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Vortrag von Prof. Dr. Ninon Colneric bei der KoPI-Konferenz

  1. Deutschland, Israel und das Völkerrecht
  2. Bemerkenswert
  3. Apartheid gesetzlich verankern: Wie Israel während des Gaza-Kriegs ungleiche Herrschaft festigte

Am 5. und 6. Dezember fand eine von KoPI (Deutscher Koordinierungskreis Palästina Israel) organisierte Konferenz mit dem Titel „Deutschlands Verantwortung für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel” statt. BIP-Vorstandsmitglied Prof. Dr. jur. Ninon Colneric hielt auf dieser Konferenz einen Vortrag. Nachfolgend finden Sie den vollständigen Text ihres Vortrags.

Einleitung
Vor einiger Zeit zeigte mir der chinesische Maler Qin Chong in seinem Pekinger Atelier eine Installation, die er geschaffen hatte. Sie besteht aus Fotos von der Gründungsversammlung der Vereinten Nationen und Fahnen für drinnen und draußen, die die Flaggen der Gründungsmitgliedstaaten zeigen. Aber die Flaggen haben ihre Farbe verloren. Qin Chong nannte die Installation „United Nations Black and White“. Er erklärte mir, er wolle mit diesem Werk veranschaulichen, dass die großen Hoffnungen, die in die Vereinten Nationen gesetzt worden waren, verblichen sind.

Die Charta der Vereinten Nationen nennt in ihrer Präambel an erster Stelle das Ziel, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“. Und wo stehen wir jetzt? In der Präambel wird auch erklärt, dass man Bedingungen schaffen wolle, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können. Der Respekt vor dem Völkerrecht hat jedoch so stark abgenommen, dass sich junge Menschen fragen, ob es überhaupt Sinn macht, sich mit diesem Rechtsgebiet zu beschäftigen. Umso mehr freut es mich, dass Sie mir heute Gelegenheit geben, im Zusammenhang mit Deutschland und Israel über das Völkerrecht zu sprechen.

Strafanzeigen gegen Bundeskanzler Friedrich Merz
Ich möchte mit der Charta der Vereinten Nationen beginnen, die die ranghöchste vertragliche Rechtsquelle des Völkerrechts ist.

Es heißt in Art. 2 Nr. 4 der Charta: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung und Anwendung von Gewalt.“ Art. 51 der Charta stellt klar, dass die Charta im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen nicht das „naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ beeinträchtigt, aber nur, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“.

In Deutschland wird das Gewaltverbot der UN-Charta durch Normen des Völkerstrafrechts abgesichert. Artikel 13 des Völkerstrafgesetzbuchs behandelt das Verbrechen der Aggression. Wer einen Angriffskrieg führt oder eine sonstige Angriffshandlung begeht, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Im Strafgesetzbuch finden sich Normen, die hieran anknüpfen. Strafbar ist danach zum einen das Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression (§ 80a StGB) und zum anderen die Billigung des Verbrechens der Aggression (§ 140 Nr. 2 iVm § 138 Abs. 1 Nr. 5 letzte Alternative StGB), wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Bei dem am 13.6.2025 begonnenen Angriff Israels auf den Iran handelt es sich um einen Angriffskrieg im Sinne des Völkerrechts. Dies ist die fast einhellige Meinung der Völkerrechtsexperten.

Friedrich Merz erklärte jedoch am 17.6.2025 in einem ZDFheute-Interview zu diesem Angriff: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht, für uns alle.“


Bundeskanzler Friedrich Merz traf sich am 7. Dezember in Israel mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Quelle: 2025, Jugendinfo, Instagram.



Der Schauspieler Dieter Hallervorden hat deshalb gemeinsam mit dem früheren Koordinator im Bundeskanzleramt Albrecht Müller, dem langjährigen UN-Diplomaten Michael von der Schulenburg sowie weiteren Künstlern, Journalisten und Politikern Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen Bundeskanzler Friedrich Merz eingereicht. Ihr Vorwurf lautete, dass es sich um ein Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression handele.

Mir erscheint es erfolgversprechender, einen Gang herunterzuschalten. Mit vier Kollegen habe ich deshalb Strafanzeige gegen Friedrich Merz wegen Billigung des Verbrechens eines Angriffskrieges gestellt.

Allerdings ist Merz auch Bundestagsabgeordneter. Gemäß Art. 46 Abs. 2 GG darf ein Abgeordneter wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, dass er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Die Durchführung von Ermittlungsverfahren ist jedoch grundsätzlich durch die generelle Genehmigung in Gestalt des „Beschlusses des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages“ (Anlage 5 zur GO-BT) gestattet. Und auf jeden Fall endet die Immunität mit dem Ende des Mandats.

Klagen gegen Israel und Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof
Von demselben Geist wie die UN-Charta getragen ist die Völkermordkonvention, die 1948 vereinbart wurde. Sie wurde auch von Israel und Deutschland ratifiziert. Nach Art. III der Völkermordkonvention sind nicht nur der Völkermord selbst, sondern auch die unmittelbare und öffentliche Anreizung zur Begehung von Völkermord, der Versuch, Völkermord zu begehen, und die Teilnahme am Völkermord zu bestrafen.

Am 29.12.2023 erhob Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof Klage gegen Israel. Es ging um den Vorwurf, dass Israel gegen die Völkermordkonvention verstoße. In einer Eilentscheidung vom 26.1.2024 befand der Internationale Gerichtshof, dass die Palästinenser in Gaza ein plausibles Recht haben, gegen Völkermord geschützt zu werden, und dass die reale und unmittelbare Gefahr eines irreparablen Schadens für dieses Recht bestehe.

Die herrschende Meinung unter Experten ist inzwischen, dass Israels Handlungen in Gaza die Voraussetzungen für einen Völkermord im Sinne der Völkermord-Konvention erfüllen. Aus jüngerer Zeit seien hier nur die Resolution der International Association of Genocide Scholars vom 28.8.2025 und das Rechtsgutachten der vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten unabhängigen Untersuchungskommission vom 16.9.2025 genannt.

Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs über diese Frage wird im günstigsten Fall in der zweiten Hälfte 2026 ergehen. Der Schriftsatz, mit dem Südafrika seine Klage begründet hat, umfasst über 750 Seiten Text sowie Anlagen im Umfang von über 4.000 Seiten. Israel ist zur Erwiderung eine Frist bis zum 26. März 2026 gesetzt worden. Wenn der Gerichtshof es für erforderlich hält, wird es dann noch eine Runde mit Repliken geben. An das schriftliche Verfahren wird sich die mündliche Verhandlung anschließen.

Auch Deutschland ist vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt. Am 1.3.2024 leitete Nicaragua gegen Deutschland ein Verfahren vor diesem Gerichtshof ein. Nicaragua erhob den Verwurf, dass Deutschland gegen internationale Verpflichtungen, die ihm hinsichtlich des besetzten palästinensischen Gebietes obliegen, verstoßen habe. Es stützte seinen Klageantrag hauptsächlich auf die Völkermordkonvention, die IV. Genfer Konvention, die den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten betrifft, und allgemeine Prinzipien des humanitären Völkerrechts. Gleichzeitig beantragte es Eilmaßnahmen zum Schutz der Rechte, deren Verletzung es geltend machte.

Soweit es dabei um Waffenlieferungen an Israel ging, trug Deutschland zu seiner Verteidigung insbesondere vor, dass solche Waffenlieferungen seit November 2023 sehr stark zurückgegangen seien. Der Internationale Gerichtshof wies den Antrag Nicaraguas auf Eilmaßnahmen am 30. April 2024 ab. Keinen Erfolg hatte aber auch der Antrag Deutschlands, das Verfahren vom Register zu streichen. Der Rechtsstreit ist also weiter beim Internationalen Gerichtshof anhängig.

Deutschland hatte zu seiner Verteidigung u.a. vorgetragen, dass es durch den Vertrag über den Waffenhandel vom 2. April 2013 gebunden sei. Die englische Bezeichnung für diesen Vertrag lautet „Arms Trade Treaty“, weshalb sich die Abkürzung ATT für diesen Vertrag eingebürgert hat.

Art. 7 ATT schreibt eine Bewertung vor. Zu bewerten ist u.a., ob die Waffen oder die zugehörigen Güter dazu verwendet werden könnten, eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts zu begehen oder zu erleichtern (Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii). Der ausführende Vertragsstaat prüft auch, ob es Maßnahmen gibt, die zur Minderung dieses Risikos ergriffen werden könnten, z.B. vertrauensbildende Maßnahmen (Abs. 2). Stellt der ausführende Vertragsstaat nach Vornahme dieser Bewertung und Prüfung der verfügbaren Maßnahmen der Risikominderung fest, dass ein überwiegendes Risiko besteht, so darf er die Ausfuhr nicht genehmigen (Abs. 3).

Zu beachten ist aber, dass es nach Art. 7 ATT nicht auf das objektive Vorliegen eines überwiegenden Risikos ankommt, sondern auf die Einschätzung des ausführenden Vertragsstaates. Insofern sind die Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention strikter (dazu Rn. 23 der Entscheidung des Internationalen Gerichtshof vom 30.4.2024).

Nicaragua wurde zur Begründung der Klage eine Frist bis zum 21.7.2025 gesetzt, Deutschland eine Frist zur Erwiderung bis zum 21.7.2026. Die Klagebegründung ist fristgemäß eingegangen. Deutschland hat dann jedoch Einwände gegen die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs und gegen die Zulässigkeit bestimmter in der Klagebegründung erhobener Ansprüche erhoben. Der Internationale Gerichtshof hat das Verfahren deshalb in der Hauptsache ausgesetzt und Nicaragua eine Frist bis zum 23. Februar 2026 gesetzt, um zu diesen Einreden Stellung zu nehmen.

In einem presserechtlichen Auskunftsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln (Beschluss vom 26.5.2025, 6 L 2205/24) ging es um die Frage, ob der Gesamtwert der 2023 erteilten Einzelgenehmigungen für den Export von Rüstungsgütern auch sog. Länderabgaben der Bundeswehr enthält. Länderabgaben sind Abgaben unmittelbar aus dem Bestand der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium (in diesem Verfahren die Antragsgegnerin) führte hierzu aus, dass Informationen zu Länderabgaben grundsätzlich vertraulich behandelt würden. In der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln hieß es hierzu: „Auch die in dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof getätigte Aussage, die einzigen Güter, die direkt von der deutschen Bundeswehr an Israel geliefert würden, seien Sanitätsmaterial und Helme, erfolgte nach Angaben der Antragsgegnerin im Einvernehmen mit dem Staat Israel.“ In der Presse wurde daraufhin die Frage aufgeworfen, ob die Aussage der Bundesrepublik Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof in dem Verfahren über Eilmaßnahmen vollständig gewesen sei.

Geheime Absprachen zwischen Israel und Deutschland über Waffenlieferungen haben Tradition. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern begannen mit einem Geheimabkommen über Waffenlieferungen, für das sich der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß eingesetzt hatte.

Zurück zur Gegenwart: Am 10. Oktober 2024 warf der damalige Oppositionsführer Friedrich Merz Bundeskanzler Scholz im Bundestag vor, Israel „Material und Munition“ zu verweigern. Daraufhin ergriff Scholz spontan das Mikrofon und erklärte: „Wir haben Waffen geliefert, und wir werden Waffen liefern.“ Von den Israelis hatte sich Scholz schriftlich zusichern lassen, dass alle aus Deutschland gelieferten Waffen oder sonstigen Rüstungsgüter oder solche, die Teile aus Deutschland enthalten, ausschließlich im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht verwendet werden. Recherchen der ZEIT zeigen, wie sehr sich die Ampel bemühte, Waffen an Israel zu liefern, ohne die Öffentlichkeit zu informieren.

Erst am 8.8.2025 verkündete Bundeskanzler Merz, dass die Bundesregierung bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können, genehmige. Schon am 17.11.2025 erklärte der Regierungssprecher Stefan Kornelius, dass die Bundesregierung diese Beschränkungen ab dem 24.11.2025 wieder aufhebe. Er begründete diesen Schritt unter anderem mit der seit dem 10. Oktober geltenden Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die sich „in den letzten Wochen stabilisiert“ habe. Außerdem nannte er die Bemühungen um einen dauerhaften Frieden und verstärkte humanitäre Hilfe im Gaza- Streifen. Die Bundesregierung werde bei den Rüstungsexporten nun „generell wieder zur Einzelfallprüfung zurückkehren und auf die weiteren Entwicklungen reagieren“.

Verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen die Waffenlieferungen an Israel
Wegen des zeitweiligen Exportstopps wies das Verwaltungsgericht Berlin die Klagen mehrerer Palästinenser mit dem Ziel, Waffenlieferungen an Israel zu unterbinden, als unzulässig zurück. Bereits im Oktober 2024 hatte ein Palästinenser beim Verwaltungsgericht Frankfurt Eilrechtsschutz beantragt. Er unterlag in erster und zweiter Instanz. Inzwischen hat er Verfassungsbeschwerde eingereicht. Er wendet sich gegen deutsche Exportgenehmigungen für Panzergetriebe der Firma Renk. Panzer, in denen diese Getriebe verbaut sind, werden in erheblichem Umfang in Gaza eingesetzt.

Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 19.7.2024 und die Resolution der UNO-Generalversammlung vom 13.9.2024
Am 19.7.2024 erstattete der Internationale Gerichtshof auf Antrag der UNO-Generalversammlung ein Gutachten zu den rechtlichen Konsequenzen, die sich aus den Politiken und dem Verhalten Israels im besetzten palästinensischen Gebiet einschließlich Jerusalem ergeben. In zeitlicher Hinsicht beschränkte sich der Gerichtshof darauf, das Verhalten Israels bis zu seiner Reaktion auf den Angriff der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen am 7.10.2023 zu untersuchen (Rn. 81).

Zentrale Pfeiler des Gutachtens sind das Verbot der gewaltsamen Aneignung von Gebieten und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes.

Ein großer Teil des Gutachtens ist der Analyse bestimmter Verhaltensweisen Israels im besetzten palästinensischen Gebiet gewidmet, die der Internationale Gerichtshof jeweils als völkerrechtswidrig einstuft. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Politiken und Praktiken Israels einer Annexion großer Teile des besetzten palästinensischen Gebiets gleichkommen (Rn. 173).

Ein eigenes Kapitel behandelt die Frage diskriminierender Rechtsvorschriften und Maßnahmen im besetzten palästinensischen Gebiet (Rn. 180 ff.). Der Gerichtshof konstatierte, dass das Regime umfassender Beschränkungen, das Israel den Palästinensern im besetzten palästinensischen Gebiet auferlegt, eine systematische Diskriminierung unter anderem aus Gründen der Rasse, der Religion oder der ethnischen Herkunft darstellt, die gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung verstößt (Rn. 223). Der Gerichtshof prüfte auch, ob ein Verstoß gegen Art. 3 des letztgenannten Übereinkommens vorliegt, die das Verbot von Segregation und Apartheid enthält. Er bejahte diese Frage, wobei er offenließ, welche der beiden Varianten – Segregation oder Apartheid – erfüllt ist.

Der Internationale Gerichtshof kam bezüglich des Staates Israel zu folgenden Ergebnissen (Rn. 285):

  • Die fortgesetzte Anwesenheit des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet ist rechtswidrig.
  • Der Staat Israel ist verpflichtet, seine rechtswidrige Anwesenheit im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden.
  • Der Staat Israel ist verpflichtet, alle neuen Siedlungsaktivitäten unverzüglich einzustellen und alle Siedler aus dem besetzten palästinensischen Gebiet zu evakuieren.
  • Der Staat Israel ist verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, der allen betroffenen natürlichen oder juristischen Personen im besetzten palästinensischen Gebiet entstanden ist.

In zwei Randziffern seines Gutachtens (Rn. 278 f.) führte der Internationale Gerichtshof genauer aus, welche Verpflichtungen den anderen Staaten obliegen. Der Gerichtshof erklärte insbesondere, dass die UNO-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in ihren Beziehungen zu Israel zwischen dem Gebiet des Staates Israel und dem seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiet zu unterscheiden. Die Pflicht umfasse u.a. die Verpflichtung,

  • in allen Fällen, in denen Israel vorgibt, im Namen des besetzten palästinensischen Gebiets oder eines Teils davon in Angelegenheiten, die das besetzte palästinensische Gebiet oder einen Teil seines Gebiets betreffen, zu handeln, auf vertragliche Beziehungen mit Israel zu verzichten;
  • darauf zu verzichten, mit Israel Wirtschafts- oder Handelsbeziehungen in Bezug auf das besetzte palästinensische Gebiet oder Teile davon einzugehen, die seine rechtswidrige Präsenz in dem Gebiet festigen könnten;
  • Schritte zu unternehmen, um Handels- oder Investitionsbeziehungen zu verhindern, die zur Aufrechterhaltung der illegalen Situation, die Israel im besetzten palästinensischen Gebiet geschaffen hat, beitragen.

Die UNO-Generalversammlung begrüßte das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in einer Resolution vom 13.9.2024. Sie forderte in dieser Resolution insbesondere, dass Israel seine unrechtmäßige Anwesenheit im besetzten palästinensischen Gebieten binnen 12 Monaten beendet. An die Staaten richtete sie u.a. diese Aufforderung (Ziff. 5):



„(a) Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass ihre Staatsangehörigen und Unternehmen und Einrichtungen, die ihrer Gerichtsbarkeit unterliegen, sowie ihre Behörden nicht in einer Weise handeln, die eine Anerkennung, Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der durch die illegale Anwesenheit Israels im besetzten palästinensischen Gebiet geschaffenen Situation mit sich bringen würde;
(b) Maßnahmen zu ergreifen, um die Einfuhr von Produkten mit Ursprung in den israelischen Siedlungen sowie die Lieferung oder den Transfer von Waffen, Munition und damit verbundener Ausrüstung an die Besatzungsmacht Israel in allen Fällen, in denen der begründete Verdacht besteht, dass sie im besetzten palästinensischen Gebiet verwendet werden könnten, einzustellen;
(c) Sanktionen, einschließlich Reiseverbote und Einfrieren von Vermögenswerten, gegen natürliche und juristische Personen zu verhängen, die an der Aufrechterhaltung der unrechtmäßigen Präsenz Israels im besetzten palästinensischen Gebiet beteiligt sind, auch im Zusammenhang mit der Gewalt von Siedlern;
(d) die Bemühungen um Rechenschaftspflicht für alle Opfer zu unterstützen;“



Folgemaßnahmen in Deutschland und in der EU
Meines Wissens hat Deutschland – außer dem zeitweiligen Stopp von Waffenlieferungen – keine der geforderten Maßnahmen ergriffen. Der deutsche Jüdische Nationalfonds e.V., der den Bau der völkerrechtswidrigen Siedlungen über den Jüdischen Nationalfonds in Israel massiv unterstützt, wird beispielsweise immer noch als gemeinnützig eingestuft, obwohl das zuständige Finanzamt durch eine Petition umfassende Informationen erhalten hatte.

Die Augen waren allerdings aus kompetenzrechtlichen Gründen in erste Linie auf die EU gerichtet. Es gibt ein Assoziierungsabkommen mit Israel, das sog. Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Staat Israel andererseits. Artikel 2 dieses Abkommens bestimmt:

„Die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien ebenso wie alle Bestimmungen des Abkommens beruhen auf der Achtung der Menschenrechte und der Grundsätze der Demokratie, von denen die Vertragsparteien sich bei ihrer Innen- und Außenpolitik leiten lassen und die ein wesentliches Element dieses Abkommens sind.“

Es dauerte lange, bis die EU-Kommission dem Druck aus der Zivilgesellschaft und schließlich auch aus dem Kreis der Mitgliedstaaten am 20.5.2025 nachgab und untersuchen ließ, ob das Verhalten Israels diese Anforderungen erfüllt. Deutschland stimmte gegen eine solche Untersuchung.

Der Bericht wurde vom Büro der Sonderbeauftragten der Europäischen Union für Menschenrechte am 20.6.2025 vorgelegt, aber zunächst geheim gehalten. Erst am 8.9.2025 wurde die Geheimhaltung aufgehoben. Der Bericht gibt die Untersuchungsergebnisse unabhängiger internationaler Institutionen wieder, die eine Fülle von Menschenrechtsverletzungen festgestellt hatten.

Am 29.7.2025 schlug die EU-Kommission vor, Israels Assoziierung mit dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe im Hinblick auf potentielle Dual-use-Anwendungen teilweise zu suspendieren. Bei einem Treffen von Botschaftern zur Vorbereitung der Entscheidung des Rates der EU erhielt der Vorschlag nicht die erforderliche Mehrheit. Deutschland und Italien erklärten, mehr Zeit zur Prüfung des Vorschlags zu benötigen.

Am 10.9.2025 kündigte die Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union Folgendes an: „Erstens: Die Kommission wird alles tun, was sie selbst tun kann. Wir werden unsere bilaterale Unterstützung für Israel aussetzen. Wir werden alle Zahlungen in diesen Gebieten stoppen – ohne dass sich dies auf unsere Arbeit mit der israelischen Zivilgesellschaft oder Yad Vashem auswirkt. Zweitens: Wir werden dem Rat zwei weitere Vorschläge unterbreiten. Wir werden Sanktionen gegen die extremistischen Minister und gegen gewalttätige Siedler vorschlagen. Und wir werden auch eine teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens im Bereich des Handels vorschlagen. Mir ist bewusst, dass es schwierig werden wird, Mehrheiten dafür zu finden.“ Das Europäische Parlament befürwortete diese Maßnahmen am folgenden Tag mit großer Mehrheit und forderte Sanktionen gegen die israelischen Minister Smotrich und Ben-Gvir.

Während die Suspendierung oder Aufkündigung eines Assoziierungsabkommens genauso wie der Abschluss eines solchen Abkommens der Einstimmigkeit des Rates der Europäischen Union bedarf, kann der Rat die Suspendierung eines Teiles des Abkommens nach herrschender Meinung mit der Mehrheit beschließen, die im Vertrag über die Arbeitsweise der EU für die betreffende Materie vorgesehen ist. Das bedeutet bei Maßnahmen im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik: Er kann mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Eine qualifizierte Mehrheit kommt gemäß Art. 16 Abs. 4 EUV dann zustande, wenn die beiden folgenden Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind:

  • 55 % der Mitgliedstaaten stimmen für den Vorschlag – in der Praxis bedeutet das 15 von 27;
  • der Vorschlag wird von Mitgliedstaaten unterstützt, die zusammen mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Dem bevölkerungsstarken Deutschland kommt deshalb eine Schlüsselposition zu.

Am 17.9.2025 schlug die EU-Kommission eine Aussetzung von Handelszugeständnissen gegenüber Israel und Sanktionen gegen extremistische Minister und gewalttätige Siedler vor. Am 18.9.2025 titelte der „euobserver“: „EU waiting for Germany on sanctions, in growing anti-Israel mood“. Deutschland hat Handelssanktionen gegen Israel bisher nicht zugestimmt.

Sanktionen gegen einige gewalttätige Siedler hatte die EU-Kommission bereits im April 2024, also schon vor dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, erstmals verhängt. Weitere Maßnahmen dieser Art habe ich nicht entdecken können.

Internationale Maßnahmen
Was spielte sich währenddessen auf der großen Bühne des Völkerrechts ab? In ihrer Resolution vom 13.9.2024 zu dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom Juli 2024 hatte die UNO-Generalversammlung u.a. gefordert, dass die Regierung der Schweiz als Verwahrstaat der Genfer Übereinkommen innerhalb von sechs Monaten eine Konferenz der Vertragsstaaten des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten einberufen sollte, um über Maßnahmen zur Durchsetzung dieses Übereinkommens im besetzen palästinensischen Gebiet einschließlich Ostjerusalem zu beraten. Diese Konferenz sollte am 7. März 2025 stattfinden. Sie kam jedoch nicht zustande, weil zahlreiche Vertragsstaaten eine solche Konferenz nicht unterstützten. Zu Beginn der Woche hatte Israel bereits angekündigt, nicht an der geplanten Konferenz teilzunehmen, und andere Staaten zu demselben Schritt aufgefordert.

In der Resolution vom 13.9.2024 war außerdem angekündigt worden, dass im Rahmen der nächsten regulären Sitzung der UNO-Generalversammlung eine internationale Konferenz unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen einberufen werden würde, um die Resolutionen der Vereinten Nationen zur Palästinafrage und zur Zwei-Staaten-Lösung für die Verwirklichung eines gerechten, dauerhaften und umfassenden Friedens im Nahen Osten umzusetzen. Der Vorsitz dieser Konferenz wurde später Frankreich und Saudi-Arabien übertragen. Das Ergebnis der Konferenz ist die New Yorker Erklärung zur friedlichen Beilegung der Palästina-Frage und zur Verwirklichung der Zwei-Staaten-Lösung vom 19.7.2025. Ihr Annex enthält für die weitere Arbeit eine Zusammenfassung von Vorschlägen und Empfehlungen, die während der Konferenz in Arbeitsgruppen gemacht worden waren. Die New Yorker Erklärung wurde am 12.9.2025 von der UNO-Generalversammlung mit 142 bei 10 Gegenstimmen und 12 Enthaltungen gebilligt. Deutschland stimmte dafür, die USA, Israel und Ungarn als einziger EU-Mitgliedstaat dagegen.

Die New Yorker Erklärung trat bald völlig in den Hintergrund; denn am 29.9.2025 verkündete Trump im Weißen Haus in Anwesenheit des israelischen Premierministers Netanyahu seinen 20-Punkte-Plan. Am 17.11.2025 stimmte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diesem Plan zu. Russland und China enthielten sich der Stimme.

Das Herzstück des Planes ist ein Friedensrat unter dem Vorsitz von Präsident Trump. Er soll für die Verwaltung des Gazastreifens zuständig sein, bis die Palästinensische Autonomiebehörde ihr Reformprogramm zufriedenstellend abgeschlossen hat. Unter der Aufsicht des Friedensrates soll ein technokratisches, unpolitisches Komitee aus kompetenten Palästinensern aus dem Gazastreifen für den täglichen Betrieb des öffentlichen Dienstes und der Verwaltung in Gaza verantwortlich sein. Die Weltbank und andere Finanzinstitute sollen einen Fonds für Mittel zum Wiederaufbau und zur Entwicklung des Gazastreifens schaffen. Es soll vorübergehend eine Internationale Stabilisierungstruppe eingesetzt werden, die mit Israel und Ägypten zusammenarbeitet. Zu ihren Aufgaben gehört insbesondere, gemeinsam mit einer neu ausgebildeten und überprüften Polizei den Gazastreifen zu entmilitarisieren, und zwar einschließlich der Zerstörung und Verhinderung des Wiederaufbaus der militärischen, terroristischen und offensiven Infrastruktur. Sobald die Internationale Stabilisierungstruppe Kontrolle und Stabilität hergestellt hat, werden sich die israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen zurückziehen, basierend auf Standards, Meilensteinen und Zeitplänen im Zusammenhang mit der Entmilitarisierung, die zwischen den israelischen Streitkräften, der Internationalen Schutztruppe, den Garantiestaaten und den Vereinigten Staaten vereinbart werden, mit Ausnahme einer Präsenz im Sicherheitsperimeter, die so lange bestehen bleibt, bis der Gazastreifen ausreichend vor einer erneuten Terrorgefahr geschützt ist. Die in der Resolution erteilten Ermächtigungen für den Friedensrat und die Internationale Schutztruppe gelten vorerst bis zum 31.12.2027, können aber verlängert werden.

Zum Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser heißt es in dieser Resolution: „Nachdem das Reformprogramm der Palästinensischen Autonomiebehörde gewissenhaft umgesetzt und der Wiederaufbau des Gazastreifens vorangetrieben wurde, könnten endlich die Voraussetzungen für einen glaubwürdigen Weg zur Selbstbestimmung und Staatsgründung der Palästinenser gegeben sein.“

Francesca Albanese erklärte angesichts dieser Resolution entsetzt: „Wir sind dabei, die Architektur unseres internationalen Systems zu zerstören.“ Craig Mokhiber kommentierte: „Die beispiellose, vom Westen geförderte Straffreiheit dieses Regimes untergräbt die Nachhaltigkeit des Völkerrechts, tritt die Menschenrechte mit Füßen und gefährdet den Frieden und die Sicherheit in der gesamten Region.“ Und: „Der Rat hat das Völkerrecht ignoriert und die Überlebenden von Gaza faktisch den Mittätern des Völkermords ausgeliefert.“

Und was ist die Rolle Deutschlands in diesem Trauerspiel? In Südisrael bauen die USA in einer Lagerhalle ein zivil-militärisches Koordinationszentrum für Gaza auf, das sog. CMCC. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete, es gebe ein Wettrennen unter den europäischen Staaten, um möglichst viele Vertreter in diesem Zentrum unterzubringen. Die Bundesregierung unterstützt Trumps 20-Punkte-Plan und hat bereits am 18.10.2025 angekündigt, zwei Stabsoffiziere sowie zusätzlich in der Anfangsphase einen Brigadegeneral des Operativen Führungskommandos an das CMCC zu entsenden, die uniformiert, aber unbewaffnet eingesetzt würden. Außerdem hat die deutsche Entwicklungsministerin Radovan angekündigt, mindestens 200 Millionen EUR als Soforthilfe für den Wiederaufbau Gazas zur Verfügung stellen zu wollen.

Das Töten in Gaza geht unterdessen weiter, auch wenn die Zahlen der Getöteten nicht so monströs sind wie zuvor. Wir dürfen uns von dem Begriff „Waffenruhe“ nicht einlullen lassen.

Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 22.10.2025
Am 22. Oktober dieses Jahres verkündete der Internationale Gerichtshof ein weiteres Gutachten zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen Israels. Ich will es hier nur sehr kurz vorstellen. Es ging im Kern um das 1949 geschaffene Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina, dessen englischer Name mit UNRWA abgekürzt wird. Am 28. Oktober 2024 erließ Israel gesetzgeberische Maßnahmen, um die Tätigkeit von UNRWA im besetzten palästinensischen Gebiet mit Wirkung ab 30.1.2025 zu unterbinden. Israel warf UNRWA vor, nicht unparteiisch im Sinne von Art. 59 des IV. Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten zu sein. Zwar hatte eine Untersuchung des UNO-Büros für interne Aufsichtsdienste im Jahr 2024 zur Entlassung von neun Mitarbeitern der UNRWA aufgrund ihrer möglichen Beteiligung an den von der Hamas angeführten Angriffen gegen Israel am 7. Oktober 2023 geführt. Dies reichte aber nach Ansicht des Internationalen Gerichtshofs nicht aus, um die Schlussfolgerung zu stützen, dass UNRWA insgesamt keine neutrale Organisation sei. Außerdem habe Israel seine Behauptungen, dass ein erheblicher Teil der UNRWA-Mitarbeiter „Mitglieder der Hamas … oder anderer terroristischer Gruppierungen“ sei, nicht substantiiert.

Der Gerichtshof konstatierte, dass es einer Besatzungsmacht grundsätzlich freisteht, die humanitären Organisationen auszuwählen, über die sie ihrer Verpflichtung nachkommt, humanitäre Hilfe zu gestatten und zu erleichtern. Nach eingehender Analyse der Situation im Gaza-Streifen kam er aber zu dem Schluss, dass die Vereinten Nationen, die über UNRWA handeln, ein unverzichtbarer Anbieter humanitärer Hilfe im Gazastreifen sind. Der Gerichtshof war daher der Ansicht, dass Israel verpflichtet ist, Hilfsmaßnahmen der Vereinten Nationen und ihrer Einrichtungen, einschließlich der UNRWA, zuzustimmen und sie zu erleichtern.

Das Mandat, das die UNO der UNRWA erteilt, läuft jeweils über drei Jahre. Als der zuständige Unterausschuss der UNO-Generalversammlung am 19. November dieses Jahres über die Verlängerung des UNRWA-Mandats abstimmte, waren 149 Mitgliedstaaten dafür. 10 stimmten dagegen, darunter Israel und die USA. Deutschland enthielt sich der Stimme.

Umgang mit der Palästina-Solidarität
Zu den völkerrechtlichen Regelwerken, die Deutschland im Zusammenhang mit Israel zu beachten hat, gehört auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Dieser Pakt verbürgt u.a. die Meinungsfreiheit-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Geht es um die Solidarität mit Palästina, hat es in Deutschland immer wieder Verstöße gegen diesen Pakt gegeben.

An erster Stelle möchte ich den Umgang mit der BDS-Bewegung nennen. BDS zielt nicht auf die Beseitigung Israels ab. Es geht um die Beendigung der Besetzung arabischer Gebiete durch Israel im Jahre 1967. Das Vorbild der BDS-Bewegung ist der Kampf der Südafrikaner gegen die Apartheid.

BDS liegt nicht auf derselben Linie wie der vom Naziregime organisierte Boykott „Kauft nicht bei Juden“. Dieser Boykott war eine Gegenmaßnahme der Nazis gegen eine jüdische Kampagne, die zum Boykott deutscher Produkte aufrief, weil die Nazis die Menschenrechte der jüdischen Bevölkerung verletzten. BDS richtet sich ebenfalls gegen eine Regierungspolitik, die Menschenrechte verletzt.

Der Deutsche Bundestag stuft die BDS-Bewegung als antisemitisch ein und bekämpft sie mit immer drastischeren Resolutionen. Hinzu kommt, dass der Verfassungsschutzbericht 2023 des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat BDS als „extremistischen Verdachtsfall“ einstufte (S. 286 f.). Der Verfassungsschutzbericht 2024 stuft BDS-Berlin und BDS-Bonn als „gesichert extremistisch“ ein (S. 280).

Schon der BDS-Beschluss des Jahres 2019 führte dazu, dass sich fünf vom Menschenrechtsrat der UNO beauftragte Sonderberichterstatter an den damaligen Bundesaußenminister Heiko Maas wandten und die Unvereinbarkeit dieses Beschlusses mit den Rechten, die durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte garantiert werden, beanstandeten. Am 18. September 2024 appellierten 39 Experten der UNO an die Staaten, das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom Juli 2024 zu befolgen. Sie forderten u.a., „Gesetze und Richtlinien aufzuheben, die das Eintreten für das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung und den gewaltlosen Widerstand gegen die israelische Besatzung und Apartheid, einschließlich der Unterstützung der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS), kriminalisieren und bestrafen.“

Auch wenn es nicht um BDS geht, werden den Palästina-Aktivisten oft Steine in den Weg gelegt. Der unrühmliche Höhepunkt deutscher Maßnahmen gegen die Palästina-Solidarität war der behördliche Umgang mit dem Palästina-Kongress, der im April 2024 in Berlin stattfinden sollte. Er wurde schon im Vorfeld massiv behindert und nach kürzester Zeit unterbunden. (Zur Rechtswidrigkeit des Vorgehens: VerwG Berlin, Urteile vom 14.7.2025, 24 K 493/24, und vom 26.11.2025, VG 1 K 187/24.) Die Art und Weise, wie die Polizei bei einer anschließenden Demonstration agierte, war erschreckend.

Am 16. Oktober 2025 forderten sechs Experten der UNO Deutschland dringend auf, die Kriminalisierung, Bestrafung und Unterdrückung legitimer Solidarität mit Palästina zu beenden.

Schon am 6. Juni 2025 hatte sich auch der Kommissar für Menschenrechte des Europarats, der über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention wacht, mit einem Brandbrief an den deutschen Innenminister Dobrindt eingeschaltet. Sein Brief liegt auf derselben Linie wie das Schreiben der sechs UN-Experten.


Michael O’Flahert, Menschenrechtskommissar des Europarates. Quelle: 2017, Arno Mikkor, Aron Urb, Wikipedia.

Ausblick
Ich komme zum Schluss. Michael Lüders hat im letzten Jahr ein sehr lesenswertes Buch mit dem Titel „Krieg ohne Ende?“ veröffentlicht. Der Untertitel lautet „Warum wir für Frieden im Nahen Osten unsere Haltung zu Israel ändern müssen“. Deutschland muss in der Tat dringend seine Haltung zu Israel ändern.

Die Bevölkerung ist der Regierung in dieser Hinsicht schon einen Schritt voraus. Eine im August 2025 durchgeführte repräsentative Online-Umfrage des German Institute for Global and Area Studies – kurz: GIGA – ergab folgendes Bild: 56 % der Befragten sind der Meinung, dass Deutschlands historische Verantwortung den Jüdinnen und Juden gelten solle und nicht dem jüdischen Staat. 61 % meinen, dass man Kritik an Israel von Antisemitismus trennen muss. 59 % der Befragten stimmten der Aussage zu, dass Israels militärisches Vorgehen als Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung zu bewerten ist. Über 60 % hätten sich bereits von der Ampelregierung gewünscht, israelische Kriegsverbrechen zu benennen und zu verurteilen. Und mehr als zwei Drittel sind der Meinung, dass sich die deutsche Außenpolitik vom Völkerrecht und den universellen Menschenrechten leiten lassen soll.

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Angesichts der zumeist sehr deprimierenden Berichte in unserem Newsletter steht an dieser Stelle die Rubrik „Bemerkenswert“ – in der Hoffnung, dass diese Meldungen uns allen Mut machen, denn „Aufgeben ist keine Option“!

BA 377 Bemerkenswert:
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass die Auflösung und das Verbot der Versammlung „Palästina-Kongress 2024 – Wir klagen an!“ rechtswidrig waren (Urteil vom 26.11.2025, VG 1 K 187/24).
In einem Kommentar zu diesem Urteil schrieb Daniel Bax:
„Diese Einschränkungen der Meinungs-, Wissenschafts- und Versammlungsfreiheit und die exzessive Polizeigewalt sind bedenklich; sie lassen sich auch nicht durch vermeintlich beste Absichten rechtfertigen. Zum Glück schieben die Gerichte manchen Exzessen einen Riegel vor. Aber das reicht nicht. Um den Rechtsstaat zu schützen, braucht es auch eine Opposition, die auf Rechtsstaatlichkeit pocht. Und es braucht Medien und Journalistinnen und Journalisten, die ihrer Aufgabe als vierte Gewalt nachkommen und der Regierung auf die Finger schauen, statt sich als Ersatzpolizei zu gerieren. Sonst sterben Rechtsstaat und Demokratie schleichend und scheibchenweise.“
https://taz.de/Gerichtsurteil-zum-Palaestina-Kongress/!6133001/

BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle von Menschenrechtsverletzungen, die in deutschen Medien kaum Beachtung finden

Apartheid gesetzlich verankern: Wie Israel während des Gaza-Kriegs ungleiche Herrschaft festigte
«Einem neuen Bericht zufolge verabschiedete der israelische Gesetzgeber in einem zweijährigen Blitzangriff über 30 Gesetze, die die Rechte der Palästinenser einschränken und Dissens bestrafen.

Orly Noy, 2. Dezember 2025
Wie ein beunruhigender neuer Bericht des in Haifa ansässigen Rechtszentrums Adalah zeigt, haben die Parlamentarier das Chaos der letzten zwei Jahre genutzt, um mehr als 30 neue Gesetze zu verabschieden, die die Apartheid und die jüdische Vorherrschaft festigen – und damit die bestehende Liste von Adalah mit mittlerweile mehr als 100 israelischen Gesetzen, die palästinensische Bürger diskriminieren, zu ergänzen. Eine der zentralen Feststellungen des Berichts ist ein umfassender Angriff auf die Meinungs-, Gedanken- und Protestfreiheit in einer Vielzahl von Bereichen. Dazu gehören Gesetze, die die Veröffentlichung von Inhalten verbieten, die „die Ereignisse vom 7. Oktober [wie von der Knesset festgelegt] leugnen“, und Sendungen kritischer Medienunternehmen, die „die Staatssicherheit gefährden“, einschränken.
Ein weiteres Gesetz ermächtigt das Bildungsministerium, Lehrkräfte zu entlassen und Bildungseinrichtungen die Finanzierung zu entziehen, wenn diese nach Ansicht des Ministeriums ihre Unterstützung für terroristische Handlungen oder Organisationen zum Ausdruck bringen oder zu solchen aufrufen. Neben einer staatlich gelenkten Kampagne zur Ausweisung internationaler Solidaritätsaktivisten verbietet ein drittes Gesetz ausländischen Staatsangehörigen die Einreise, wenn sie sich kritisch über Israel geäußert oder internationale Gerichte aufgefordert haben, gegen den Staat und seine Beamten vorzugehen.
Der gefährlichste Gesetzentwurf ist jedoch vielleicht derjenige, der sich gegen Bürger richtet, die lediglich Informationen aus Quellen konsumieren wollen, die dem Staat nicht gefallen. Nur einen Monat nach dem 7. Oktober verabschiedete die Knesset eine auf zwei Jahre befristete Verordnung – letzte Woche um weitere zwei Jahre verlängert –, die den „systematischen und kontinuierlichen Konsum von Publikationen einer terroristischen Organisation“ unter Strafe stellt und mit einer einjährigen Freiheitsstrafe ahndet. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber kriminalisiert nun Verhaltensweisen, die ausschließlich im privaten Bereich einer Person stattfinden. Laut den Erläuterungen zum Gesetzentwurf basiert die Gesetzgebung auf der Behauptung, dass „die intensive Beschäftigung mit Terrorpublikationen bestimmter Organisationen einen Indoktrinationsprozess– eine Form der selbst auferlegten ‚Gehirnwäsche‘ – auslösen kann, der den Wunsch und die Motivation, einen Terrorakt zu begehen, auf ein sehr hohes Maß steigern kann“. Das Gesetz legt jedoch nicht fest, was unter „intensiver Beschäftigung“ oder „kontinuierlichem Konsum“ zu verstehen ist, sodass die Dauer und die Schwelle völlig unbestimmt bleiben.
(…)
Der Bericht von Adalah zeigt gut, in welche Richtung sich Israel bewegt. Auch wenn es den Anschein hat, als befänden wir uns bereits am Grunde eines Abgrunds, gibt es immer noch einen Abgrund jenseits des Abgrunds – einen, der zu neuen Gräueltaten einlädt und auf den wir mit voller Geschwindigkeit zusteuern.
Diese verabscheuungswürdigen Gesetze haben nicht einmal diejenigen, die einst behaupteten, um das Schicksal der „israelischen Demokratie” zu fürchten, zu Hunderttausenden auf die Straße getrieben. Tatsächlich wurden einige dieser Gesetze mit Unterstützung jüdischer Oppositionsparteien in der Knesset verabschiedet. Die Illusion einer Demokratie nur für Juden hat noch nie so grotesk und gefährlich gewirkt wie heute.
(…)
Die Welle neuer drakonischer Gesetze geht jedoch noch weiter. Neben der Schaffung der rechtlichen Infrastruktur für die systematische Verfolgung von Dissidenten, sowohl jüdischen als auch palästinensischen, umfasst sie Maßnahmen, die sich ausdrücklich gegen palästinensische Bürger richten, wie das sogenannte „Gesetz zur Deportation von Familien von Terroristen”.
Nach diesem Gesetz wurde die Definition des Begriffs „Terrorist“ – eine Bezeichnung, die fast ausschließlich für Palästinenser in Israel verwendet wird – erweitert, sodass sie nicht nur Personen umfasst, die in einem Strafverfahren wegen Terrorismus verurteilt wurden, sondern auch Personen, die wegen des Verdachts auf solche Straftaten inhaftiert sind, einschließlich derjenigen, die sich in Verwaltungshaft befinden. Mit anderen Worten: Personen, die weder angeklagt noch verurteilt wurden.
(…)
Als jemand, der seit langem mit dem Argument vertraut ist, dass es sinnvoll ist, „die Masken zu entfernen“ und das israelische Regime als das zu entlarven, was es wirklich ist – antidemokratisch, rassistisch und in der Apartheid verwurzelt –, sehe ich hier keinen Grund für Optimismus. Angesichts des offenen Strebens der israelischen Führung nach Faschismus werden nicht nur die am stärksten exponierten und schutzbedürftigen Menschen den höchsten Preis zahlen. Die Kluft zwischen dem Selbstbild einer Gesellschaft und der Realität ist auch genau der Raum, in dem politischer Wandel möglich wird. Wenn sich diese Kluft schließt und die Gesellschaft beginnt, das Bild zu akzeptieren, das ihr im Spiegel entgegenblickt, schrumpft der politische Raum für bedeutende Veränderungen dramatisch.
In den letzten Jahren sind Hunderttausende Israelis auf die Straße gegangen, um gegen die „Justizreform” der Regierung Netanjahu zu protestieren; sie haben darauf bestanden, dass deren eigentlicher Zweck darin bestehe, „die israelische Demokratie zu zerstören”. Die Protestbewegung hat sich jedoch weitgehend auf die prozeduralen Mechanismen der Demokratie konzentriert – Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz und die rechtlichen Verstrickungen des Premierministers sowie seine Eignung für das Amt. Der Erosion der substanziellen Grundlagen der Demokratie – Meinungs- und Protestfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und Schutz vor institutionalisierter Diskriminierung – wurde, wenn überhaupt, viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Diese Entwicklungen haben nicht erst in den letzten zwei Jahren begonnen, aber es ist kein Zufall, dass sie sich parallel zum Völkermord Israels in Gaza in erschreckendem Tempo beschleunigt haben. Die Zerstörung im Gazastreifen und die faschistische Gesetzgebung, die in der Knesset vorangetrieben wird, wirken wie zwei aufeinander abgestimmte Kräfte, die darauf abzielen, die letzten verbleibenden Beschränkungen der israelischen Macht abzubauen.
Und so wie die israelische Protestbewegung den Völkermord in Gaza und die Frage der jüdischen Vorherrschaft nicht ignorieren kann, wenn sie sich wirksam gegen die Justizreform wehren will, so kann auch die globale Bewegung gegen den Völkermord die Gesetzgebung nicht übersehen, die von der extremsten Knesset in der Geschichte Israels vorangetrieben wird. Dies ist nicht mehr nur eine interne Angelegenheit Israels, sondern Teil eines umfassenderen Angriffs auf die Existenz des palästinensischen Volkes.»
https://www.972mag.com/knesset-apartheid-laws-gaza-war/?utm_source=972+Magazine+Newsletter&utm_campaign=e7c650fdf1-EMAIL_CAMPAIGN_9_12_2022_11_20_COPY_01&utm_medium=email&utm_term=0_f1fe821d25-e7c650fdf1-318940841

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

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