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Netanjahu instrumentalisiert den Holocaust, um die Verbrechen an Palästinensern zu rechtfertigen

Zusammenfassung: Kaum jemals zuvor wurde die Erinnerung an den Holocaust in so eklatanter Weise zu Angriffen auf das internationale Rechtssystem und zur Rechtfertigung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Palästinensern instrumentalisiert wie jetzt von der israelischen Regierung bei ihrer Zeremonie zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren.

Vierzig führende Politiker aus vielen Staaten trafen sich am Donnerstag, dem 23.1., im Yad Vashem Museum in Jerusalem, um der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 75 Jahren zu gedenken. Die geschmacklose Einladung des Bürgermeisters von Jerusalem am Vorabend der Zeremonie versprach einen Cocktail-Empfang, eine „After-Party“ und einen DJ. Warum sich nicht amüsieren, solange des Holocaust gedacht wird?

Foto: Einladung des Bürgermeisters von Jerusalem zur Party, Quelle: Haaretz

Das eigentliche Problem ist aber nicht der Mangel an Anstand, sondern die sachfremde Nutzung des Gedenkens an den Holocaust durch die israelische Regierung, um die Besetzung und die Unterdrückung der palästinensischen Rechte zu rechtfertigen. Das Büro von Premierminister Netanjahu kündigte an, dass alle zu der Zeremonie eingeladenen führenden Politiker aus aller Welt gebeten werden, eine gemeinsame Erklärung gegen den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag abzugeben und zu erklären, dass der ICC keine Gerichtsbarkeit über das besetzte palästinensische Gebiet hat.

Der ICC wurde 2002 gegründet. Die JuristInnen der Welt, die sicherstellen wollten, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nie wieder ungestraft begangen werden, forderten schon kurz nach Ende des 2. Weltkriegs ein Gericht mit universeller Gerichtsbarkeit. Der junge Staat Israel beteiligte sich aktiv an der Förderung der Errichtung des Gerichtshofs, und es war daher ein Schock und eine Enttäuschung, dass er sich 2002 weigerte, das Übereinkommen von Rom zu unterzeichnen, in dem die Zuständigkeit des ICC für sein eigenes Gebiet bestätigt wurde. Premierminister Netanjahu geht jetzt noch weiter und verrät die Holocaust-Überlebenden, die „nie wieder“ schworen, und fordert nun direkte Sanktionen gegen die Anwälte und Richter des ICC.

Netanjahu erinnerte an die Drohungen von John Bolton (Trumps ex-Sicherheitsberater), dass die USA Sanktionen gegen den ICC verhängen würden, wenn dieser die USA oder Israel für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen würde. Im christlichen Fernsehsender Trinity Broadcasting Network forderte Netanjahu die Christen in aller Welt auf, den ICC zu kritisieren, und kündigte an, dass er auch eine ähnliche Botschaft an die Gäste von Yad Vashem während der Holocaust-Gedenkfeier vorbereitet habe.

Doch 2014 unterzeichnete die Palästinensische Autonomiebehörde die Konvention, und dem ICC wurde die Gerichtsbarkeit über das besetzte Westjordanland (zu dem auch Ost-Jerusalem gehört) und den Gazastreifen zugesprochen. Im Dezember letztes Jahres kündigte die Chefanklägerin des ICC, Fatou Bensouda, an, dass sie eine Untersuchung einleiten werde, um die Anklageerhebung gegen israelische Amtsträger wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorzubereiten.

Die Untersuchung konzentriert sich auf die Kriegsverbrechen seit der israelischen Invasion in Gaza im Jahr 2014, bei der über 2.000 Palästinenser getötet wurden. Es geht vor allem um die Verfolgung wehrloser Zivilisten mit tödlicher Gewalt im Zuge dieser Invasion sowie um die Unterdrückung von Demonstrationen, einschließlich des Großen Marsches der Rückkehr am Grenzzaun des Gaza-Streifens seit 2018.

Der Menschenrechtsanwalt Eitay Mack drückte in Haaretz seine Empörung darüber aus, wie die Erinnerung an den Holocaust von Netanjahu, der israelischen Regierung und Yad Vashem in den Hintergrund gedrängt wird. Er stellte fest, dass sich unter den vierzig zu der Zeremonie eingeladenen Staatsoberhäuptern der Welt keine Vertreter Lateinamerikas (mit Ausnahme des Präsidenten von Argentinien), Afrikas oder Ostasiens befinden. Es geht darum, politische Macht zu akkumulieren. Dem Holocaust-Überlebenden Zvi Eichnold wurde sogar der Zutritt zu der Zeremonie verweigert, um Platz für mächtige Politiker zu schaffen.

Mack erwähnte die Liste der rechtsextremen Politiker aus mehreren Staaten, unter ihnen Holocaust-Leugner, die kürzlich Yad Vashem besucht hatten, um dem Staat Israel ihre Unterstützung zu zeigen (und in vielen Fällen ihre Opposition gegen die BDS-Bewegung zu verkünden, wie etwa bei Matteo Salvini). Mack untersucht die israelischen Waffenexporte, die für ethnische Säuberungen, Massaker und Völkermord eingesetzt werden. Er protestierte vor dem Museum, als die Antisemiten Rodrigo Duterte, Viktor Orban und Jair Bolsonaro als Ehrengäste zu Gast waren und antijüdische, aber pro-israelische Erklärungen abgaben. Mack zufolge wird Yad Vashem dazu benutzt, das Image dieser rechtsextremen Politiker zu säubern, ein Waschsalon für Faschisten. Er schließt seinen Artikel mit den Worten: „Als Mitglied einer Familie von Auschwitz-Überlebenden und -Mordopfern habe ich keinen Grund, an dieser Veranstaltung teilzunehmen.“

Selbst als Netanjahu behauptete, der Holocaust sei nicht Hitlers Idee, sondern die Idee eines Palästinensers, war die Empörung nicht so stark wie heute.


Foto: Der brasilianische Präsident Bolsonaro in Yad Vashem, wo er sagte: „Wir können den Nazis verzeihen, aber sie nicht vergessen“. Quelle: Brasilianische Regierung.

Noch bemerkenswerter ist der Artikel in Haaretz von Uri Misgav, einem zionistischen Journalisten, der sich noch nie zuvor so deutlich geäußert hat. Unter dem Titel „Shoa-Show in Jerusalem: Es war es wert, sechs Millionen für die After-Party zu opfern“ beklagt Misgav, wie der Missbrauch des Gedenkens an den Holocaust die Existenzberechtigung des Staates Israel selbst untergräbt. Misgav schreibt: „Wäre ich kein Nationalist, dann würde ich antisemitisch werden, wenn ich mich in die Details dieses Ereignisses vertiefen würde. Es gibt einfach keine Worte, um die Hohlheit, den Zynismus, die transparente und eklatante Ausbeutung des Holocaust für die Bedürfnisse von Benjamin Netanjahus Politik aus der Gosse im Besonderen und des israelischen Nationalismus im Allgemeinen zu beschreiben: distanziert, entfremdet und grotesk. Es ist unglaublich, dass Yad Vashem in diese Sache hineingezogen wurde. Vielleicht sollte es auch geschlossen werden. Auch in der Allee der Gerechten unter den Völkern lodern die Flammen. Schade, es war eigentlich ein gutes Museum. Aber wenn es offiziell zu einem Forum für politische PR und Holocaust-Partys wird, wären wir ohne es wahrscheinlich besser dran.“

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2 Kommentare

  1. „Aussteigen“ aus der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes bzw. diese nicht für sich anerkennen, damit man wie der große Bruder USA für eigene Verbrechen nicht von dort belangt werden kann, ist eine Sache!

    Aber lauthals internationale Solidarität einfordern, wenn evtl. ein anderer Böser einem Böses tut!?
    Wo bitte soll dieser Verbrecher denn vor Gericht gestellt werden?
    Wie kann man nur so zynisch, überheblich und selbstgerecht sein!? ….

    Neben dem Grauen des Holocausts auch noch die internationale Gemeinschaft und 40 hochrangige Staatsgäste zusätzlich so unverschämt zu instrumentalisieren und zu veralbern, dazu gehört mehr als Chuzpe und ist die „andere Sache“! – Dabei ist Bolsenaro sicherlich einer der moralisch Geeignetsten, um Erfahrungen aus der Unterdrückung und stufenweisen Vertreibung und Vernichtung einer Bevölkerungsgruppe weiterzugeben und zu bewerten.

    >Wir sind die Guten, die Anderen die Schlechten. – So einfach ist das mit den Menschenrechten! <
    (Worte von Reinhard Mey aus seiner Ballade „Guantanamo“ über USA- Doppelmoral).

    Danke für die klaren Worte von Uri Misgav!
    26.01.2020

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