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Der Staat Israel setzt seinen Anspruch auf das gesamte Westjordanland um, indem er in diesem seit 50 Jahren militärisch besetzten Gebiet Siedlungen für seine Staatsbürger baut. Was für die große Mehrheit der Israelis legitime Landnahme in „Judäa und Samaria“ bedeutet, gilt im Rest der Welt als völkerrechtswidriger Landraub. Der Erfolg des Siedlungsprojektes hängt von der Sicherheit der dort angesiedelten Menschen ab. Der fortgesetzte Siedlungsbau benötigt daher permanenten Einsatz des Militärs und den Ausbau einer gigantischen Sperranlage gegen die nichtjüdische Bevölkerung.

Dass diese Politik auch die Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft, die etwa 20% der israelischen Bevölkerung ausmachen, betrifft, wird aus dem unten angeführten Urteil des Obersten Gerichtshofes deutlich.


Der Bau der Sperranlage

Im Jahr 2002 beschloss das israelische Kabinett unter Ariel Sharon, eine „Sicherheitsmauer“ zu bauen. Die Pläne standen schnell fest: Die Mauer sollte nicht entlang der Waffenstillstandslinie von 1949, der sogenannten „Green Line“ erbaut werden, sondern auf palästinensischem Gebiet inklusive Ostjerusalem. Nach Anrufung durch die Vereinten Nationen beschied der Internationale Gerichtshof in Den Haag 2004 ein Rechtsgutachten mit 14 gegen eine Stimme des US-amerikanischen Mitglieds: Der Verlauf der Mauer verstoße gegen Israels Verpflichtungen gegenüber dem Völkerrecht.

In der Tat hat aber Israel seitdem systematisch die Sperranlage auf palästinensischem Gebiet gebaut. Die Green Line ist 320 km lang, der Mauerverlauf – von Israel aus gesehen jenseits der Green Line – war aber bereits 2011 708 km lang. Nach gesamter Fertigstellung werden sich 85% der Mauer innerhalb des Westjordanlandes inklusive Ostjerusalem befinden. Das Gebiet in der sogenannten ‘Saumzone’, der Zone zwischen der Mauer und der Green Line, umfasst 71 der 150 Siedlungen und mehr als 85 Prozent der gesamten Siedlerbevölkerung einschließlich Ostjerusalem.


Verlauf der Mauer (Quelle: Wikipedia)
Verlauf des Unrechts (Quelle: VisualizingPalestine)

 


Besiedlung = Landraub

Ein Aspekt dieses Landraubs ist die Schwierigkeit für palästinensische Bauern, ihr Land in der Saumzone zu betreten. Sie sind abhängig von Erlaubnisscheinen (permits), die von israelischen Behörden oft nur unter großen Schwierigkeiten oder gar nicht ausgestellt werden. Nur durch besondere Tore und zu genau festgelegten Zeiten können sie ihr Land betreten und müssen es abends auf ebenso reglementierte Weise wieder verlassen.

Diese Politik bedroht ernsthaft die Landwirtschaft in der gesamten Westbank. Die UN stellten bereits 2011 fest und vertieften ihre Einsicht 2017: „Die Einbeziehung der israelischen Siedlungen zusammen mit dem geplanten Verlauf der Sperranlage stellen den wesentlichen Grund für die Zerteilung des Westjordanlands dar“. (Quelle: ochaopt)


Qalqilya – Sicherheit ad absurdum

Ein Beispiel des Verlaufes der Mauer zeigt die Karte des Qalqilya-Distrikts, in dem erst ca. 60% der Sperrmauer fertig gebaut ist. Qalqilya ist nahezu vollständig von der Mauer eingeschlossen. Die rote Linie markiert den bereits fertiggestellten Teil, die schwarz-weiß gestrichelte Linie den geplanten Bau, genannt „Quedumim-Finger“, in dem die jüdische Siedlung Alfe Menashe ausgebaut werden soll und der 16 km weiter östlich in die Westbank einschneidet. Die grünen Kreuze sind die landwirtschaftlichen Tore, die dunkelroten Flächen stellen die israelischen Siedlungen dar.


Landraub mit gesetzlicher Grundlage … 

200 Jahre lang war Palästina Teil des Osmanischen Reichs. Noch vor Ende des Ersten Weltkrieges, als Frankreich und England 1917 den Nahen Osten unter sich aufteilten, wurden die osmanischen Gesetze nicht aufgehoben, vielmehr wurden sie sowohl von der britischen Mandatsregierung als auch von der jordanischen bis zur israelischen Eroberung der Westbank 1967 aufrecht erhalten. Der israelische Menschenrechtsaktivist Dror Etges beschreibt das alte osmanische Absentee’s Property Law („Gesetz über Besitz von Abwesenden“) so: „Im Osmanischen Reich unterlag das meiste Ackerland einer Agrarsteuer, die mit einem Teil der Ernte zu bezahlen war. Wenn das Land brach lag, gab es keine Ernte und mithin wurde auch die Steuer nicht bezahlt. Falls dies drei Jahre hintereinander geschah, konnte der osmanische Staat den Bauern das Land wegnehmen – in der Regel, um es anderen Bauern zu geben, damit diese es bearbeiten und die Agrarsteuer zahlen.“

Im Friedensabkommen zwischen Israel und Jordanien aus dem Jahr 1994 wurde festgelegt, dass alle Palästinenser, die im Jahr 1967 in ein „feindliches Land“ („Arab or Enemy Countries“) geflohen waren, als „Abwesende“ nach dem Absentee Property Law ihren Rechtsanspruch auf ihr Land verwirkt haben. Dies betrifft 70% des Westjordanlandes. Dieses Land ist – nach israelischem Recht legal – zu Staatsland mutiert. Weiteres Land wird fortlaufend brachgelegt, indem zum Beispiel die israelische Armee den Bauernfamilien „aus Sicherheitsgründen“ verbietet, ihr Land zu betreten, und dieses Verbot auch durchsetzt. Dann kann das Land nach einigen Jahren zu Staatsland erklärt werden“. Nach internationalem Recht soll der Vermögensverwalter die Interessen des Eigentümers wahren, insbesondere ist es ihm untersagt, das Land zu vermieten oder zu verkaufen. Die israelische Regierung hingegen lässt solches Land in das Eigentum von Siedlern übergehen, wenn diese das erste Mal Steuern für „ihr“ Land bezahlt haben.


… und vom Obersten Gerichtshof legalisiert

Am 7. Juli 2016 berichtete das israelische Nachrichtenmagazin +972: „Israels Oberster Gerichtshof fällte in dieser Woche eine bedeutende Entscheidung: Ein Präzedenzfall, der es dem Staat erlaubt, in Zukunft palästinensisches Land, insbesondere innerhalb Israels, zu enteignen.“ Der Gerichtshof habe eine fünf Jahre alte Klage der Beduinenfamilie Al Uqbi auf Anerkennung ihres Eigentums an einem großen Stück Land im Negev zurückgewiesen. Nur noch einmal zum Verständnis: Hier handelt es sich um Landraub innerhalb des Kerngebietes des Staates Israel, auf dem bisher Beduinen lebten, die die israelische Staatsbürgerschaft besaßen. Werden sie also auf Grund ihrer Ethnie, ihrer Religion, ihres Nicht-Jüdischseins ihres Landes beraubt? Oder tatsächlich aufgrund eines israelischen Gesetzes?

Gemäß Michael Sfard, Rechtsanwalt der Familie Al Uqbi, spielte es für die Urteilsfindung keine Rolle, dass die Familie seit Jahrhunderten auf diesem Boden lebte. Man könne nur dann, so das Gericht, Eigentum an Grund und Boden für sich reklamieren, wenn es dort Steinhäuser gäbe und schriftliche Dokumente über die Besitzverhältnisse existierten. Beduinen leben aber traditioneller Weise in Zelten, und ihr Besitz geht durch mündliche Absprachen von einer Hand  in die andere. Der Sonderbeauftragte des UN-Menschenrechtsrats beschreibt in einem Bericht von 2011 (S. 24-31), wie Beduinen seit dem 7. Jahrhundert diese Gegend, bekannt als Negev-Wüste, bewohnt haben und sich Jahrhunderte lang ihren Lebensunterhalt als Halbnomaden durch Ackerbau und Viehzucht verdient hätten. Er machte Vorschläge und stellte Forderungen an die israelische Regierung, basierend auf Völkerrecht und UN-Deklarationen zu indigenen Bevölkerungen. Die Antwort der israelischen Regierung: Beduinen seien keine einheimische Bevölkerung.


Zum Lesen und schauen

Wenn Sie tiefere Einblicke in das Thema von Landnahme, Landraub und Kolonisierung gewinnen möchten, empfehlen wir einen eindrücklichen Bericht von Dror Etkes auf der israelischen Website der Rosa-Lumxemburg-Stiftung: Von dem andauernden Prozess der Enteignung palästinensischen Landes zugunsten israelischer Siedler*innen.

Wer eher der Macht der Bilder vertraut, dem seien diese Videos empfohlen:
Knapp 2-minütige Animation zum Mauerverlauf
Kurzinterview mit dem Leiter des Separation Barrier Projects (Ausschnitt aus THE WALL)
25-minütiges Video mit Schwerpunkt Mauer von Aljazeera
Für einen Beitrag von 1,49 € kann man sich die komplette, sehr sehenswerte Dokumentation des holländisch-israelischen Filmemachers Benny Brunner THE WALL auf docsonline.tv ansehen.

2 Kommentare

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