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Offener Brief an die EKD, um ihre Ohren für Menschenrechte zu öffnen
Zusammenfassung: Die Erklärung des Rates der EKD vom 29.2.2020 über die BDS-Bewegung lässt daran zweifeln, ob die EKD noch zwischen Menschenrechtsaktivisten und Antisemiten unterscheiden kann und möchte. Auf unseren Brief vom 17.3.2020 an den Rat der EKD bekamen wir bisher keine Antwort. Wir dokumentieren den Brief hier.


Foto: Erzbischof Desmund Tutu ist Friedensnobelpreisträger. Er unterstützt BDS und schrieb 2015 für Kairos Palästina an den Deutschen Evangelischen Kirchentag. Sein Brief wurde ignoriert. Quelle: Wikipedia

Ende Februar veröffentlichte der Rat der EKD eine Stellungnahme zur BDS-Bewegung (Boykott, Abzug von Investitionen, Sanktionen gegen Israel).

Wir haben Kenntnis von einigen kritischen Stellungnahmen zu diesem EKD-Papier, u. a. von einer Erwiderung des deutschen Kairos-Palästina-Solidaritätsnetz.

Unser Vorstandsmitglied Dr. Götz Schindler schrieb am 17. März im Namen von BIP einen Brief an den Rat der EKD. Da wir bisher keine Antwort erhalten haben, veröffentlichen wir den Brief im Folgenden:

*************************************************************************
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V. unterstützt selbst nicht die BDS-Bewegung, hält sie jedoch für legitim. Darum erlauben wir uns einige kritische Anmerkungen.

Es ist befremdlich, dass der Rat der EKD mit keinem Wort auf die Kairos-Erklärung „Die Stunde der Wahrheit“ (2009) eingeht.
https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/other-ecumenical-bodies/kairos-palestine-document

Die palästinensischen Christen und Christinnen rufen mit ihrem „Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens (!) der Palästinenser und Palästinenserinnen“ drei Mal zu Boykottmaßnahmen auf (4-2-6; 6-3; 7-1). Es widerspricht ökumenischer Grundhaltung, dass der Rat der EKD diesen Hilfeschrei palästinensischer Christen und Christinnen schweigend übergeht. Während die Kairos-Palästina-Erklärung in ökumenischer Methodik (Sehen – Urteilen – Handeln) von der Realität der Besatzung und ihren Auswirkungen ausgeht, setzt die Stellungnahme der EKD leider wieder einmal mehr mit der üblichen theologischen Abstraktion eines besonderen Verhältnisses zwischen Deutschland und dem „jüdischen“ Staat Israel ein, wobei sie geflissentlich übersieht, dass die Palästinenser in Israel (immerhin ca. 20% der Bevölkerung) als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Das Nationalitätsgesetz vom Juli 2018 ist der EKD keine Erwähnung wert.

Die EKD-Stellungnahme hat die Vernichtung der Juden durch die Nazi-Verbrechen im Blick, erwähnt jedoch die gegenwärtigen Leiden der Palästinenser mit keinem Wort. Auch wenn die israelische Besatzungs-, Enteignungs- und Vertreibungspolitik mit den Naziverbrechen nicht vergleichbar ist, so ist die prekäre menschenrechtliche, politische und ökonomische Situation der Palästinenser ein Faktum, dem sich der Rat der EKD stellen müsste, ehe er sich ein Urteil über die BDS-Bewegung anmaßt. Zur Grundhaltung dieser Stellungnahme passt, dass die Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten nur floskelhaft, quasi als Anhängsel Israels, erscheinen.

Es ist bezeichnend, dass die EKD in offenkundigem Widerspruch zur israelischen Politik gemeinsam mit der Bundesregierung deklaratorisch am Ziel einer Zweistaatenlösung festhält, zugleich jedoch Palästina die Staatlichkeit abspricht und nur vom „palästinensischen Volk“ (1; s. unten, Anm. *) oder von den „Rechte(n) der Palästinenser“ (2) spricht, obwohl die UN-Vollversammlung am 29.11.2012 mit 138 gegen neun Stimmen Palästina als Staat anerkannt und ihm den Status eines Beobachterstaates gegeben hat. Die EKD übernimmt unbesehen die widersprüchliche Politik der Bundesregierung. Beide behaupten, das Völkerrecht zu achten, jedoch missachten sie es, wenn es um die Situation in Israel und Palästina geht.

Die Stellungnahme behauptet zwar, Maßstab für den Rat der EKD sei „die Einhaltung der Standards der Menschenrechte und des Völkerrechts“ (1). Dem widerspricht jedoch in den weiteren Ausführungen, dass „die besondere historische Verantwortung Deutschlands“ maßgeblich sei (3). Damit werden Menschenrechte und Völkerrecht der Palästinenser zu einer quantité négligeable. Der Rat der EKD macht sich hiermit faktisch die Auffassung der deutschen Bundesregierung zu eigen, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson, ohne dass zur Kenntnis genommen wird, dass die Priorisierung der israelischen Sicherheitsinteressen die Missachtung der Menschenrechte und des Völkerrechts zur Folge haben.

Zu einem weiteren Widerspruch zu Ungunsten der Palästinenser führt es, wenn die Stellungnahme einen „respektvollen Umgang mit anderen Auffassungen und Meinungen“ fordert (8), der Boykottbewegung jedoch pauschal unterstellt, in Teilen subjektiv und in ihrem Ziel objektiv antisemitisch zu sein (2). Zwar wird die BDS-Bewegung im Vorwort als „vielfältig und zum Teil gegensätzlich“ bezeichnet, jedoch lässt die Stellungnahme selbst jegliche Differenzierung vermissen.

Die Nahostkommission von Pax Christi und die Solidarische Kirche im Rheinland unterstützen einen Boykott von Waren aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen, weil Israel sich weigert, diese Produkte entsprechend zu kennzeichnen. Gemäß dem EU-Assoziierungsabkommen mit Israel haben der Europäische Gerichtshof (2010), der Bundesfinanzhof (2013), die EU-Kommission (11.11.2015) und erneut der Europäische Gerichtshof (14.11.2019) eine Kennzeichnung von Waren aus den Siedlungen gefordert. Die Antwort der israelischen Regierung war jedes Mal, dass diese Forderung der EU antisemitisch sei (was Israel jedoch nicht daran hinderte, EU-Fördermittel wie etwa Horizon 2020 in Anspruch zu nehmen).

Die Stellungnahme der EKD tut auch so, als würde „die“ BDS-Bewegung insgesamt zu einem akademischen und kulturellen Boykott aufrufen (Vorwort). Das ist unehrlich, denn bekanntlich gibt es BDS-Gruppen, die einen solchen Boykott ablehnen.

Die BDS-Bewegung fordert unseres Wissens nicht, dass sich die EKD an Projekten der BDS-Kampagne beteiligt (2), wie das etliche angelsächsische Kirchen tun, unter anderem die United Church of Christ, die Partnerkirche der unierten EKD-Kirchen ist. Es ist allerdings trotz der Bundestagsresolution vom 17.5.2019 von der EKD zu fordern, dass sie die durch die EU-Menschenrechtscharta garantierte Meinungsfreiheit verteidigt, wie es die damalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vor dem EU-Parlament tat.
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-8-2016-005122-ASW_EN.html

Höchst fragwürdig ist es, dass sich die Stellungnahme des Rates die Argumentation der Bundestagsresolution vom 17.5.2019 zu eigen macht, die BDS-Bewegung erinnere an den Nazi-Aufruf „Kauft nicht bei Juden!“ (2). Die Nazis raubten den Juden in Deutschland die ökonomische Existenz, ehe sie dazu übergingen, sie auch physisch zu vernichten. Dagegen ist die BDS-Bewegung darauf gerichtet, den Menschenrechten der Palästinenser Geltung zu verschaffen. Wer die gewaltfreie BDS-Bewegung mit den Schlägertypen der SA gleichsetzt, wirft Gandhi und Mandela mit Hitler in eins.

Die EKD-Stellungnahme verdreht die Fakten, wenn sie behauptet (6): „Durch Boykottaufrufe gegen Firmen, Veranstalter und Organisationen werden bisweilen die Meinungs-, Kunst- oder die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt.“ Es ist genau umgekehrt: Veranstaltungen, die sich kritisch mit Israels Besatzungspolitik auseinandersetzen, wurden auf Betreiben israelfreundlicher Organisationen verboten oder sollten verboten werden, so in München, Frankfurt, Berlin, Bremen, Göttingen, Mannheim, Koblenz, Bonn usw. Es gibt eine Liste von mehr als 100 Veranstaltungen die aufgrund von Interventionen verboten wurden: https://www.palaestina-portal.eu/Anlagen/AT.pdf. Auch die ökumenische Zeitschrift Publik Forum hat darüber berichtet.

Zu ergänzen ist, dass palästinensischen ReferentInnen mehrfach von israelischen Behörden die Ausreise oder von deutschen Behörden die Einreise verweigert wurde. Die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die auf Versöhnung zwischen Juden und Palästinensern ausgerichtete Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. wurde 2019 in Göttingen von den Spitzen der Stadt, der Universität und der Sparkasse boykottiert, der britisch-pakistanischen Schriftstellerin Kamila Shamsie wurde 2019 die Verleihung des Nelly-Sachs-Preises in Dortmund verweigert usw. Ulrich Duchrow, Ehrenmitglied des Deutschen Ev. Kirchentags, und Farid Esack, Südafrika, erhielten 2019 von einem Tag zum andern Redeverbot auf dem Kirchentag in Dortmund.

Die Stellungnahme der EKD übersieht, dass zahlreiche jüdische Organisationen in Israel und in der Diaspora vehement die israelische Politik kritisieren, zum Teil BDS unterstützen und dafür als Antisemiten diffamiert werden, so die Satmarer Chassidim (USA) und Neturej Karta (Israel), Peace Now (Israel), Boycott from Within, Jewish Voice for Peace (USA), Jews for Justice for Palestinians (UK), L’Union juive française pour la paix (FR), Jüdische Stimme für gerechten Frieden (DE) usw.

In äußerst fragwürdiger Weise macht die EKD die BDS-Bewegung haftbar für eine Zunahme des Antisemitismus in Deutschland (3, Abs.2). Der frühere israelische Botschafter Avi Primor hat zutreffend gesagt: „Nicht der Antisemitismus nimmt zu, die Sympathie für Israel nimmt ab.“ Warum? Weil Israels Politik immer rassistischer wird. Nach der Verabschiedung des rassistischen Nationalitätsgesetzes vom Juli 2018 schrieb Daniel Barenboim in der ZEIT: „Ich schäme mich, Israeli zu sein.“
https://www.zeit.de/autoren/B/Daniel_Barenboim/index.xml

Die EKD spricht sich für eine Diskussion ohne „Tabuisierung und Skandalisierung“ aus (5). Aber es sind gerade die pro-israelischen Unterstützergruppen, die statt einer offenen Diskussion versuchen, bei Veranstaltern Raumverbote zu erwirken (s. oben). Nicht BDS-Vertreter üben „Druck auf staatliche und nichtstaatliche Institutionen, Veranstalter“ aus (6), es ist genau umgekehrt. In letzter Zeit mussten mehrfach Gerichte dafür sorgen, dass Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen stattfinden konnten (Frankfurt, Oldenburg, München, Bonn, Mannheim).

Die Bundestagsresolution vom 17.5.2019 scheint zwar jene zu bestätigen, die Veranstaltungen zum Thema Israel und BDS als antisemitisch diffamieren. Dem stehen jedoch die Beschwerden von fünf UN-Sonderberichterstattern gegenüber, die in dieser Resolution eine Verletzung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit sehen.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/vereinte-nationen-uno-ruegt-antisemitismus-beschluss-des-bundestags-a-1293375.html

Pro-israelische Gruppen sitzen häufig mit dem israelischen Ministerium für Strategische Angelegenheiten in einem Boot, das die internationale Kampagne gegen BDS leitet. Es zahlt für Anti-BDS-Propaganda in den wichtigsten Nachrichtenagenturen, es kauft Platz in israelischen Mainstream-Zeitungen, um unter dem Deckmantel veröffentlichter Artikel für seine Botschaften zu werben.
https://www.972mag.com/anti-bds-propaganda-ministry-media/

Der Rat der EKD macht sich die umstrittene IHRA-Definition (5) und die fragwürdige 3-D-Methode des früheren israelischen Ministers Natan Scharanski (6) zu eigen (5). Die BDS-Bewegung bezieht sich in ihrer Grundsatzerklärung von 2005 auf UN-Resolutionen. Wenn die EKD-Erklärung es ernst meint mit den Menschenrechten und dem Völkerrecht, müsste sie diese auch in (7) und (8) einbringen. Stattdessen verschleiert sie mit ihrer Dialog-Rhetorik mehr, als dass sie zur Klärung beiträgt.

Solange das asymmetrische Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten nicht nur fortbesteht, sondern durch einseitige israelische Maßnahmen immer mehr verstärkt wird, ist es kaum hilfreich, von den Besetzten gleichermaßen Dialog und Verständigungsbereitschaft zu fordern wie von den Besatzern (7, 8). Christliche Aufgabe wäre es in der Tat, dies vorzuleben. Jedoch wurden durch mehrere Faktoren, vorrangig durch Israels Politik, die christlichen Palästinenser in den letzten Jahren mehr und mehr aus Palästina vertrieben.

Würde sich die israelische Politik an den Menschenrechten und am Völkerrecht orientieren, würden die EU, die Bundesregierung, aber auch die EKD nicht nur abstrakt, sondern konkret für die Menschenrechte der Palästinenser und für das Völkerrecht Palästinas eintreten, dann könnte die Zivilgesellschaft auf den Aufruf zu BDS verzichten. Es besteht die berechtigte Sorge, dass sich die EKD in ihrem Bemühen um Verständnis für die rechtsnationalistische israelische Politik immer weiter von den Maßstäben der Menschenrechte und vom Völkerrecht entfernt.

Insgesamt bleibt diese EKD-Erklärung intellektuell, moralisch und theologisch unter den Möglichkeiten, welche die EKD zweifellos hätte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Götz Schindler
Für den Vorstand des Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V.

* Anmerkung: * „(1)“ bezieht sich auf Absatz (1) der EKD-Stellungnahme; entsprechend auch die weiteren folgenden Ziffern in Klammern.

Ein Kommentar

  1. Wer evangelischer Christ sein möchte, der sollte aus der evangelischen Kirche austreten, wenn er nicht, wie ich, schon ausgetreten ist. Die Kirche ist eine Organisation von Funktionären, die Lehren von Jesus nicht mehr ernst nimmt.

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