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Der ausführliche Bericht fordert den IStGH auf, Anklage gegen den Staat Israel zu erheben

Zusammenfassung: Human Rights Watch hat einen detaillierten Bericht veröffentlicht, in dem die israelischen Behörden der Apartheid beschuldigt werden und der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) aufgefordert wird, dieses Verbrechen zu untersuchen. Der auf Fakten gestützte Bericht ist ein wichtiger Schritt für die Organisation, die in der Vergangenheit darauf bedacht war, die israelische Regierung nicht zu verärgern. Der Bericht hat große internationale Aufmerksamkeit erhalten.

Im November 2019 wurde der Direktor von Human Rights Watch für Israel/Palästina, Omar Shakir, aus Israel abgeschoben – aufgrund seiner politischen Ansichten und der Beschuldigung, die BDS-Bewegung zu unterstützen. Shakirs Berufung vor dem israelischen Obersten Gerichtshof gegen die Entscheidung des Innenministeriums scheiterte. Ende April 2021 veröffentlichte Human Rights Watch einen detaillierten Bericht von 213 Seiten, in dem erklärt wird, auf welche Weise sich die israelischen Behörden des Verbrechens der Apartheid schuldig gemacht haben. Der Bericht nimmt Bezug auf Artikel II der Anti-Apartheid-Konvention der UN von 1973 und die Definition im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Ein Großteil des Berichts basiert auf Recherchen, die von Omar Shakir durchgeführt wurden. Mitautor ist Eric Goldstein.

Zusätzlich zu dem ausführlichen Bericht produzierte Human Rights Watch eine dreiminütige Videozusammenfassung des Berichts. Das Video wurde mit Hilfe von Visualizing Palestine produziert. Ein zweites Video wurde über Facebook verbreitet.

Alle Bilder in diesem Bericht stammen von Visualizing Palestine, 2021, und werden hier mit Genehmigung präsentiert.

Jahrelang wurde Human Rights Watch dafür kritisiert, zu nachsichtig mit israelischen Menschenrechtsverletzungen umzugehen, einen – wie sie es nennen – „ausgewogenen“ Ansatz zu verfolgen und zu versuchen, die israelische Regierung nicht zu sehr zu verärgern. Nachdem Omar Shakir abgeschoben worden war, wurde er durch Eric Goldstein als amtierenden Direktor ersetzt. Die Organisation scheute sich nicht mehr, in einer klaren Sprache über die vom Staat Israel begangenen Verbrechen öffentlich zu informieren. Dennoch befasst sich der Bericht nur mit den aktuellen Fakten und vermeidet es, auf historische und theoretische Diskussionen über die Rolle des Siedlerkolonialismus einzugehen, zum Beispiel auf die Frage, ob die zionistische Bewegung von ihrer Grunstruktur aus rassistisch sei oder was die Nakba für die Palästinenser bedeutet. Es ist bemerkenswert, dass die internationale Resonanz auf den Bericht viel breiter und positiver ist als auf zahlreiche Berichte, die von palästinensischen Organisationen veröffentlicht wurden.

Der Bericht von Human Rights Watch trägt den denkwürdigen Titel „A threshold crossed“ („Eine überschrittene Schwelle“), was darauf hindeutet, dass eine bestimmte Schwelle überschritten werden muss, damit Rassismus, Segregation und Diskriminierung nach der UN-Konvention den Tatbestand der Apartheid erfüllen. Der Bericht gibt nicht an, wo diese Schwelle liegt. Anders als der B’tselem-Bericht über Apartheid sagt Human Rights Watch nicht, wann der Staat Israel zu einem Apartheidstaat wurde. Als er in einem Webinar dazu befragt wurde, antwortete Omar Shakir, dass nach Auffassung von Human Rights Watch die Schwelle überschritten ist. Erst nach 54 Jahren Besatzung, dem Zusammenbruch des Friedensprozesses und dem „Nationalstaatsgesetz“ vom Juli 2018 kam Human Rights Watch zu der Überzeugung, dass die Realität der Apartheid ein Ergebnis israelischer Planung und Absicht ist.

Die Sprache des Berichts deutet darauf hin, dass Human Rights Watch glaubt, dass es nicht vom Ausmaß der Diskriminierung abhängt, ob die Schwelle zur Apartheid überschritten wurde, sondern von der Absicht. Der Bericht zeigt detaillierte Beweise für israelische Pläne, eine jüdische Bevölkerungsmehrheit aufrechtzuerhalten, Palästinenser ethnisch von ihrem Land zu säubern, eine Politik umzusetzen, die die Ansiedlung von Juden in Gebieten, die Palästinensern gehören, fördert und Palästinenser in kleinen Enklaven konzentriert. Die Pläne selbst, auch wenn nicht alle von ihnen erfolgreich umgesetzt wurden, beweisen, dass die israelischen Behörden aktiv und planvoll versuchen, eine jüdische Dominanz im gesamten Gebiet von Israel/Palästina zu etablieren. Dies erfüllt den Tatbestand der Apartheid.

Alle Bilder in diesem Bericht stammen von Visualizing Palestine, 2021, und werden hier mit Genehmigung präsentiert.

Der Bericht von Human Rights Watch reiht sich ein in eine Reihe von Berichten, erwähnt diese auch und setzt sich mit ihnen auseinander. Die beiden Definitionen von Apartheid, basierend auf der Anti-Apartheid-Konvention von 1973 bzw. auf dem Rom-Statut des IStGH, sind kurz und einfach, aber dennoch offen für Interpretationen. Israelische und amerikanische Politiker haben von Apartheid gesprochen – in Bezug auf das besetzte Westjordanland und den Gazastreifen. Das duale Rechtssystem, das zwischen israelischen Besatzern und palästinensischen Besetzten diskriminiert, ist hier ein eindeutiger Beleg. Eine juristische Analyse von John Reynolds und John Dugard aus dem Jahr 2013 hat Apartheid im Westjordanland und im Gazastreifen nachgewiesen, bezog aber keine Position für den Rest des Landes. Nach 54 Jahren israelischer Besatzung in diesen Gebieten gibt es keine Zweifel mehr an der Absicht der israelischen Behörden, dieses System der Diskriminierung dauerhaft aufrechtzuerhalten.

Neuere Berichte wie der UN-Bericht der Economic and Social Commission for Western Asia (ESCWA) über Apartheid von Virginia Tilly und Richard Falk aus dem Jahr 2017, der auf Druck der Trump-Administration unterdrückt wurde, und der Bericht der israelischen Menschenrechtsorganisation B’tselem vom Januar dieses Jahres (siehe BIP-Aktuell #154) sowie der neue Bericht von Human Rights Watch lehnen bezüglich der Apartheid jedoch die Unterscheidung zwischen dem besetzten Westjordanland und dem Gazastreifen und dem Rest von Israel/Palästina ab. Die Tatsache, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen nur in bestimmten Gebieten leben dürfen, verstärkt nur die Schlussfolgerung, dass es ein einziges Apartheidsystem gibt, das das gesamte Gebiet dominiert. Auch die Aufforderung der Carnegie Endowment for International Peace, das Zwei-Staaten-System aufzugeben und das Regime in Israel/Palästina als Apartheid-Regime zu bezeichnen, reiht sich ein in diese Welle von Berichten, die Apartheid im gesamten Gebiet unter israelischer Kontrolle feststellen.

Alle Bilder in diesem Bericht stammen von Visualizing Palestine, 2021, und werden hier mit Genehmigung präsentiert.

Richard Falk, einer der Autoren des ESCWA-UN-Berichts, wurde zum Bericht von Human Rights Watchinterviewt. Obwohl der Fokus der beiden Berichte ebenso unterschiedlich ist wie ihre Interpretation von Apartheid, lobte Falk den Bericht. Falk favorisiert die Definition aus der Anti-Apartheid-Konvention von 1973 und verfolgt damit einen Bottom-up-Ansatz. Wenn das Leben der Menschen durch Diskriminierung beeinträchtigt und kontrolliert wird, liegt Apartheid vor. Im Gegensatz dazu konzentriert sich Human Rights Watch mehr auf das Rom-Statut, das einen Top-to-Bottom-Ansatz verfolgt. Wenn die Regierung versucht, eine hierarchische und segregierte Gesellschaft zu schaffen, liegt Apartheid vor. Wie Falk anmerkt, kommen jedoch beide Ansätze im Fall von Israel/Palästina zum gleichen Ergebnis. Sowohl Falk als auch der Bericht von Human Rights Watch erinnern die Leser*innen wiederholt daran, dass Apartheid nicht auf Südafrika zwischen 1948 und 1994 beschränkt ist. Es handelt sich um ein im Völkerrecht definiertes Verbrechen, das in Namibia, Rhodesien, Südafrika und in Israel/Palästina praktiziert wurde bzw. wird und in jedem Land andere Formen annahm bzw. annimmt.

Mit der Verabschiedung des in Israel als “ Nationalstaatsgesetz“ bezeichneten Gesetzes durch die Knesset im Juli 2018 hat Israel deutlich gemacht, dass es eine Apartheidpolitik betreibt. Ein kritischer Punkt aus dem ESCWA UN-Bericht über Apartheid ist die Trennung zwischen nationalen Rechten und Bürgerrechten, wie sie in Artikel 1b des Gesetzes festgelegt ist. In der Tat kann das Wort Apartheid (Afrikaans) mit Segregation auf Englisch und Deutsch oder mit „Hafrada“ auf Hebräisch übersetzt werden. Israelische Politiker verwenden das Wort „Hafrada“ seit Jahrzehnten unumwunden, um ihre Politik zu beschreiben, sie sind sich durchaus bewusst, dass dies eine Form der Apartheid darstellt. Der Titel des Buches von Dan Scheuftan „Die Notwendigkeit der Trennung“, das zu permanenter Apartheid aufruft, wurde von Premierminister Ariel Sharon geschätzt.

Alle Bilder in diesem Bericht stammen von Visualizing Palestine, 2021, und werden hier mit Genehmigung präsentiert.

Der Bericht von Human Rights Watch befasst sich eingehend mit dem „Nationalstaatsgesetz“. In seiner Analyse in Mondoweiss argumentiert Phillip Weiss, dass dieses Gesetz Human Rights Watch keine Ausreden mehr erlaubt, das Thema Apartheid zu umgehen. Weiss merkt an, dass der Bericht besonders schockierend für liberale Zionisten ist, die zwar gegen die Besatzung sind, aber glauben, dass der Staat Israel eine Demokratie europäischen Stils werden wird, wenn die Besatzung endet. Weiss weist zum Beispiel darauf hin, dass die US-amerikanische liberal-zionistische Lobby-Organisation J-Street den Bericht von Human Rights Watchunterstützt, aber Probleme hat, das Wort Apartheid zu akzeptieren.

Der Bericht von Human Rights Watch endet mit einem langen und ausführlichen Brief an den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, in dem er um eine Antwort und Stellungnahme gebeten wird. Von den israelischen Behörden kam – nicht unerwartet – keine Antwort. Das US-Außenministerium veröffentlichte eine kurze Ablehnung des Berichts, ohne den Grund dafür zu erläutern.

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Eine neue Folge des Podcasts BIP-Gespräch ist da. Diese Woche sprechen wir mit Alia Nofal von Palästina Spricht.

Am 11. Mai laden wir Sie ein zu einem Online-Gespräch mit Ilana Hammerman unter dem Titel: „Checkpoints, Sperranlagen, Siedler – Reisen durch ein besetztes Land“. Anmeldung und Zoom-Kontakt finden Sie hier.

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BIP-Aktuell berichtet an dieser Stelle regelmäßig über Menschenrechtsverstöße im besetzten Palästina

1. Ältere palästinensische Frau von israelischer Armee bei angeblichem Messerangriff erschossen
Das Palestinian Center for Human Rights (PCHR)https://www.pchrgaza.org/en/ berichtet am 3. Mai:
„Am Sonntagabend, den 02. Mai 2021, erlag eine ältere palästinensische Frau ihren schweren Verletzungen, nachdem die Soldaten direkt das Feuer auf sie eröffneten.
Nach den Ermittlungen von PCHR trug die Frau, die mit einer schwarzen Abaya bekleidet war und eine medizinische Maske trug, gegen 11:00 Uhr am Sonntag, den 02. Mai 2021, eine Tasche, während sie auf dem Bürgersteig der „Gush Etzion“-Kreuzung ging. Sie näherte sich langsam und zögernd zwei israelischen Soldaten, die vier Meter von ihr entfernt waren, mit einem Messer in ihrer Hand. Die zwei Soldaten schrien sie kurz auf Hebräisch an, bevor sie direkt auf sie schossen. Sie fiel zu Boden und wurde von den Soldaten in kritischem Zustand in das Jerusalemer Shaare Zedek Medical Center gebracht. Um ca. 20:00 Uhr wurde sie für tot erklärt und als Rehab Mohammed Mousa Za’oul (60) aus dem Dorf Husan, westlich von Bethlehem, identifiziert.

Nach dem Vorfall verbreiteten sich viele Aufnahmen in den sozialen Medien, die dokumentieren, wie die Soldaten auf Za’ouls Unterkörper schoss und wie Za’oul sich zögerlich und langsam näherte und keine unmittelbare Bedrohung oder Gefahr für das Leben der Soldaten darstellte, die einige Meter von ihr entfernt waren. Die Aufnahmen zeigten, dass sie auch ohne tödliche Gewalt hätte festgenommen und kontrolliert werden können.

Der Vorfall ist Teil der „Shoot-to-kill“-Politik der israelischen Armee, die tödliche Gewalt gegen Verdächtige an Kontrollpunkten und in der Nähe von Gebieten einsetzt, in denen die Armee normalerweise stationiert ist, insbesondere an der Gush Etzion-Kreuzung, wo es immer wieder zu palästinensischen Todesfällen kommt. Za’oul ist die dritte Person, die an dieser Kreuzung unter ähnlichen Umständen getötet wurde. Insgesamt sind es laut der Dokumentation von PCHR bislang acht Palästinenser, die seit Anfang des Jahres getötet wurden.
 (https://www.pchrgaza.org/en/third-murder-at-gush-etzion-junction-in-2021-elderly-palestinian-woman-shot-dead-by-iof-in-alleged-stab-attack/)

2. Die israelische Polizei hat eine neue Undercover-Einheit („Mista’aravim“) gegründet.
Die neue israelische Undercover-Einheit („Mista’aravim“) nahm verdeckt am Protest palästinensischer Bürger in Umm al-Fahm am 26. Februar 2021 teil und verhaftete anschließend etliche Palästinenser (s. Video). https://www.youtube.com/watch?v=M8FvRm-7LS4
Das Legal Center for Arab Minority Rights in Israel Adalah schreibt in einem Brief vom 7. April an die israelischen Behörden, man habe kein Vertrauen in die Behauptungen der Polizei, dass der einzige Zweck dieser neuen Einheit die Verbrechensbekämpfung sei. „Keine Demokratie der Welt würde die Einrichtung einer Polizeieinheit genehmigen, die sich gegen eine bestimmte ethnische Gruppe richtet. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Prinzipien der Gleichheit.“
https://www.adalah.org/en/content/view/10289

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever.
V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

7 Kommentare

  1. Der Staat Israel hat gar nichts aus dem Holocoust gelernt!!
    Nicht alle Israelis sind mit Solchem Verfahren einverstanden!!
    Hoffentlich werden diese schnell zur Mehrheit!!

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