheindlin, jüdisch-israelischer Politikwissenschaftlerin beim Israeli Institute for Regional Foreign Policies, in der FAZ vom 10.12. zum jüngsten Urteil des EuGH zur Kennzeichnung von Produkten aus den jüdischen Siedlungen. Sie vergleicht die Behandlung Israels durch die EU systematisch mit der Behandlung anderer Probleme durch die EU – Marokko (Westsahara), Russland (Krim), Nordzypern, China (Tibet). Dabei verweist sie darauf, dass die EU wegen der Besetzung der Krim umfangreiche Sanktionen gegen Russland verhängt hat und für Produkte aus Nordzypern so hohe Zölle erhebt, dass dies einem Einfuhrverbot gleichkomme. Im Vergleich damit sei das EuGH-Urteil „die mildest mögliche Form der ökonomischen Sanktionierung einer in ihrer konkreten Form völkerrechtswidrigen Besatzungsherrschaft“.
Nach Ansicht der genannten Ayelet Shaked – so berichtet Scheindlin – trage aber dieses Urteil des EuGH den „Gestank des Antisemitismus“, und ebenso hätten sich die deutschen Politiker Volker Beck und Felix Klein geäußert. Der deutsche Antisemitismusbeauftragte im trauten Einklang mit einer israelischen Rechtsradikalen: Es braucht wohl eine Israelin, damit ein mainstream-Medium wie die FAZ diese Einschätzung abdruckt. Jedenfalls wünschen wir B’Tselem zum Jubiläum, dass sich die deutsche Politik wieder offen zu dieser Organisation als wichtiger Verteidigerin der Menschenrechte bekennen möge.
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