BIB-Gründungsmitglied Nirit Sommerfeld hielt Laudatio
Mehr als 400 Gäste nahmen an der Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. (JS) teil. Der Göttinger Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler, die Universitätspräsidentin Ulrike Beisiegel und der örtliche Sparkassendirektor Rainer Hald hatten ihre Unterstützung für die Vergabe des Preises an die JS kurzfristig zurückgenommen, nachdem der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sie dazu aufgefordert hatte. Die dadurch ausgelöste öffentliche Diskussion hatte dazu geführt, dass das Interesse an der JS immens wuchs. Sogar die ARD-Tagesschau berichtete über die Preisverleihung. Die Universität wollte ihre Aula aus Gründen der „Neutralität“ nicht wie sonst üblich für die Festveranstaltung öffnen, sodass sie in die Alte Feuerwache verlegt werden musste.
Kleine nötige Kunstaktion an der Eingangstür der Universitätsaula, 9.3.2019 . © Christiane Balkau
Weil die Sparkasse Göttingen ihren jährlichen Beitrag von 2000 € für das Preisgeld verweigerte, hatte der Vorsitzende der Jury, Andreas Zumach, zu Spenden aufgerufen. Es gingen fast 30.000 € ein, ein deutliches Zeichen der Solidarität.
Die JS versteht sich als deutsche Sektion der European Jews for a Just Peace (EJJP). In ihren Grundsätzen heißt es: „Die Jüdische Stimme verurteilt die seit 1967 andauernde Besetzung der Westbank einschließlich Ostjerusalems sowie die Abtrennung des Gazastreifens von den übrigen Gebieten Palästinas durch den israelischen Staat als einen nicht hinnehmbaren Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen, gegen das Völkerrecht und gegen alle Beschlüsse der Vereinten Nationen dazu. Die tagtägliche Besetzungspraxis greift in alle Lebensbereiche des palästinensischen Volkes in den besetzten Gebieten ein und hat nachhaltig zerstörerische Wirkung.“
Nirit Sommerfeld, BIB-Gründungsmitglied, hielt die Laudatio.
Zur Kontroverse zwischen der JS und dem Zentralrat der Juden erklärte sie: „Jüdinnen und Juden sind keine homogene Gemeinschaft, weder religiös noch ethnisch! Weder in Israel noch in Deutschland. Aber gerade in Deutschland will man uns ganz unbedingt als eine einheitliche Masse begreifen. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das antisemitisch motiviert: die Nazis bestimmten, wer Jude war, und man hasste Juden, weil sie Juden waren. Danach hat sich das zumindest nach außen hin gewandelt. Wie oft habe ich schon gehört: ‚Sie sind Jüdin?! Wie wunderbar!!‘ Dieser Philosemitismus ist einfach nur die andere Seite derselben Medaille. Jüdinnen und Juden sind divers – genau wie alle anderen Menschen.“
Zum Angriff des Präsidenten des Zentralrats der Juden auf die JS fand Sommerfeld deutliche Worte: „Er hat nicht darüber zu bestimmen, wer Jude und noch dazu ein guter Jude ist. Das haben schon vor ihm andere getan, aber das werden wir nie wieder zulassen.“
Zum Schluss ihrer Rede rief sie auf: „Jeder und jede von uns hat immer und überall die Wahl, sich auf die Seite der Ja-Sager und Mitläufer oder auf die Seite der Kämpferinnen und Kämpfer für Gerechtigkeit, Freiheit und Humanismus zu stellen.“
Laudatorin Nirit Sommerfeld (vorne mitte), JS-Vorsitzende Iris Hefets (links daneben), Mitglieder der JS und Repräsentanten der preisverleihenden Röhl-Stiftung.
© Peter Heller
Iris Hefets, Vorsitzende der Jüdischen Stimme, sagte in ihrer Dankesrede: „In Deutschland erleben wir wiederholt einen Ablauf nach folgendem Muster: die Rechte der Palästinenser werden verletzt, es findet ein politischer Protest dagegen statt, die deutsche Presse findet – oder erfindet, wie erst jüngst durch fake news geschehen – einen antisemitischen Vorfall und am Ende wird von Antisemitismus geredet und diesbezüglich agiert, womit der ursprüngliche Protest erstickt ist.“
Der Kampf gegen den Islam verbinde die israelische Regierung mit den Rechten in Europa, den USA oder jetzt in Brasilien. „So kann der Staat Israel den Konflikt um Land, Rechte und Selbstbestimmung, den er konkret mit den Palästinensern hat, als Teilaspekt einer globalen Bedrohung verkaufen. … Die gewaltsame Expansion Israels auf Kosten der Palästinenser wird als Widerstand gegen den global angreifenden Islam umgedeutet: Israel wird als Opfer stilisiert, während die Palästinenser die Täter sind, die aggressiv gegen Israel agieren, weil sie angeblich Antisemiten sind und nicht weil sie einen Befreiungskampf führen.“
Iris Hefets bekannte sich in ihrer Rede im Namen der JS ausdrücklich zu den drei Zielen von BDS: Beendigung der Besatzung, Anerkennung der palästinensischen BürgerInnen auf Gleichberechtigung, Unterstützung des Rechts der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr oder auf Entschädigung.
Vor der Alten Feuerwache fand eine Demonstration gegen die JS mit ca. 50 Personen statt.
Zu diesen Göttinger „Hexenjägern“ inclusive OB und Uni-Präsidentin schrieb Clemens Messerschmid eine formvollendete Moritat: als pdf hier.
Andreas Zumach, Vorsitzender der Preisjury für den Göttinger Friedenspreis, hatte selbst zwei Tage zuvor in der Göttinger Alten Feuerwache vor ca. 300 ZuhörerInnen über „Israel, Palästina und die Grenzen der Meinungsfreiheit“ gesprochen.
Videos der Preisverleihung können Sie hier ansehen.