Obwohl die Hamas die lebenden Geiseln zurückgegeben hat, fährt Israel mit dem Völkermord fort
1. Israel verletzt den Waffenstillstand
2. Bemerkenswert
3. Nichts ist „vorbei“, weder im Gazastreifen noch im Westjordanland
Der Waffenstillstand, den Trump Israel und der Hamas auferlegt hat, ist von Anfang an gescheitert. Israel hat ihn unter Vorwänden gebrochen und die Bombardierung, den Beschuss und die Aushungerung des Gazastreifens wieder aufgenommen. Außerdem sind israelische Truppen in neue Gebiete im Gazastreifen vorgedrungen und haben weitere Palästinenser gefangen genommen. Die USA haben Erklärungen über das Ende des Krieges abgegeben und US-Vizepräsident JD Vance nach Israel entsandt, aber keine Maßnahmen ergriffen, um die israelische Aggression zu stoppen.
Der von US-Präsident Donald Trump auferlegte Waffenstillstand (BIP-Aktuell #369) ist am 11. Oktober in Kraft getreten. Er bedeutete eine unmittelbare Erleichterung für 2,3 Millionen Palästinenser im Gazastreifen, weil sich die israelischen Truppen aus Teilen des Gazastreifens zurückzogen und einige Hilfslieferungen durchgelassen wurden. Der entscheidende Fehler: Es handelte sich nicht um ein zwischen beiden Seiten ausgehandeltes Abkommen, sondern um eine von Trump mit Drohungen gegen die Hamas durchgesetzte Waffenruhe. Trump sprach vor dem israelischen Parlament, der Knesset, über die Waffen, die die USA Israel zur Verfügung gestellt haben, und stellte fest, dass Israel sie „gut eingesetzt“ habe – ein Zeichen dafür, dass Trump voll und ganz auf der Seite Israels steht.

Von Israel freigelassene palästinensische Gefangene. Quelle: 2025, Al-Jazeera, Instagram.
Israel beschuldigt die Hamas, das Waffenstillstandsabkommen zu verletzen, weil die Hamas nicht alle Leichen der israelischen Geiseln zurückgegeben hat. Israel hat mit dieser Behauptung den Konflikt wieder geschürt. Die Hamas argumentierte, die Vereinbarung sehe vor, dass sie alle in ihrem Besitz befindlichen Leichen zurückgeben werde. Ein israelischer Beamter wies darauf hin, dass Hamas-Kämpfer, die israelische Geiseln an geheimen Orten begraben hatten, durch israelische Angriffe getötet wurden und damit das Wissen um die Begräbnisorte der Leichen verloren ging (Quelle auf Hebräisch). Mittlerweile hat Israel Leichen von Palästinensern an ihre Familien in Gaza zurückgegeben, die Anzeichen von Folter und Hinrichtung aufwiesen, worüber Jan-Christoph Kitzler am 22.10. im DLF berichtete.
Der Konflikt eskalierte weiter, nachdem am 19. Oktober zwei israelische Soldaten in Rafah getötet worden waren. Die Fakten zu diesem Ereignis sind umstritten. Israel behauptet, es habe sich um einen Raketenangriff der Hamas gehandelt, doch die Hamas bestreitet eine Beteiligung an dem Angriff. Es ist möglich, dass der Angriff von einer anderen Gruppe ausging, die Israel für den Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen bewaffnet. Darauf wies Christian Meier in der FAZ vom 21.10. hin. Vielleicht war es ein isolierter Hamas-Trupp, der in einem Tunnel kämpfte, der gerade versiegelt werden sollte (Quelle auf Hebräisch). Es ist auch möglich, dass das israelische Panzerfahrzeug mit den beiden Soldaten eine Mine auslöste. Israel nutzte diesen Vorfall, um mehr als 100 Luftangriffe im gesamten Gazastreifen durchzuführen und die humanitäre Hilfe für die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens wieder herunterzufahren – ein eklatanter Bruch des Waffenstillstandsabkommens. In einer Rede in der Knesset erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dass Israel am Sonntag nach dem Zwischenfall in Rafah 153 Tonnen Bomben auf den Gazastreifen abgeworfen hat.
Die Zeitung Middle East Eye verzeichnete 80 israelische Verstöße gegen die Waffenruhe. Sie zählte 97 Tote im Gazastreifen durch israelischen Bomben- und Granatenbeschuss und über 230 Verletzte durch Israel nach Inkrafttreten der Waffenruhe. Die Verstöße begannen am 11. Oktober um 10 Uhr morgens, als der Waffenstillstand in Kraft trat, und damit eine Woche vor dem Zwischenfall in Rafah. Unter den Opfern der israelischen Angriffe waren auch Journalisten. Darüber berichtete das ZDF am 20.10. in seiner heute-Sendung (ebenso wie Al-Jazeera am Vortag (s.u.).
Israel verstieß auch gegen das Abkommen, indem es neue Verhaftungen vornahm, während es palästinensische Gefangene freilassen sollte. Dutzende von Palästinensern wurden im Westjordanland und 14 im Gazastreifen verhaftet. Von diesen 14 wurden fünf freigelassen, nachdem sie von den israelischen Soldaten misshandelt worden waren.
Israel hatte im Waffenstillstandsabkommen versprochen, nicht in die Gebiete zurückzukehren, aus denen es sich zurückgezogen hatte. Stattdessen drangen israelische Truppen in Viertel im Gazastreifen ein, in denen das israelische Militär keine Soldaten stationiert hatte, ebenso in Khan Younis und Rafah sowie in der Gegend von Al-Sudaniya im nördlichen Gazastreifen. Israelische Panzer nahmen Fischer ins Visier, die versuchten, in dem Küstenstreifen zu fischen, wo es erlaubt war.
Israel hatte im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens auch versprochen, humanitäre Hilfe ungehindert in den Gazastreifen fließen zu lassen. Dieses Versprechen wurde nicht eingehalten. Der Guardian berichtete, dass weniger als die Hälfte der vereinbarten Menge an Hilfsgütern durch die von Israel kontrollierten Kontrollpunkte gelangen konnte. Am Wochenende (18./19. Oktober) wurde die Hilfe vollständig eingestellt.

Al Jazeera berichtet, dass ein Kind und ein Mitarbeiter des ZDF unter denjenigen waren, die am 19. Oktober von Israel getötet wurden, als Israel den Waffenstillstand verletzte. Quelle: 2025, Al-Jazeera, Instagram.
Auch wenn Israel das Aushungern, Bombardieren und Beschießen des Gazastreifens fortsetzte, sagte Trump, dass der Waffenstillstand „immer noch in Kraft ist“. Israelische Journalisten spekulieren, dass Netanjahu von Mitgliedern seines rechtsgerichteten Kabinetts unter Druck gesetzt wird, sich über das Abkommen hinwegzusetzen, und die Trump-Administration aus Sorge, dass der Waffenstillstand zusammenbricht, US-Vizepräsident Vance geschickt hat, um sicherzustellen, dass sich Israel an die Vereinbarung hält (Quelle auf Hebräisch). „. Selbst als Vance letzte Woche Israel besuchte, tötete Israel weiterhin Palästinenser im Gazastreifen.
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Angesichts der zumeist sehr deprimierenden Berichte in unserem Newsletter steht an dieser Stelle die Rubrik „Bemerkenswert“ – in der Hoffnung, dass diese Meldungen uns allen Mut machen, denn „Aufgeben ist keine Option“!
BA 370 Bemerkenswert:
Netanjahus Büro fordert Kanadas Premierminister Carney erfolglos auf, die von seinem Amtsvorgänger zugesagte Verhaftung des israelischen Premierministers bei Einreise in das Land zu überdenken
In einem Interview, das letzte Woche von Bloomberg veröffentlicht wurde, wurde Carney gefragt, ob er sich an das Versprechen des ehemaligen Premierministers Trudeau halten würde, „die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs zu respektieren“, die 2024 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Netanjahu erlassen wurden. Carney antwortete mit „Ja“. https://www.haaretz.com/israel-news/2025-10-21/ty-article/.premium/canada-is-prepared-to-arrest-netanyahu-for-gaza-war-crimes-pm-carney-says/0000019a-05df-d582-a39e-5fff49200000
Neuer Status Palästinas bei der Internationalen Arbeitsorganisation
Die Internationalen Arbeitskonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) hat auf ihrer 113. Tagung beschlossen, den Status Palästinas als Befreiungsbewegung aufzuheben und Palästina fortan einzuladen, als Beobachterstaat ohne Mitgliedschaft an den Tagungen der IAO teilzunehmen. Der Beschluss räumt Palästina „ausnahmsweise und ohne einen Präzedenzfall zu schaffen“, eine Reihe von Rechten und Vorrechten zur Teilnahme an künftigen Tagungen der Internationalen Arbeitskonferenz und Regionaltagungen ein. Er ist eine Reaktion auf die Resolution ES-10/23 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Mai 2024, die die Feststellung enthält, „dass der Staat Palästina die Voraussetzungen für die Aufnahme als Mitglied in die Vereinten Nationen gemäß Artikel 4 der Charta der Vereinten Nationen erfüllt und deshalb als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen werden sollte“, und die Sonderorganisationen ersucht, dieselben Modalitäten anzuwenden, die die Generalversammlung für die Teilnahme Palästinas beschlossen hat.
Gutachten des Internationalen Gerichtshof zu den Verpflichtungen Israels in Bezug auf die Präsenz und Aktivitäten der Vereinten Nationen, anderer internationaler Organisationen und Drittstaaten in und in Bezug auf das besetzte palästinensische Gebiet
Der Internationale Gerichtshof hat am 22. Oktober 2025 das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 19. Dezember 2024 angeforderte Gutachten zu diesen Verpflichtungen verkündet. Er leitete aus dem humanitären Völkerrecht sechs konkrete Verpflichtungen ab und stellte ferner klar, dass Israel die folgenden Normen beachten muss: internationale Menschenrechte, die Verpflichtung, mit den Vereinten Nationen zu kooperieren, Artikel 105 der Charta der Vereinten Nationen, der die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen regelt, sowie Artikel II, V, VI und VII des Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen. UNRWA wurde von den Verpflichtungen Israels nicht ausgenommen.
In den meisten Punkten stimmte nur die Richterin Sebutinde gegen die Auffassung der Mehrheit, in einigen Punkte waren sich alle Richter einig.
Presserklärung des Gerichtshofs; Zusammenfassung des Gutachtens; das Gutachten selbst. Einige Richter gaben gesonderte Stellungnahmen ab. Die Links zu diesen Stellungnahmen sind hier zu finden.
BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle von Menschenrechtsverletzungen, die in deutschen Medien kaum Beachtung finden
Aus Haaretz:
Nichts ist „vorbei“, weder im Gazastreifen noch im Westjordanland
Dieselbe Strategie, die Israel im Gazastreifen verfolgt – wo die palästinensische Gesellschaft von internen Konflikten zerrissen ist und um die wenigen Krümel kämpft, die sie hat –, gilt auch für das Westjordanland, wo Unterdrückung und die Missachtung von Rechten unter einem brutalen israelischen Militärregime an der Tagesordnung sind.
[…]
Was immer deutlicher wird, ist das schiere Ausmaß der Zerstörung im Gazastreifen. Das Massaker vom 7. Oktober hat sich in das nationale Gedächtnis Israels eingebrannt. Die Erinnerung daran wird über Generationen hinweg bestehen bleiben, insbesondere für die Familien der Ermordeten, der Verwundeten und der Geiseln, die das Trauma in seiner ganzen Härte durchlebt haben.
Aber jetzt, da alle lebenden Geiseln nach Hause zurückgekehrt sind, gibt es überhaupt noch jemanden, der sich wirklich dafür interessiert, was in Gaza und mit seinen Bewohnern geschieht, oder glauben die meisten Israelis immer noch, dass es dort keine Unschuldigen gibt? Wird es weiterhin Demonstranten geben, die den Wiederaufbau in Gaza fordern?
Sie fordern keine „Sanierung“ des Gazastreifens, da es nichts mehr zu sanieren gibt, da alles zerstört ist und alles von Grund auf neu aufgebaut werden muss. Oder werden die Demonstranten lieber schweigen und wegschauen, mit den Schultern zucken und sagen: Lasst sie brennen, lasst sie sich gegenseitig bekämpfen. Schließlich ist es einfacher zu glauben, dass es in Gaza eben so ist – dass es niemanden gibt, mit dem man reden kann, und nichts, was man retten könnte.
Werden wir zu derselben Strategie zurückkehren, die Israel schon immer bevorzugt hat – dass die Israelis aufatmen können, solange Gaza von internen Konflikten zerrissen ist und die Menschen um die Krümel der Ruinen kämpfen, in denen sie jetzt leben? Ist das andauernde Chaos in Gaza und nicht weniger im Westjordanland wirklich das Ziel Israels, das jede Hoffnung auf den Aufstieg einer stabilen palästinensischen Führung, die das Vertrauen ihres Volkes genießt, zunichte macht?
Wird Israel seine „Großzügigkeit“ nur zu einem einzigen Zweck zeigen: Gaza in einem Zustand des Zusammenbruchs, das Westjordanland fragmentiert halten und alle Hoffnungen begraben?
Die Kinder in Gaza, die die letzten zwei Jahre des Krieges überlebt haben, werden in dieser Realität aufwachsen – eine Generation, die von Traumata gezeichnet ist und nichts als Hass und tiefes Misstrauen gegenüber der Möglichkeit eines normalen Lebens übrig hat. Die wenigen Glücklichen finden vielleicht einen Ausweg, indem sie in andere Länder auswandern. Dem wird Israel zustimmen, schließlich hat es bereits eine Behörde eingerichtet, die den Bewohnern Gazas bei der „freiwilligen Ausreise” hilft.
Man darf nicht vergessen: Israels Ambitionen beschränken sich nicht auf Gaza, sie umfassen auch das Westjordanland. Die Regierung agiert an allen Fronten. Im Westjordanland werden Palästinenser weiterhin an den Kontrollpunkten der israelischen Streitkräfte unterdrückt, gedemütigt und festgehalten, sie sind endlosen täglichen Kontrollen ausgesetzt, während der Staat die Gewalt und Pogrome der Siedler ignoriert oder sogar unterstützt.
Jede Olivenernte wird zu einem regelmäßigen monatlichen Schlachtfeld. Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Unterdrückung und Missachtung von Rechten – das wird unter einem brutalen israelischen Militärregime und einer Palästinensischen Autonomiebehörde, deren alternder Führer in weniger als einem Monat neunzig Jahre alt wird, weiterhin an der Tagesordnung sein.
Den Israelis scheint das egal zu sein. Die Geiseln sind zurück, also kann das Leben wieder seinen normalen Gang nehmen. Bei den Wahlen im nächsten Jahr werden die Israelis darüber streiten, wer mehr rechts ist und wer weniger, wer die nächste Regierung bilden wird, aber vorzugsweise ohne Beteiligung arabischer Parteien. Sie sind von vornherein disqualifiziert, weil man sich in der Knesset nicht auf sie verlassen kann. Wir werden ihre Kandidaten disqualifizieren, ihre [Wähler] Stimmen unterdrücken und ihre Stimmen zum Schweigen bringen. Wer wird für sie auf die Straße gehen? Wer wird sagen: „Das wird nicht durchgehen?“ Israel ist zwar eine Demokratie, aber es gibt Grenzen, die man einfach nicht überschreiten darf.
Für die meisten Israelis ist alles vorbei, sobald die Geiseln zurück sind. Man kann aufatmen. Man kann vergessen. Trump hat Frieden erklärt. Wen interessiert es, dass die Erklärung hohl ist? Warum sollte man sich zu sehr mit Gaza nach dem Krieg beschäftigen?
Wir sind schon mittendrin.
Jetzt ist alles in Ordnung. Außer dem, was nicht in Ordnung ist. Unter dieser Ruhe bebt der Boden. Wer glaubt, dass ein Krieg nur auf einer Seite beendet werden kann, wird feststellen, dass die Gleichgültigkeit wie ein Bumerang zurückkommt und das Land auch hier in Flammen aufgehen wird.
Übersetzt mit deepl.com
https://www.haaretz.com/opinion/2025-10-20/ty-article-opinion/.premium/nothing-is-over-not-in-the-gaza-strip-nor-in-the-west-bank/0000019a-02d7-d582-a39e-5af72a040000
Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.