Blog per E-Mail folgen

Gib deine E-Mail-Adresse ein, um diesem Blog zu folgen und per E-Mail Benachrichtigungen über neue Beiträge zu erhalten.

Aktuelle Beiträge

No more posts to show

Der Kabinettsbeschluss zur Eroberung des Gazastreifens wirft Fragen zu Israels Machtzuwachs auf

1. Israel bereitet sich auf eine vollständige Invasion des Gazastreifens vor
2. Erfreulich:Die norwegische Kirche läutete alle Kirchenglocken für die Menschen in Gaza
Norwegens Staatsfonds baut Israel-Engagement ab
3. Angriff auf die Saatgutbank in Hebron 

Die israelische Regierung beschloss, den gesamten Gazastreifen auf unbestimmte Zeit zu erobern, anstatt einen Waffenstillstand zu vereinbaren und den Krieg zu beenden. Die Entscheidung löste Schock und Wut in der israelischen Öffentlichkeit sowie internationale Kritik aus, und sogar Deutschland kündigte an, bestimmte Waffenlieferungen an Israel auszusetzen.

In der Nacht zu Freitag, dem 8. August, beschloss die israelische Regierung die Eroberung des gesamten Gazastreifens, um die israelische Kontrolle über alle Teile des Gazastreifens auf unbestimmte Zeit auszuüben.

Die Entscheidung wurde vor allem innerhalb Israels mit Entsetzen aufgenommen. Der israelische Oberbefehlshaber Eyal Zamir warnte, dass der militärische Plan zu einer Erosion der Streitkräfte führen und das Leben der Geiseln gefährden würde; auch gebe es keine humanitäre Lösung für die ca. 1 Million Menschen, die vertrieben werden sollen (Quelle auf Hebräisch). Inzwischen hat die Armee dem Plan zur Eroberung von Gaza zugestimmt.

Das Graffiti „Es gibt einen Holocaust in Gaza“ wurde unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluss in Hebräisch unter anderem an der Klagemauer in Jerusalem angebracht. Die israelische Polizei hat einen jüdischen Verdächtigen, der das Graffiti gemalt haben soll, verhaftet und später freigelassen. (Quelle auf Hebräisch).



In der israelischen Gesellschaft wird die Entscheidung, in den gesamten Gazastreifen einzumarschieren und ihn zu erobern, als ein rücksichtsloser Schritt der rechtsextremen Netanjahu-Regierung angesehen. Die Kritik betrifft fünf Punkte: Erstens könnten die israelischen Geiseln in Gaza getötet werden (Quelle auf Hebräisch), zweitens ist das israelische Militär nicht in der Lage, genügend Soldaten an die Front zu bringen und könnte schwere Verluste erleiden (Quelle auf Hebräisch), drittens ist die israelische Wirtschaft ins Stocken geraten und kann sich die Kosten der Invasion nicht leisten (Quelle auf Hebräisch), viertens wird die Eroberung des Gazastreifens die Verantwortung für die Zivilbevölkerung des Gazastreifens auf die Schultern der israelischen Behörden legen, die Milliarden ausgeben müssen, um die Infrastruktur in Gaza wieder aufzubauen, die Bevölkerung zu ernähren und auch die Sicherheit zu gewährleisten, um die Bevölkerung in dem besetzten Gebiet auf unbestimmte Zeit unter Kontrolle zu halten (Quelle auf Hebräisch), und fünftens wird die internationale Gemeinschaft wegen der illegalen Besetzung zusätzliche Sanktionen gegen Israel verhängen (Quelle auf Hebräisch).

Ökonomen des israelischen Finanzministeriums haben berechnet, dass sich die Kosten für die direkte Besetzung des Gazastreifens auf 120-180 Milliarden NIS pro Jahr belaufen werden, also etwa 30-45 Milliarden Euro pro Jahr. Die Zeitung Ynet berichtete mit Besorgnis darüber, dass die Kosten eine große Belastung für die israelische Wirtschaft darstellen würden. Sie wies auch darauf hin, dass Israel die Menschen in Gaza ernähren müsste (Quelle auf Hebräisch).

Der ehemalige Mossad-Chef Amiram Levin bezeichnete Israels Vorgehen in Gaza als „Völkermord“. Avraham Burg, der ehemalige Sprecher der Knesset, rief Juden weltweit dazu auf, sich gegen die israelische Regierung aufzulehnen. Aktivisten drangen mit Schildern mit Parolen zur Beendigung des Krieges und zum Rückzug aus dem Gazastreifen in die Kulissen der Reality-TV-Show „Der große Bruder“ ein und wurden von Sicherheitskräften gewaltsam entfernt (Quelle auf Hebräisch). Ein großer Streik wurde von den Familien der Entführten und von Hinterbliebenen ausgerufen, um gegen die für den 17. August geplante Eroberung zu protestieren, aber die Histadrut (israelischer Gewerkschaftsverband) lehnt den Streik ab (Quelle auf Hebräisch). Allerdings wurde am 13.8. erneut zu einem Generalstreik aufgerufen. Angesichts der Möglichkeit, dass die Armee der Regierung die Gefolgschaft verweigert, hat Verteidigungsminister Katz erklärt, er werde dafür sorgen, dass das Militär die Befehle der Regierung befolgt.

Die internationale Gemeinschaft hat auf die Entscheidung des israelischen Kabinetts reagiert. Wenige Stunden später gaben die Außenminister einiger der engsten westlichen Verbündeten Israels, darunter Großbritannien, Neuseeland und Australien, eine gemeinsame Erklärung ab: Sie verurteilten die Entscheidung. Auch die UNO forderte Israel auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.

Die Reaktion Deutschlands auf Israels Absicht, den Gazastreifen zu erobern, war besonders bemerkenswert; denn Bundeskanzler Merz kündigte an, dass Deutschland die Lieferung von Waffen an Israel einstellen werde, wenn diese in Gaza eingesetzt werden könnten. In Israel besteht die Befürchtung, dass Waffensysteme, die von deutschen Komponenten abhängen, wie z.B. Schulterraketen, Panzer und Artillerie, nicht mehr funktionsfähig sein könnten und dass die drei Tochtergesellschaften israelischer Rüstungsunternehmen in Deutschland (Elbit Systems, IAI, Rafael) keine Waffen mehr nach Israel liefern dürfen (Quelle auf Hebräisch).

Andererseits hat die deutsche Regierung den Verkauf eines militärischen U-Boots, das mit Atomraketen bestückt werden kann, an Israel genehmigt. Die Begründung ist, dass das U-Boot nicht in Gaza eingesetzt werden könne. Es bringt jedoch den gesamten Nahen Osten in die Gefahr eines Atomkriegs (Zu völkerrechtlichen Bewertung siehe BIP #350.)

Wenige Stunden bevor das israelische Kabinett die Eroberung des Gazastreifens beschloss, erschien Israels Finanzminister Bezalel Smotrich (zweiter von links) in der illegalen Siedlung Sa Nur im nördlichen Westjordanland. Smotrich drängte Netanjahu, den Gazastreifen zu erobern und mit Juden zu besiedeln. Das Graffiti in Blau auf der rechten Seite lautet „Tod den Arabern“. Das Bild wurde nach einem Tag entfernt und ohne das Graffiti neu veröffentlicht. Quelle: 2025, Regionalrat Samaria.


Trotz des wachsenden nationalen und internationalen Drucks treibt die israelische Regierung den Plan zur Eroberung des Gazastreifens weiter voran. Am 11. August töteten israelische Streitkräfte sechs Journalisten in Gaza. Höchstwahrscheinlich sollte damit verhindert werden, dass die internationalen Medien die von Israel geplanten Gräueltaten dokumentieren. Peter Lintl, der Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), wies in einem Phönix-Interview auf Meinungsumfragen hin, wonach 74 % der befragten Israelis ein Kriegsende im Austausch gegen die Geiseln wollen und 49 % meinen, dass Netanjahu diesen Krieg nicht aus sicherheitspolitischen Erwägungen führt, sondern aus eigenen politischen Gründen. Die deutliche Mehrheit der israelischen Gesellschaft stehe also nicht hinter Netanyahu und seiner Kriegsführung. Demgegenüber läuft Deutschland Gefahr, ein Apartheid- und Völkermordregime in Israel zu bewaffnen und zu finanzieren.

*******************************************************                       
Werde Mitglied im Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V. (BIP) und unterstütze unsere Arbeit. Jahresbeitrag für stimmberechtigte ordentliche Mitglieder 150 €, für Fördermitglieder 100 €. 
Ein Aufnahmeantrag ist an den Vorstand zu stellen: info@bip-jetzt.de.
Weitere Informationen: www.bip-jetzt.de
Wenn Sie die Arbeit von BIP unterstützen möchten – dies ist unser Spendenkonto: BIP e.V., IBAN: DE 43 2545 1345 0051 0579 58, BIC NOLADE21PMT
Hier können Sie BIP-Aktuell abonnieren: https://bip-jetzt.de/blog/
Save the date: Vierte Internationale BIP-Konferenz vom 29. – 31. Mai 2026 in Nürnberg. Konferenzanmeldungen und Hotelreservierungen im Ramada-Hotel sind erst ab 15.10. möglich.
*******************************************************

Angesichts der zumeist sehr deprimierenden Berichte in unserem Newsletter steht an dieser Stelle die Rubrik „Erfreulich“ – in der Hoffnung, dass diese Meldungen uns allen Mut machen, denn „Aufgeben ist keine Option“!

BA 361 Erfreulich:
Norwegens Staatsfonds trennt sich von Anteilen an israelischen Firmen
Der norwegische Staatsfonds hat sich wegen der Lage im Gazastreifen und im Westjordanland von einigen Beteiligungen an israelischen Unternehmen getrennt. Anteile von elf israelischen Firmen seien vollständig verkauft worden, teilten die Manager des Fonds mit. Begründet wurde der Schritt mit der „schweren humanitären Krise“ im Gazastreifen.
Finanzminister Jens Stoltenberg erklärte, er gehe davon aus, dass der Fonds weitere Maßnahmen ergreifen werde. Es dürfe keine Investitionen in Unternehmen geben, die sich an der Besetzung des Westjordanlandes und dem Gaza-Krieg beteiligten. Einen pauschalen Rückzug aus allen israelischen Unternehmen schloss er erneut aus. Der norwegische Staatsfonds speist sich aus den Öl- und Gaseinnahmen des Landes und ist mit einem Volumen von rund 1,65 Billionen Dollar der größte der Welt. https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-nahost-montag-282.html#Norwegens-Staatsfonds

Die norwegische Kirche läutete alle Kirchenglocken für die Menschen in Gaza
Norwegisches Original: https://www.kirken.no/nb-NO/om-kirken/aktuelt/over-400-kirkeklokker-ringte-for-gaza/

Mehr als 660 Kirchenglocken läuteten für Gaza
Es kommt selten vor, dass Kirchenglocken aus einem solchen Anlass läuten. Donnerstag war ein solcher Tag: Da läuteten mehrere hundert Kirchenglocken im ganzen Land – für alle, die in Gaza leiden.
Während die Menschen Kerzen anzündeten, wurde das Lied „Gott des Friedens“ gesungen: Gott des Friedens, lass es regnen, regnen mit Frieden von dir. Gott des Friedens, erfülle mein Herz, erfülle es mit Liebe und Frieden! (Norwegisches Gesangbuch, Nr. 637) 
Über 650 lokale Kirchen in Norwegen sowie die elf Domkirchen des Landes läuteten gleichzeitig.
Die Glocken läuteten aus Protest gegen das Leid aller Menschen in Gaza, als Aufruf zum Handeln und als Gebet für den Frieden. Auch außerhalb Norwegens läuteten Kirchenglocken: in Schweden, Finnland, Island und in der Schwesterkirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land. 
Mehrere andere christliche Organisationen und Kirchengemeinden in Norwegen haben die Aktion ebenfalls unterstützt.

BIP Aktuell berichtet an dieser Stelle von Menschenrechtsverletzungen, die in deutschen Medien kaum Beachtung finden:
Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zu einem Angriff auf die  Saatgutbank des Union of Agricultural Work Committee (UAWC) in Hebron abl-ev.de

Angriff auf die Saatgutbank in Hebron

Am 31. Juli 2025 verübten israelische Streitkräfte einen zielgerichteten Angriff auf essentielle bäuerliche Strukturen in Hebron, Westjordanland. Dort wurde in einer Saatgutbank des Union of Agricultural Work Committees (UAWC) Saatgut gelagert, um die Unabhängigkeit der palästinensischen Bäuerinnen und Bauern von multinationalen Konzernen zu ermöglichen und lokal und kulturell angepasste Sorten zu sichern. Das Vermehren, Selektieren und Lagern von Saatgut sind typisch bäuerliche Aufgaben und haben vor allem im Hinblick auf agrarökologische Aspekte und die Ernährungssouveränität eines Landes eine zentrale Bedeutung.
Der Angriff auf die Saatgutbank reiht sich ein in die verheerende Lage der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland. Mehr als 95% der landwirtschaftlichen Flächen in Gaza sind durch militärische Einsätze unbrauchbar und die Existenzgrundlage von Bäuerinnen und Bauern dadurch zerstört. Auch auf lange Zeit wird der Boden mit den Chemikalien der Waffen verseucht und auf lange Sicht für die Landwirtschaft unbrauchbar.

Claudia Gerster, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), sagt dazu:
„Mit der Zerstörung der UAWC Saatgutbank in Hebron durch israelische Besatzungstruppen wurde die Ernährungssouveränität von Palästina massiv angegriffen, Saatgutreserven zerstört und jahrzehntelange bäuerliche Arbeit vernichtet. Saatgut ist Kulturgut und der Erhalt eigener, angepasster Sorten spielt in der bäuerlichen Landwirtschaft eine zentrale Rolle.Wohl wissend, dass es eigentlich keine originäre Aufgabe der AbL ist, sich zu den vielen weltweiten Konflikten auf einer politischen Ebene zu äußern, dürfen wir nicht schweigen, wenn Völkerrecht und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Für die AbL ist die Einhaltung der Menschenrechte, des Völkerrechts, der Rechte von Bäuerinnen und Bauern weltweit nicht nur ein Satzungsauftrag, sondern politisch unverhandelbar. Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel eskaliert die seit Jahrzehnten andauernde Gewalt immer weiter. Bei dem Angriff starben insgesamt mehr als 1.200 Menschen, wovon viele innerhalb landwirtschaftlicher Gemeinschaften in verschiedenen Kibbuzim lebten. Viele Geiseln sind noch immer nicht befreit und ihr Zustand ungewiss. Auf den Angriff antwortete die israelische Regierung mit einem brutalen Krieg, der bis heute andauert. Millionen Menschen wurden immer wieder durch das israelische Militär vertrieben, und bereits ca. 60.000 Menschen getötet. Zudem nimmt parallel dazu auch die Gewalt von Siedler:innen gegenüber den Menschen im Westjordanland zu. Existenzsichernde Ernten werden zerstört, der Zugang zu Olivenhainen blockiert und landwirtschaftliche Flächen annektiert.“

Claudia Gerster hebt hervor:
„Gaza befindet sich in einer gravierenden humanitären Katastrophe, die ihresgleichen sucht. Die israelische Regierung missbraucht Hunger als Kriegswaffe und lässt die Zivilbevölkerung in Gaza gezielt verhungern. Als AbL stehen wir fassungslos vor dieser Realität und verurteilen dies scharf. Die Lage in Gaza und im Westjordanland ist nicht haltbar. Die Hungerblockaden müssen umgehend beendet werden, die dringend notwendige Versorgung der Bevölkerung in Gaza mit Nahrungsmitteln und umfassender humanitärer Hilfe sofort gewährleistet werden. Die AbL fordert einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand. Das Leben und das Recht auf Nahrung der Menschen in Gaza und im Westjordanland muss gesichert sein und ihre bäuerlichen Rechte geschützt werden. Dabei steht auch die deutsche Regierung in der Verantwortung, Druck auf die israelische Regierung auszuüben und alle diplomatischen Register zu ziehen, um das Leid der Menschen in Gaza, im Westjordanland und auch der israelischen Geiseln zu beenden. Zudem braucht es einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen.“

Hintergrundinformationen:
Die palästinensische Mitgliedsorganisation von La Via Campesina UAWC arbeitet seit 1986 für Ernährungssouveränität. Weitere Informationen erhalten sie unter: https://uawc-pal.org/
La Via Campesina, die Dachorganisation der AbL äußert sich zu der Zerstörung der Saatgutbank in Hebron wie folgt: https://viacampesina.org/en/2025/08/la-via-campesina-condemns-israeli-forces-attack-on-uawc-seed-bank-in-hebron-palestine-read-the-full-statement/
Die FAO berichtet von dem verheerenden Zustand landwirtschaftlicher Flächen in Gaza in folgendem Artikel: https://www.fao.org/newsroom/detail/gaza-s-agricultural-infrastructure-continues-to-deteriorate-at-alarming-rate/en

Das Redaktionsteam von BIP-Aktuell besteht aus dem Vorstand und dem Geschäftsführer Dr. Shir Hever. V. i. S. d. P. Dr. Götz Schindler, BIP-Vorstand.

Tag: 18. August 2025