Die Beendigung der Apartheid in Israel ist der einzige Weg zu einem nachhaltigen Frieden
Der folgende Text ist eine leicht gekürzte Version der Ausführungen von Richard Falk (von 2008 bis 2014 im Auftrag des UN-Menschenrechtsrats UNHRC Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Situation der Menschenrechte in den seit 1967 von Israel besetzten palästinensischen Autonomiegebieten) auf der Plenarsitzung zur Eröffnung der „1. Weltweiten Konferenz über die israelische Apartheid: Dimensionen, Auswirkungen und die Mittel zu ihrer Bekämpfung“ in Istanbul am 29. und 30. November 2019. Die Konferenz befasste sich ausführlich mit dem Bericht der UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (UNESCWA) über die israelische Apartheid (Report on Israeli Practices Towards the Palestinian People and the Question of Apartheid” vom 15. März 2017) und deren Auswirkungen.
Gegen die israelische Apartheid
Richard Falk, Dezember 2019
In seinen einleitenden Bemerkungen weist Falk darauf hin, dass der UNESCWA-Bericht im UN-Hauptquartier, insbesondere bei den UN-Botschaftern der USA und Israels, auf scharfe Kritik gestoßen war. Die Aufmerksamkeit, die ihre Kritik erregte, habe das Interesse an dem Bericht vor allem in Kreisen der Zivilgesellschaft stark erhöht und zur „Normalisierung der Verwendung von `Apartheid` zur Beschreibung der israelisch-palästinensischen Beziehungen“ geführt. „Ich denke, es gibt einen wachsenden Konsens unter den pro-palästinensischen Aktivisten, dass die Beendigung der Apartheid in Israel in Theories und Praxis nun der einzige Weg zu einem nachhaltigen Frieden ist.“
Falk ist der Überzeugung, „dass der Abbau der Apartheid (…) der einzige Weg zu einem nachhaltigen Frieden zwischen diesen beiden Völkern darstellt. Hinter dieser Überzeugung verbirgt sich meine etwas kontraintuitive Ansicht, dass auch die israelischen Juden von der Beendigung der Apartheid in Israel profitieren würden, so wie es für die weißen Südafrikaner vor 25 Jahren der Fall war.“
Foto: In der Altstadt von Hebron – den Palästinensern ist seit Jahren untersagt, ihre Läden zu öffnen (die Eingangstüren wurden zugeschweisst): „Arabs are prohibited. This is apartheid“. Quelle: Privat
Falk fährt dann fort:
Ethnokratie und Trennung: Entschlüsselung des zionistischen Projekts
Das Verständnis der Entwicklung der vorherrschenden Tendenzen in der zionistischen Bewegung ist entscheidend für die besondere Situation in Palästina und die Beziehung zwischen Zionismus und dem Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts. Für die Gestaltung der Politik sind die spezifischen Merkmale des zionistischen Opportunismus von zentraler Bedeutung. Er zeichnet sich am deutlichsten dadurch aus, dass er die jeweils gegebenen Möglichkeiten nutzt, ohne zu berücksichtigen, was in der Vergangenheit angestrebt wurde (…). Von der anfänglichen Zustimmung, sich – wie in den Balfour/Völkerbund-Formulierungen festgehalten – mit einer Heimstatt statt mit einem Staat zufrieden zu geben, über die widerwillige Akzeptanz der nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezwungenen Teilung Palästinas bis hin zu der gegenwärtigen Haltung, faktisch die palästinensische Kapitulation im eigenen Heimatland zu fordern, hat der Zionismus seine Erwartungen immer stärker an seine grundlegenden Ambitionen und seiner Interpretation der maßgeblichen Machtverhältnisse angepasst, intern, regional und global.
In vielerlei Hinsicht hat die palästinensische nationale Bewegung aus verständlichen Gründen einen scheinbar entgegengesetzten Ansatz zum zionistischen Projekt und später zur israelischen Führung gewählt. Die Palästinenser haben das, was ihnen in jeder Phase des Konflikts angeboten wurde, als inakzeptabel abgelehnt – wenn sie es akzeptiert hätten, wäre das als politische Niederlage angesehen worden. Pikanterweise erwies sich der Handschlag vor dem Weißen Haus zwischen Rabin und Arafat, der die gegenseitige Akzeptanz des Osloer Rahmens zur Lösung des Konflikts symbolisierte, als ein katastrophaler taktischer Zug der palästinensischen Führung, obwohl er damals als dramatischer Durchbruch dargestellt wurde, der zum Frieden führen sollte.
Die Oslo-Diplomatie erlaubte es den israelischen Propagandisten, die palästinensische Führung als nicht kompromissbereit darzustellen, da sie auf nicht verhandelbaren Forderungen zu bestehen schien, während sie in Wirklichkeit versuchte, weitere Konfiszierungen palästinensischen Landes und Beeinträchtigungen palästinensischer Rechte abzuwehren. Während die Israelis auf der Grundlage immer höherer Erwartungen stetig nach vorne blickten, schauten die Palästinenser historisch gesehen zurück, um sich später doch mit dem zu begnügen, was sie in einer früheren Phase abgelehnt hatten. Als den Palästinensern durch den Teilungsbeschluss [1948] 45 % des Territoriums zugestanden wurden, erschien dies als völlig inakzeptable Zersplitterung der territorialen Einheit Palästinas und als Missachtung der elementarsten Rechte seiner Bevölkerungsmehrheit. Aber später war die palästinensische Führung sogar bereit, 22 % von Mandats-Palästina für ihren stark geschrumpften Staat zu akzeptieren. Zu diesem Zeitpunkt bestand Israel dagegen auf der totalen Kontrolle über Jerusalem, auf einer Vielzahl von Verletzungen der palästinensischen Souveränität, einschließlich der Grenzkontrolle und der permanenten palästinensischen Entmilitarisierung, sowie natürlich auf der Beibehaltung der unrechtmäßigen Siedlungsblöcke, die in den 1967 besetzten Gebieten errichtet wurden. Die Palästina-Papiere, ein Dokument, das spätere geheime direkte Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern öffentlich machte, dokumentieren diesen Konflikt mit den Erwartungen der Palästinenser, die damals sogar unter die 22 %-Schwelle gesenkt wurden, da sich die Israelis bei ihren Aktionen und Forderungen nicht mehr mit nur 78 % des Landes begnügten. Die Israelis erhoben weitergehende Forderungen, diese beinhalteten sogar die Umleitung der Wasser-Aquifere der Westbank. Es ist erwähnenswert, dass das, was Israel in seiner Diplomatie vor Trump anzustreben schien, die „Gazaisierung“ jedes zukünftigen palästinensischen Gemeinwesens war, eines Gaza, nachdem der Abzugsplan von Sharon 2005 in Kraft gesetzt wurde, der den Rückzug der IDF-Besatzungstruppen, tatsächlich jedoch ihre Verlegung und die Räumung israelischer Siedlungen beinhaltete. (…)
Es gibt zwei weitere Merkmale der zionistischen Praxis, welche die palästinensischen Forderungen nach grundlegenden Rechten untergraben haben. Erstens passt Israel den politischen Diskurs immer wieder an die sich ändernden äußeren Umständen und Möglichkeiten an. In jüngster Zeit wäre es beispielsweise ohne Trump und möglicherweise auch ohne saudische Zustimmung fraglich gewesen, ob Israel die Golanhöhen annektiert oder die Siedlungen als Teil von Israel behandelt hätte, obwohl beide Schritte zweifellos auf der tatsächlichen langfristigen zionistischen Tagesordnung stehen.
Zweitens entsprachen die öffentlich geäußerten israelischen Absichten in keiner Phase der Auseinandersetzung dem tatsächlichen, relativ festgelegten politischen Programm. Vielleicht ist in allerjüngster Zeit diese doppelte Agenda nicht mehr Teil des zionistischen taktischen Ansatzes, da Netanjahus/Kushners Sieger-Szenario diskret und irreführend als strategisches Endspiel für die Auseinandersetzung propagiert wird. Dieses coming-out ist mit dem heimtückischen Vorschlag verbunden, dass Israel die Apartheid noch weiter verschärfen sollte, um eine palästinensische Kapitulation zu erzwingen, oder wie es von seinen Befürwortern formuliert wurde: Das unvollendete zionistische Geschäft bestehe darin, die palästinensische Führung davon zu überzeugen, dass ihre Sache wirklich verloren sei.
Der Apartheid-Diskurs zeigt, dass diese Art von israelischem „Endspiel“ die Auseinandersetzung nicht beendet, sondern allenfalls verlängert und zu einem weiteren Waffenstillstand führt, dem mit ziemlicher Sicherheit eine weitere Intifada oder eine andere Form des wiederauflebenden palästinensischen Widerstands folgen wird. Die Welt ignoriert derzeit die Bedeutung des anhaltenden und innovativen Widerstands des Großen Marsches der Rückkehr. Die Palästinenser und ihre Unterstützer verstehen diese dramatische Form des Widerstands als das, was sie ist, nämlich eine entschiedene Ablehnung des „Endspiels der verlorenen Sache“ (was eigentlich nur eine taktvollere Beschreibung für „Siegesszenario“ ist). Dieses Szenario wurde von dem zionistischen Extremisten Daniel Pipes am deutlichsten formuliert und kann in seiner ganzen krassen Hässlichkeit auf der Website des Middle East Forum nachgelesen werden. Das zentrale Argument von Pipes ist, dass die Versuche der Diplomatie gescheitert sind, und es jetzt an der Zeit sei, den Konflikt durch Zwang zu beenden: Man müsse deutlich machen, dass Israel gewonnen und Palästina verloren habe. Alles, was noch zu tun bleibe, sei, den Palästinensern diese Realität vor Augen zu führen, und da sie sich hartnäckig widersetzen, solle man Gewalt und verschiedene Arten von Zwangsmaßnahmen anwenden, bis sie schließlich dem Schmerz nachgeben und ihre Niederlage mit einem formellen Eingeständnis der Kapitulation akzeptieren.
Ich glaube, vor diesem Hintergrund sind die Beschreibung und die Diagnose der Apartheid wichtiger denn je, zunächst um die volle existenzielle Tragweite der palästinensischen Leidenswegs zu erfassen und dann um sich zu vergegenwärtigen, dass trotz allem, was geschehen ist, eine friedliche Koexistenz auf der Basis der Verwirklichung eines Systems der ethnischen Gleichheit eine Möglichkeit bleibt und tatsächlich die einzige positive Alternative zu einem permanenten Konflikt oder weiteren ethnischen Säuberungen darstellt.
Wir wissen, dass die derzeitige regionale und geopolitische Konstellation der Kräfte nicht ewig Bestand haben wird. Sie scheint derzeit für Israel extrem günstig zu sein, aber wenn die nächste Phase des arabischen Erwachens die Machthaber empfänglicher für die Ansichten und Werte ihrer Bevölkerung macht, würde die arabische Politik der Zugeständnisse und Beschwichtigung wahrscheinlich schnell auf Widerstand stoßen und über Nacht von einem eher konfrontativen Ansatz ersetzt werden. Und es wäre nicht sicher, ob die gegenwärtige hyper-parteiische Unterstützung Israels durch die Vereinigten Staaten noch weiter gewährt würde. Wenn die Republikaner bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 geschlagen werden, wird die Politik gegenüber Israel wahrscheinlich von der gegenwärtigen absurden Hyper-Parteinahme für Israel zur früheren Politik zurückkehren. Konkret bedeutet dies eine Wiederbelebung des dem Mainstream entsprechenden „liberal-zionistischen“ Eintretens für eine Zwei-Staaten-Lösung und eine Diplomatie, die auf der Notwendigkeit gegenseitiger politischer Kompromisse beruht. Dieser Ansatz wurde am deutlichsten von den amerikanischen Präsidentschaften Clinton und Obama verfolgt. Natürlich wird diese Wiederbelebung des liberalen Zionismus als Grundlage der amerikanischen Außenpolitik ohne Veränderungen innerhalb Israels die israelischen Vorstellungen nicht verändern oder die palästinensischen Leiden beenden. Aus diesem Grund wird die Verantwortung für einen nachhaltigen Frieden, egal ob der „Trumpismus“ fortbesteht oder durch eine gemäßigtere Präsidentschaft ersetzt wird, von der Stärkung und Vertiefung der globalen Solidarität mit dem palästinensischen Kampf auf allen Ebenen abhängen, einschließlich der Regierungen, der UNO und vor allem der Zivilgesellschaft.
Selbst wenn wir einen zivilgesellschaftlichen Konsens über die Analyse der Apartheid erzielen, wird das nicht ausreichen, um einen Wandel herbeizuführen. Grundlage unseres Handelns muss die Überzeugung sein, dass die Beendigung der israelischen Apartheid der einzige Weg zum Frieden ist. In der gegenwärtigen Situation ist es offensichtlich, dass weder die Diplomatie noch die UNO diese Apartheid-Analyse unterstützen werden, wenn sie nicht von außen kräftig dazu gedrängt werden. Allerdings zögern sogar viele Teile der palästinensischen Führung und Bewegung, dies zu tun. (…) Wir können hoffen, dass mit zunehmendem zivilgesellschaftlichem Engagement mehr Regierungen und die UNO allmählich dazu gebracht werden können, sich den Bemühungen anzuschließen. Denn der südafrikanische Präzedenzfall zeigt uns, dass das Unmögliche plötzlich möglich wurde, weil durch robusten Widerstand im Inneren und intensive Solidaritätsbekundungen im Äußeren genügend Druck ausgeübt wurde. Im Laufe der Zeit brachten diese Maßnahmen die Führung der Buren ausreichend in Bedrängnis, um Veränderungen herbeizuführen. (…)
Es versteht sich von selbst, dass Israel nicht Südafrika ist. Außerdem sind die Palästinenser weiterhin uneinig, wenn es um ihre politische Führung geht. Und es fehlt ihnen an der Art von inspirierender Führung, die sich in der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung als so wertvoll erwiesen hat. Wir sollten jedoch nie vergessen, dass der antikoloniale Fluss der Geschichte der dominierende internationale Trend unserer Zeit bleibt und die israelische Elite zur Besinnung bringen kann. Ein echter Post-Apartheid-Frieden wird Juden und Palästinensern gleichermaßen zugutekommen: das Bekenntnis zu Frieden und Gerechtigkeit, das aus der Abschaffung der Apartheid folgt. (…)
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Ein Kommentar
Hat dies auf TheViciousCircle rebloggt.